Friedrich Merz im Shitstorm - Zähne zeigen, aber nicht so!

Friedrich Merz kritisiert Zahnarztbesuche von Asylbewerbern – und löst damit Empörung aus. Die Episode ist nicht nur typisch für den Umgang der deutschen Politik mit der Migrationsproblematik. Sie macht auch deutlich, warum der CDU-Chef seinem Amt nicht gewachsen ist: Es fehlt ihm an staatsmännischer Souveränität.

CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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An diesem Donnerstag ist in der FAZ folgender Satz über den CDU-Vorsitzenden zu lesen: „Vor allem mache Merz immer wieder denselben Fehler, indem er unbedacht Sätze sage, die falsch oder missverständlich seien.“ Es geht darum, wie Friedrich Merz von etlichen Funktionären seiner Partei wahrgenommen wird, und wie zur Bestätigung ging ihm soeben während eines Talkformats bei Welt das Zahnarzt-Statement über die Lippen.

Mit zu erwartenden Reaktionen: zunächst betretenes Schweigen bei der Union selbst, gleichzeitig ein Frontalangriff mit der Moralkeule durch Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang: „Friedrich Merz spielt ganz bewusst Gruppen gegeneinander aus, verbreitet dabei Falschinformationen. So wird kein einziges Problem gelöst, aber Hass geschürt. Das ist einem Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig.“

Deutschland, im achten Jahr nach der großen Migrationskrise und Merkels sogenannter Grenzöffnung. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen an der Politik verzweifeln.

Die immergleichen Rituale

Es sind die stets gleichen Rituale. Fast wie in einem Gottesdienst werden bestimmte Buzzwords heruntergebetet. Je nachdem, welcher Glaubensrichtung man angehört, lauten diese: „Weltoffenheit“, „gesamteuropäische Lösung“, „Populismus“, „Spaltung“, „Rassismus“ oder eben „Obergrenze“, „Kontrollverlust“, „Asyl-Tourismus“, „Messer-Migranten“. Das haut man sich dann um die Ohren, während Bürgermeister sich gezwungen sehen, Turnhallen in Massenunterkünfte umzuwidmen, und irgendwann ein sonst schweigsamer Bundeskanzler ein Machtwörtchen spricht, das spätestens in der darauffolgenden Woche schon wieder vergessen sein wird. Die AfD sitzt derweil am Spielfeldrand und erfreut sich regen Zulaufs. Leider ist das alles keine zynische Polit-Satire, sondern eine bittere Reality-Show.

Nun also hat Friedrich Merz prompt und mit gewohntem Schwung die nächste Folge in dieser unwürdigen Endlos-Serie eröffnet. Der Leistungsbezug für die Asylbewerber gehöre auf den Prüfstand, „wir müssen uns über die Pull-Faktoren hier in Deutschland unterhalten“. Und weiter: Die Bevölkerung werde „wahnsinnig“, wenn sie sehe, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt würden, aber nicht ausreisten – und noch dazu die „volle Heilfürsorge bekommen“. Merz weiter, und dies steht im Mittelpunkt der Kritik an ihm: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“

Dass der Zähne-Satz von der Unionsfraktion auf ihrem Social-Media-Account zunächst herausgeschnitten wurde, dürfte (anders als behauptet) durchaus Absicht gewesen sein. Denn natürlich ist jedem auch nur halbwegs presseerfahrenen Parteiangestellten klar, dass Merz mit dieser Formulierung seinen Gegnern innerhalb und außerhalb der CDU eine neue Steilvorlage geliefert hatte. Dass er inhaltlich nicht einmal falsch lag (nach 18 Monaten steht auch abgelehnten Asylbewerbern grundsätzlich dieselbe medizinische Versorgung zu wie gesetzlich Versicherten), tut da fast nichts zur Sache. Das Empörungskarussell, einmal in Fahrt gesetzt, lässt sich nicht so einfach stoppen.

Verunsichertes Innehalten

Obwohl die Unionsfraktion sich nach einigen Stunden des verunsicherten Innehaltens hinter Merz stellte, und dieser selbst ausnahmsweise nicht gleich zurückruderte, als der übliche Shitstorm aufzog, ist auch diese Episode exemplarisch für den Zustand der deutschen Christdemokratie. Das innerparteiliche Störgefühl hinsichtlich des eigenen Vorsitzenden hat inzwischen ein Niveau erreicht, das dessen natürliche Anwartschaft auf die Kanzlerkandidatur immer unwahrscheinlicher werden lässt. Dabei geht es weniger um das, was Merz an Inhalten so alles von sich gibt. Sondern eher um sein „Wording“. Dass Deutschland mit seinen Sozialleistungen ein Magnet für Migranten ist, dürfte sich nämlich nicht ernsthaft bestreiten lassen.

Mit dem konkreten Zahn-Beispiel allerdings, und auch das lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, schürt der CDU-Chef einen unguten Sozialneid und bedient sich (wahrscheinlich sogar unbewusst) des Trigger-Werkzeugkastens der AfD. Dies alles auch noch zu einem Zeitpunkt, da die „Brandmauer“-Debatte seine eigene Partei zu zermalmen droht – und eigentlich ein staatstragendes Auftreten geboten wäre, wenn man sich den Wählern der Mitte als Bundeskanzler in spe andienen möchte.

 

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Friedrich Merz ist Vorsitzender einer zerrissenen Partei, die immer noch nicht willens oder in der Lage ist, sich vom Erbe beziehungsweise von den Hinterlassenschaften Angela Merkels zu lösen – obwohl immer deutlicher wird, welchen Schaden die einstige Bundeskanzlerin während ihrer viel zu langen Amtszeit angerichtet hat. Aber da war sie natürlich nicht allein; die Fraktion ist übervoll von früheren Merkel-Claqueuren und Profiteuren ihrer Regentschaft. Dies zu beklagen ist allerdings wenig zielführend. Wahrscheinlich gebietet es tatsächlich die politische Klugheit, die Altkanzlerin mit allen möglichen Verdienstorden zu behängen – aber gleichzeitig einen neuen Kurs einzuschlagen (übrigens keineswegs nur in Sachen Migration).

Genau dafür ist Friedrich Merz aber der falsche Mann. Und zwar nicht nur wegen seiner Unberechenbarkeit und seiner Neigung zu verbalen Entgleisungen, die es hinterher fast immer zu relativieren gilt. Sondern weil der Mann noch dazu eine gewisse Unversöhnlichkeit ausstrahlt, die entsprechende Abwehrreflexe im Merkel-Lager auslöst und die insbesondere bei weiblichen Wählern auf Unwillen stößt. Mal ganz davon abgesehen, dass es nie besonders souverän erscheint, die Inanspruchnahme konkreter Sozialleistungen (Zahnersatz) durch konkrete Gruppen (abgelehnte Asylbewerber) zu kritisieren.

Es wird einsam um ihn

Die Bundesrepublik mag inzwischen in mancherlei Hinsicht ein gespaltenes Land sein, zumindest eines mit wachsenden Rändern. Aber Sympathien (und damit auch Wahlen) werden immer noch in der Mitte gewonnen. Das klingt banal und vielleicht auch irgendwie langweilig, dürfte aber tatsächlich nicht ganz falsch sein. Die meisten Menschen in diesem Land wünschen gerade keine Polarisierung, zu der Friedrich Merz aufgrund seines Naturells und wahrscheinlich auch wegen seiner politischen Biografie immer wieder neigt. Sondern echte Lösungen für bestehende Probleme. Sein Angebot eines „Deutschland-Pakts“ an Olaf Scholz zur Begrenzung  der Migration dürfte vielen konsensorientierten Bundesbürgern deshalb aus der Seele sprechen.

Mit provokativen Aussagen zu Gebissreparaturen für Ausländer auf Kosten des Steuerzahlers nimmt sich der CDU-Vorsitzende dann aber gleich wieder selbst aus dem politischen Konvergenzraum heraus. Und anstatt über problematische Pull-Faktoren redet ganz Medien-Deutschland nur noch über Zahnersatz. Ein ums andere Mal setzt Friedrich Merz den falschen Spin. Das beklagen inzwischen selbst ehemalige Hardcore-Merzianer. Die Folge: Es wird immer einsamer um den Mann aus dem Sauerland.

Die große Frage ist, ob Merz noch einmal die Kurve kriegt. Sein gefährlicher Schlingerkurs zwischen Herumlavieren und Harte-Sprüche-Klopferei hat ihn mittlerweile in die Nähe jener politischen Todeszone gebracht, die einst der glücklose Bundespräsident Horst Köhler erreicht hatte: wenn die Serie an Fehltritten nämlich so lang geworden ist, dass die Meute nur noch auf den nächsten Fauxpas wartet, um dann selbst Kleinigkeiten mit Erfolg zu vermeintlichen Skandalen aufblasen zu können. Horst Köhler warf bekanntlich irgendwann das Handtuch. Wie lange Merz noch durchhält, ist ungewiss. Womöglich muss sich die CDU demnächst schon wieder einen neuen Vorsitzenden suchen.

Es wäre die vierte Auswechselung an der Parteispitze innerhalb von vier Jahren. Den Eindruck von Stabilität vermittelt das nicht.

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