
- Kretschmann hilft seiner Partei mehr, als sie vermutet
Viele Grüne sind nicht begeistert von Winfried Kretschmanns Entscheidung, in Baden-Württemberg weiter mit der CDU zu koalieren. Sie wünschten sich eine linke Signalwirkung für die Bundestagswahl. Dabei hilft der grüne Ministerpräsident seiner Partei gleich auf vierfache Weise.
Aus Winfried Kretschmanns Sicht spricht alles für eine Fortsetzung von Grün-Schwarz in Baden-Württemberg. Mit der bei den Wahlen schwer geschlagenen CDU ist einfacher zu regieren als mit den Partnern SPD und FDP, die sich wohl ständig gegeneinander abgrenzen würden. Außerdem wird eine in Stuttgart mitregierende CDU ihre immer noch starke Position in den Kommunen nicht zu einer Fundamentalopposition gegen den ökologischen Umbau im Ländle nutzen. Das alles spricht für Kretschmanns „Keine Experimente“.
In den Reihen der Bundes-Grünen wäre manchem eine Ampel mit Blick auf die Bundestagswahl lieber gewesen, der wilden grünen Jugend sowieso. Doch schmälert die Koalitionsbildung im Südwesten keineswegs die Chance der Grünen, vom Herbst an im Bund die Regierung anzuführen. Im Gegenteil. Kretschmanns Entscheidung hilft den Grünen gleich auf vierfache Weise.
Eine flexible politische Kraft
Erstens: Die Grünen müssen nicht beweisen, dass sie – von der AfD abgesehen – mit allen anderen Parteien koalieren können und wollen. In Hessen tun sie das mit der CDU, in Brandenburg und Sachsen mit SPD und CDU, in Berlin, Thüringen und Bremen mit SPD und der Linken. Daraus kann niemand einen unaufhaltsamen Drang zu Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz ableiten. Die Fortsetzung der südwestdeutschen „GroKo“ stärkt folglich den Ruf der Grünen als flexible politische Kraft; man kann das sogar pragmatisch nennen.
Zweitens ist Grün-Schwarz in Baden-Württemberg ein Signal an die bürgerlichen Wähler. Die Union muss bei der Bundestagswahl weniger Stimmenverluste an die SPD befürchten, sondern in erster Linie an die Grünen. Wer als CDU-naher Wähler Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz favorisiert, der wird seine Stimmen dann nicht den Grünen geben, wenn es die offensichtlich in eine Ampel mit SPD und FDP oder gar zu Grün-Rot-Rot zieht. Kretschmann leistet also Wahlhilfe für die Grünen im Bund. Seine Botschaft: Eine Stimme für die Grünen ist keineswegs automatisch eine Stimme gegen die CDU.
Die Grünen brauchen CDU-Wähler
Drittens legt Grün-Schwarz in Baden-Württemberg die Grünen keineswegs für Berlin fest. Es ist ja – Stand heute – nicht ausgeschlossen, dass die Grünen die Wahl haben, den Vizekanzler beziehungsweise die Vizekanzlerin bei Schwarz-Grün zu stellen oder die Kanzlerin/den Kanzler – in einem Bündnis mit SPD und FDP oder mit SPD und der Linkspartei. Dass die Ökopartei in jedem Fall eine Konstellation mit eigener „Regierungs*chefin“ vorziehen wird, darf unterstellt werden; alles andere wäre geradezu weltfern.
Viertens nützt den Grünen ein dezidierter Linkskurs wenig. Dass die Schnittmengen zwischen Grünen, SPD und Linkspartei größer sind als in jeder anderen Grün-Kombination ist offensichtlich. Bei den Themen staatliche Wirtschaftslenkung, Umverteilung, Zuwanderung und Identitätspolitik, also bei der Ausrichtung der Politik in erster Linie an unzähligen diversen Minderheiten, würde Grün-Rot-Rot relativ schnell einen gemeinsamen Nenner finden. Aber den Grünen hilft es nicht, bei der Wahl Stimmen von ihren beiden potentiellen linken Koalitionspartnern einzusammeln. Je mehr CDU-Wähler die Grünen von sich als bürgerlich-ökologischer Kraft überzeugen können, umso eher werden sie den Kanzler stellen – ohne die CDU/CSU als Koalitionspartner.
Mögen manche auch über den „Alten“ in Stuttgart grummeln: Letztlich hilft Kretschmann mit Grün-Schwarz nicht nur sich, sondern auch den Grünen im Bund – und Baden-Württemberg wohl ebenfalls.