Grün-Schwarze Koalition in Baden-Württemberg steht - Wie sich die CDU selbst verzwergt

Der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg ist unterzeichnet. Um weiterhin als Juniorpartner mitregieren zu dürfen, verzwergt sich die CDU selbst. Für die Grünen ist das ein Triumph, für die Christdemokraten eine Mahnung.

Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen: Grün-Schwarz bleibt bestehen / dpa
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Um zu verstehen, welch weiten Weg die Christdemokraten im Südwesten für eine Neuauflage einer grün-schwarzen Landesregierung gegangen sind, muss man zurückblicken: Noch 2003 wollte Erwin Teufel die ersten Windräder am liebsten abreißen lassen. Geradezu verbissen kämpfte der CDU-Ministerpräsident, der für die Partei noch deutliche Mehrheiten erzielte und hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung genoss, gegen Windmühlen.

Heute stimmt dieselbe CDU einem Koalitionsvertrag zu, der nicht nur mindestens 1.000 weitere dieser stählernen Monster vorsieht, sondern auch eine Photovoltaikpflicht für neue Gebäude, derweil den Bauwilligen die versprochene Senkung der Grunderwerbsteuer versagt wird. 

Die einstige „Dagegen-Partei“

Thomas Strobl, der die Grünen einst als „Dagegen-Partei“ verspottet hat, erklärt nun ohne rot zu werden: Mit den Maßnahmen zum Klimaschutz, die laut Grünen auch in der Verkehrspolitik „sehr harte regulatorische Maßnahmen“ vorsehen, renne man bei der CDU „offene Türen“ ein. Und nicht nur dort. Im 162 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag, der gestern, sieben Wochen nach der Landtagswahl, verkündet wurde, muss man lange nach schwarzen Trophäen suchen.

Strobl, der Innenminister bleiben und sich auch fortan „stellvertretender Ministerpräsident“ nennen darf, kann nur auf mehr Personal bei der Polizei und ein Zentrum zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität verweisen. Doch selbst dafür muss er eine Kennzeichnungspflicht für die Beamten und eine weitgehende Nichtnennung der Täter-Nationalität akzeptieren, wie sie nun in einem eigenen Pressekodex festgelegt ist. Für eine Partei, die in der Vergangenheit gerne die Ausländer-Karte gespielt hat, wenn es bei Wahlen eng wurde, ist das kein nebensächliches Zugeständnis. 

Vertrauensvolle Regierungsarbeit

Winfried Kretschmann, der als erster grüner Ministerpräsident nun sogar in eine dritte Amtszeit starten kann, bemüht sich geradezu väterlich, die Dominanz seiner Partei nicht zu sehr nach außen zu kehren. Mit gespieltem Großmut verweist der bald 73-Jährige darauf, dass man mit der Strobl-CDU ein festes Fundament für eine vertrauensvolle Regierungsarbeit gefunden habe. Sein Fraktionschef Andreas Schwarz war da beim Parteitag Mitte April schon deutlicher: „Es wird keine Koalition der Beinfreiheit geben.“

Selbst der Anspruch der CDU, Garant einer soliden Finanzpolitik samt Schuldenbremse zu sein, steht auf wackeligen Beinen. Erstens hat sie eifrig mitgewirkt, dass der Altschuldenberg auf 58,3 Milliarden Euro angewachsen ist; und zweitens fehlen für die anstehende Regierungsperiode schon jetzt jährlich an die vier Milliarden Euro. Doch mutige Reformen, die zu Einsparungen führen, werden im Koalitionsvertrag allenfalls schwammig erwogen. Beim Geldausgeben hört auch bei den Grünen der Anspruch der Nachhaltigkeit auf. Stattdessen: noch mehr Personal und ein zusätzliches Ministerium, für Wohnen, Bauen und Raumplanung. Damit wird die bisherige Parität bei den Ressorts aufgegeben und die grüne Schlagseite am Kabinettstisch mit einem Verhältnis 6 zu 4 unterstrichen. Das finanziell mit einem Etat von 13 Milliarden Euro gewichtige Kultus- und Schulministerium geht erstmals an die Grünen. Selbst vom Wirtschaftsministerium muss die CDU Kompetenzen abgeben. 

Direktmandat verloren

Wie sehr der Südwest-CDU diese fortwährende Unterwerfung geschadet hat, zeigt ein Blick auf die Wahlergebnisse: Das Land, das einmal schwarzes Hoheitsgebiet war, ist grün eingefärbt. 58 von 70 Wahlkreisen hat die Öko-Partei direkt gewonnen. Thomas Strobl hat in seinem Wahlkreis Heilbronn mit nur 23 Prozent sogar noch das bislang schlechteste Ergebnis bei Landtagwahlen (24,1 Prozent) unterboten – und das, obwohl er als Multi-Partei-Funktionär in der traditionell konservativen Weinregion bekannt ist wie der sprichwörtliche bunte Hund. Das Direktmandat geht an eine wenig bekannte Sozialarbeiterin. Denn trotz des grünen Wahlerfolges: Eine Volkspartei im klassischen Sinn ist die einstige Anti-Partei-Partei auch in Baden-Württemberg nicht. Einzig der bodenständige Kretschmann überstrahlt diesen Mangel an Volksnähe. 

Obwohl das Grummeln bei den Christdemokraten unüberhörbar ist, dürfte die Zustimmung der Delegierten beim Parteitag am Samstag sicher sein. Einmal, weil auch diese Abstimmung nur digital stattfinden kann, was die Mobilisierung von Strobls Gegnern erschwert. Wichtiger aber ist der Partei etwas, das Strobls mangelnde Durchsetzungsfähigkeit mehr als wettmacht: Die CDU wird nicht auf die harten Oppositionsbänke verbannt, wo sie zusammen mit der AfD gegen eine grün-rot-gelbe Regierung hätte Position beziehen müssen.

Die Angst, mit den querulatorischen Rechtsauslegern in einen Topf geworfen zu werden, ist das ausschlagende Argument, um über jedes Stöckchen zu springen, das ihnen die selbstbewussten Grünen hinhalten. Hier, bei der Abgrenzung nach rechts, folgt Thomas Strobl auch als stellvertretender CDU-Vorsitzender konsequent der von Berlin (und seinem Schwiegervater Wolfgang Schäuble) vorgegebenen Parteilinie. 

Deutliche Ermüdungserscheinungen

Nicht offen ausgesprochen wird indes eine andere Hoffnung: dass Kretschmann, der mit seinen nun bald 73 Jahren deutliche Ermüdungserscheinungen zeigt und eher der Parteipflicht gehorchend noch einmal angetreten ist, sich dann doch bald in seine heimische Werkstatt in Sigmaringen-Laiz zurückzieht. Spekuliert wird über einen Abgang zur Mitte der Legislaturperiode, also um 2024. Dann könnte es vorbei sein mit der grünen Herrlichkeit im Südwesten. Denn weit und breit ist im Ländle niemand zu sehen, der Kretschmann an Popularität das Wasser reichen könnte.

Und ob ein namhafter Fremd-Import bereit wäre, sich auf einen unsicheren Wettbewerb im eher konservativen Baden-Württemberg einzulassen, steht dahin. Schon bei der Besetzung der Ministerposten hatte Kretschmann Mühe, qualifiziertes Personal für das Finanz- und Umweltressort zu finden, weil sich Edith Sitzmann und Franz Untersteller in den Ruhestand verabschiedet haben. Dabei sind sie 15 beziehungsweise neun Jahre jünger als der betagte Regierungschef.

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