Gerhard Strates Anzeige gegen Scholz und Tschentscher - „Was Scholz sich geleistet hat, würde vor keinem Strafgericht durchgehen“

Der Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate ist mit seiner Anzeige gegen Olaf Scholz und Peter Tschentscher vorerst gescheitert: Diese Woche hat die Staatsanwaltschaft Hamburg die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Im Interview wirft Strate der Staatsanwaltschaft vor, hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit zu agieren, nur um die SPD-Politiker im Cum-Ex-Skandal zu schützen.

Gerhard Strate: „Früher war Politikern ihr Ehrgefühl wichtiger als ihr Ehrgeiz. Bei den heutigen Politikern ist das etwas anders.“ / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Mitte Februar erstattete Gerhard Strate Strafanzeige gegen Olaf Scholz und Peter Tschentscher „wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung sowie – im Falle von Scholz – wegen falscher uneidlicher Aussage“ (Cicero berichtete: Staranwalt zeigt Scholz und Tschentscher an). Auf 38 Seiten mit 44 Fußnoten analyisierte der Jurist ausführlich den Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Privatbank M.M. Warburg und begründete darauf seine Anzeige. Ungewöhnlich schnell antwortete Hamburgs Staatsanwaltschaft diese Woche nach nur vier Wochen mit einem Einstellungsbescheid. Auf etliche Kritikpunkte und Begründungen Strates geht die Oberstaatsanwältin in dem dreieinhalbseitigen Schreiben – das mehrere Tippfehler vorweist – nicht ein. Lesen Sie zum Thema Olaf Scholz und Cum-Ex auch die Cicero-Titelgeschichte im März: „Wer verschweigt, hat etwas zu verbergen“.

Herr Strate, im Interview mit der Welt sagten Sie neulich: „Die Fakten, die in der Strafanzeige systematisch zusammengetragen sind, sind so zwingend, dass sowohl hinsichtlich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung als auch hinsichtlich der Falschaussage ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss.“ Nun hat die Staatsanwaltschaft Ihre Anzeige abgelehnt.

Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass die rechtliche Argumentation, die von meiner Seite vorgetragen worden ist, notwendigerweise dazu führen muss, dass ermittelt wird. Die Verweigerung jeglicher Ermittlungen ist nichts anderes als ein Zeichen, dass die Stadtregierung sich mit einem Schutzwall umgeben hat, der Staatsanwaltschaft Hamburg heißt.

Schon im Februar 2020 haben mehrere Bürger Anzeige gegen Olaf Scholz erstattet, allerdings ohne ausführlichere Begründung. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat sich daraufhin eineinhalb Jahre Zeit für die Vorermittlungen genommen, ehe sie die Anzeige fallen ließ. Ihre Anzeige mit 38 Seiten Begründung hat sie nun schon nach vier Wochen abgeschmettert. Sehen Sie die Schnelligkeit auch als demonstrativen Akt?

Definitiv. Die Staatsanwaltschaft wollte eine Markierung setzen, dass sie mit einer Anzeige wie dieser, die Aufsehen erregt hat, schnell fertig wird und sie nicht langfristig vor sich hin schwelen lässt. Das hat sie um den Preis gemacht, juristisch unsauber und gefährlich zu argumentieren.

Die Staatsanwaltschaft argumentiert, dass die steuerverkürzenden Bescheide schon im Jahre 2011 und 2012 ergangen und der Steuerschuldnerin, der Warburg-Bank, bekanntgegeben worden sind. Damit sei die Haupttat, eine Steuerverkürzung, schon in diesen Jahren beendet worden. Die Entscheidung der Finanzbeamten und des damaligen Finanzsenators Tschentscher, das Geld trotz neuer Beweise 2016 nicht zurückzufordern, sei deswegen nicht mehr „beihilfefähig“ gewesen.

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Das ist absoluter Nonsens und juristisch eine Zumutung für jeden Juristen, der sich mit solchen Themen befasst. Die Steuerbescheide in 2011 und 2012 standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, das heißt, sie waren nicht endgültig. Die Hinterziehungsaktion mit der angeblich gezahlten und unrechtmäßig erlangten Kapitalertragsteuer war selbst im Jahr 2016 noch nicht beendet. Des Weiteren waren laufend bis zum Jahr 2016 und darüber hinaus Betriebsprüfer, also Mitarbeiter des Finanzamtes für Großunternehmen, in der Warburg-Bank. Solange diese Außenprüfung stattfindet, bedeutet es auch umgekehrt, dass das Ergebnis noch offen ist. 2016 war ja noch völlig unklar, ob die Warburg-Bank die unrechtmäßig bezogenen Kapitalertragsteuern zurückzahlen muss. Die Haupttat war zu diesem Zeitpunkt also keineswegs beendet, weshalb noch Beihilfehandlungen möglich waren. Es ist sonnenklar, dass die Staatsanwaltschaft sich so ins juristische Abseits stellt, bloß, um einen schnellen Abschluss des Verfahrens zu erreichen.

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Warum haben Sie nicht auf Untreue gesetzt, wie die Anzeigenerstatter vor Ihnen?

Die Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist meines Erachtens eindeutiger. Bei der Untreue müsste ein Vorsatz bestehen, zumindest ein bedingter Vorsatz. In dem Fall wäre es für die Staatsanwaltschaft leichter gewesen, das sofort zurückzuweisen. Denn dass Tschentscher immer guten Willens ist, wird man ihm als Staatsanwaltschaft unterstellen können. Diese Ausrede wäre zu einfach gewesen. Stattdessen hat sie nun einen Ausweg gestrickt, der bestimmte juristische Grundsätze missachtet. Das zeigt, dass die Staatsanwaltschaft in Hamburg zumindest eine Führungsschwäche hat. Dass so eine Begründung da durchgeht, ist nicht nachzuvollziehen.

Was hat Sie eigentlich so sicher gemacht, dass Ihre Anzeige erfolgreich sein würde? Das Manager Magazin hat die Akten des ersten Vorermittlungsverfahrens gelesen und kam zum Ergebnis, dass die Staatsanwaltschaft mit gedämpftem Eifer gearbeitet hat, teilweise absurd argumentiert hat und ein Chef schon früh wusste, was am Ende rauskommen würde – ehe die Anzeige nach eineinhalb Jahren drei Wochen vor der Bundestagswahl klammheimlich zurückgewiesen wurde.

Mein Punkt ist einfach der: Wir haben einen Rechtsstaat. Natürlich gibt es in diesem Rechtsstaat auch innerhalb der Justiz immer wieder Dinge, die scharf beobachtet oder kritisiert werden müssen, die möglicherweise auch bestimmte Befangenheiten und Einflussnahmen zeigen. Aber nichtsdestotrotz gibt es in einem Rechtsstaat wie dem unseren für alles eine Grenze. Für mich war völlig klar, dass die Aktivitäten der Mitarbeiter der Finanzbehörde und des damaligen Finanzsenators rechtliche Grenzen überschreiten, die einen Anfangsverdacht auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung zwingend begründen. Das ist für mich auch nach wie vor klar. Dass dieser Punkt einfach verleugnet wird mit Argumenten, die juristisch keine Argumente sind, ist für mich nicht nachvollziehbar.

Hat die Hamburger Staatsanwaltschaft in Ihren Augen die rechtsstaatliche Grenze überschritten?

Das ist schon hart an der Grenze, was hier passiert.

Olaf Scholz, der mehrmals Treffen mit Warburg-Chef Olearius verschwieg und sich hinterher auf Erinnerungslücken berief, als die Treffen enthüllt wurden, werfen Sie falsche uneidliche Aussage vor. Die Staatsanwaltschaft weist den Vorwurf zurück – angesichts seines Lebenslaufs seien die Treffen, in denen es um 90 Millionen Euro ging, nicht so herausragend gewesen. Erinnerungslücken seien da möglich und zudem ein häufig diagnostiziertes Problem.

Was Olaf Scholz sich vor dem Untersuchungsausschuss geleistet hat, würde vor keinem Strafgericht durchgehen. Er war gebrieft vor dem ersten Treffen. Er wusste, dass es Durchsuchungen in der Warburg-Bank gab und deren Gesellschafter Olearius unter dem Verdacht einer schweren Steuerhinterziehung stand. Insofern war schon der Umstand, dass Scholz ihn in seinem Amtszimmer empfing, etwas Außergewöhnliches für einen Bürgermeister – auch, wenn Olearius sich in der Vergangenheit um die Stadt Hamburg verdient gemacht hat. Und dann auch noch die Wiederholung dieses Empfangs und die erneute Wiederholung sowie ein von Scholz proaktiv initiiertes Telefonat. Dass Scholz sich an all das nicht erinnert, ist völlig unvorstellbar.

Zumal Scholz sich in den Ausschüssen minutiös an Treffen mit Olearius erinnern konnte, in denen es um weit harmlosere Themen als 90 Millionen ergaunerte Steuergelder ging – worauf die Staatsanwaltschaft in ihrem Einstellungsbescheid nicht eingeht.

Das ist noch einmal ein besonderer Kontrast, den die Staatsanwaltschaft verschweigt.

Wie gehen Sie nun weiter vor?

Ich werde am Montag eine Beschwerde im Rahmen der sachlichen Dienstaufsicht einreichen.

Hätten Sie sich diesen langen Weg nicht sparen können, wenn Sie Ihre Anzeige direkt bei der Kölner Staatsanwaltschaft eingereicht hätten, die bekanntlich energischer ist als die Hamburger?

Zunächst einmal ist der Tatort Hamburg, und deshalb hielt ich es für angebracht, die Anzeige bei der Hamburger Staatsanwaltschaft einzureichen. Die Kölner sind – man denke an die Durchsuchung bei einer leitenden Finanzbeamtin und in der Finanzbehörde im September 2021 – auch mit Personen befasst, die zwar nach Hamburg gehören, aber trotzdem auch in den Verdachtsradius der Kölner Staatsanwaltschaft fallen. Ich hätte die Sache also durchaus einfach nach Köln abgeben können, aber ich wollte es der Staatsanwaltschaft in Hamburg nicht so einfach machen – und das wird auch weiterhin so bleiben. Der Ablehnungsbescheid birgt ja auch einen Erkenntnisgewinn, was den Niveauverlust der Hamburger Staatsanwaltschaft betrifft – das werte ich als positiven Effekt meiner Anzeige.

Angenommen, die Ermittlungen werden doch noch aufgenommen. Was würde das für Scholz und Tschentscher bedeuten?

Sollten tatsächlich Ermittlungen aufgenommen werden, werden sie auch zu Ergebnissen führen. Ich nehme an, dass am Ende durchaus eine Anklage stehen könnte, jedenfalls was die Beihilfe zur Steuerhinterziehung anbelangt. Bei der Falschaussage von Herrn Scholz, da sehen wir jetzt schon, dass man versucht, alle Augen zuzudrücken. Das wird angesichts seiner Position als Bundeskanzler weiterhin geschehen. Aber auch da ist es juristisch geboten, die Falschaussage klar zur Kenntnis zu nehmen und das dann auch strafrechtlich zu bewerten.

Mit welchen juristischen Folgen?

Das hat erst einmal gar keine Konsequenzen. Ich sage nur dies: Früher gehörte es noch zur guten Sitte bei seriösen Politikern, sich einer solchen Prozedur nicht auszusetzen, sondern dann lieber sein Amt zur Verfügung zu stellen. Ich denke nur an meinen ehemaligen Mandanten Björn Engholm, der das bei sehr viel geringerem Vorwurf getan hat. Als er eingestehen musste, dass ihm ein kleiner Fehler unterlaufen ist, hat er alle Konsequenzen gezogen und ist als Kanzlerkandidat und von seinem Amt als Vorsitzender der SPD zurückgetreten. Ihm war sein Ehrgefühl wichtiger als sein Ehrgeiz. Bei den heutigen Politikern ist das etwas anders.

Das Interview führte Ulrich Thiele. Offenlegung: Gerhard Strate schreibt gelegentlich als Gastautor für Cicero.

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