Freie Wähler - Der lange Weg nach Berlin

Die parteipolitische Keimzelle der Freien Wähler liegt in Bayern, ihr Zellkern im Kommunalen. Im September will die Partei in den Bundestag. Wer sind die Freien Wähler? Und wofür stehen sie?

Freie Wähler in Rottenburg an der Laaber: Hubert Aiwanger (links), Alfred Holzner (rechts), Peter Dreier (oben) / Florian Generotzky
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Die politische Dreifaltigkeit erscheint an Fronleichnam auf einem Parkplatz. Der graue Grund liegt leicht erhöht am Rande der Hauptstraße, zwischen dem Radiomuseum und dem Rathaus von Rottenburg an der Laaber. Die Sonne brennt zur Mittagszeit vom niederbayerischen Himmel, doch Trachtenjanker und Trachtenweste sitzen. Die Kleidungsstücke sind zuvorderst Bekenntnis zur Heimat, sie sind aber auch Uniform für den Kampf um den Einzug in den Bundestag.

Die drei Herren, die sie tragen, sind auf Kriegsfuß mit den etablierten Parteien. Die und ihre Heerscharen von Experten, so lautet ein Vorwurf, würden am Reißbrett entwerfen, was den Kommunen das Leben erschwert, bei der Landwirtschaft wie bei der Asylpolitik. Gleichwohl gehören die drei zu den prominentesten Vertretern der Freien Wähler in der Region und stehen stellvertretend für einen politischen Dreiklang aus Kommune, Kreis und Land, den die Partei in Bayern längst erfolgreich zu spielen weiß. 

Bundestag in Sichtweite

Alfred Holzner ist Bürgermeister der Kleinstadt nördlich von Landshut. Peter Dreier ist Landrat. Und der Dritte im Bunde pendelt zwischen München und daheim, weil er seit drei Jahren bayerischer Wirtschaftsminister ist. „Wir wollen nach Berlin, um die Heimat zu retten, bevor sie andere ausradieren“, sagt Hubert Aiwanger in markantem Niederbayerisch. Aus dem Dreiklang soll ein Vierklang werden: Die Freien Wähler wollen den Bundestag knacken. Da fällt die Wortwahl eben etwas derber aus.

In Prognosen liegen die „sonstigen Parteien“ Anfang Juni bei bis zu 8 Prozent – normal sind bei Bundestagswahlen um die 5 Prozent. Auf die Größten unter den Kleinen, die Freien Wähler, entfallen etwa 3 Prozent. Zum Lohn listet die Forschungsgruppe Wahlen die Partei nicht mehr unter „Sonstige“, sondern nennt sie beim Namen. Das erhöht die Wahrnehmbarkeit. Der Bundestag ist für die Freien Wähler noch nicht in greifbare, wohl aber in sichtbare Nähe gerückt. 

Die bundespolitischen Ambitionen sind nur konsequent. Auf kommunaler Ebene sind die Freien Wähler eine Institution. Seit 2014 sitzen sie im EU-Parlament, in Bayern regieren sie seit 2018 mit der CSU. Und im März gelang der Einzug in den Landtag von Rheinland-Pfalz; der größte Erfolg jenseits Bayerns. Auch in Brandenburg sitzen seit 2014 Freie Wähler im Landtag. Und doch ist die Partei vielen Bürgern noch immer eine große Unbekannte, außerhalb des Freistaats wird sie gar als „Bayernpartei“ wahrgenommen. Wer sind sie also, die Freien Wähler? Und was wollen sie? 

Komplizierte Organisation

Seit den 1950er Jahren haben sich bundesweit kommunale und regionale Wählergemeinschaften gebildet, die parteiunabhängige Kandidaten in die Kommunalwahlen schickten. In Bremen genauso wie in Bayern, wo sich heute etwa die Hälfte aller Stadt- und Gemeinderäte den Freien Wählern zurechnen lassen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Skepsis gegenüber den etablierten Parteien – die oft als liebevoll kultivierte Abneigung daherkommt – und der Anspruch, Politik mit gesundem Menschenverstand zu machen. Allerdings reicht der allein nicht aus, um sie zu greifen. 

Denn die Strukturen, die sich hinter der politischen Marke „Freie Wähler“ verbergen, sind kompliziert: Die Freien Wähler gliedern sich zwar in Bundes-, Landes-, Kreis- und Ortsverbände, die aber unabhängig voneinander agieren. Das heißt, dass politische Akteure Mitglied eines Ortsverbands sein können, der dem Landesverband angehört. Oder Teil eines Ortsverbands, der unabhängig vom Landesverband agiert, ihm also nie beigetreten ist. Ein gutes Beispiel für die verwirrende Organisation sind die Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler, seit 2014 im Landtag. Die haben die Partei zwar im Namen, kooperieren mit ihr, sind aber nicht Teil der Bundesvereinigung Freie Wähler. 

Der Begriff „Freie Wähler“ ist überdies nicht schützenswert. Es gibt unterschiedliche Abkürzungen wie „FW“ oder „UWG“ und diverse Schreibweisen. Manche nennen sich „Bürgerbündnis“, andere „Gemeinschaft“. Da es dem Bundesverband juristisch nicht erlaubt ist, als Partei anzutreten, geht im September eine „Bundesvereinigung der Freien Wähler“ ins Rennen. Die Bundeszentrale für politische Bildung stellt fest: „Bei den Freien Wählern handelt es sich um einen überaus heterogenen Untersuchungsgegenstand.“ 

Schizophren

Die Suche nach mehr Klarheit führt ans Westufer des Starnberger Sees. In Tutzing residiert die Akademie für Politische Bildung in einem imposanten Anwesen samt Rosengarten. Ursula Münch ist Professorin für Politikwissenschaft und seit 2011 Direktorin der Einrichtung. Selbst die ausgewiesene Expertin für Innenpolitik nennt die Strukturen der Freien Wähler „verwirrend“.

Folgt man Münch, bilden sie ein „Kontrastprogramm zum urbanen Milieu“. Die Zahl ihrer Mitglieder, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sei gering. Menschen mit dezidiert akademischem Lebenslauf wie der bayerische Kultusminister Michael Piazolo seien die Ausnahme. „Interessant ist, dass die Freien Wähler nie eine Partei sein wollten“, sagt Münch. Dass sie es heute dennoch sind, sei „ein bisschen schizophren“. 

Gemäßtigter Populismus

Kritik an den politischen Ambitionen kommt auch aus den eigenen Reihen. Der Ärger ging mit der ersten Parteigründung in Bayern Ende der Neunziger los. Das ist auch der Grund, warum die Freien Wähler so oft als bayerische Partei wahrgenommen werden. Noch im Januar 2019 kündigte die Stadtratsfraktion der Freien Wähler im Städtchen Treuchtlingen der „Aiwanger-Partei“ die Gefolgschaft. Er werfe sich Söder „an die Brust“, so der Vorwurf. Andere Freie Wähler strafen ihresgleichen, indem sie auf kommunaler Ebene zwar unter gleicher Flagge wirken, sich aber nicht weiter um die Partei scheren – eine Art stiller Protest. 

Kann man also Partei sein, ohne Partei zu sein? Und wie will man Politik in Berlin machen, ohne nicht auch Teil des politischen Establishments zu werden? Eine ähnliche Schizophrenie kennt man von der AfD. Politikexpertin Münch winkt aber ab. Zwar bedienten sich die Freien Wähler im Wahlkampf auch mal „populistischer Sprache“, gegen Populismus im politikwissenschaftlichen Sinne – etwa durch Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen – seien sie aber gefeit. Die Freien Wähler in Bayern, so Münch, seien eine „sehr gesittete Truppe“. Sie sagt: „All das Unappetitliche, das Extremistische und das Rechtsextreme, das die AfD anzieht, zum Teil verkörpert und bewusst schürt, sind die Freien Wähler definitiv nicht.“ Dennoch, so Münch, seien sie eine Konkurrenz für die AfD. Aber nicht nur für die, sondern auch für Union und FDP. 

Wählerpotenzial ist vorhanden

Ihren Erfolg im Freistaat – 2018 holten sie fast 12 Prozent – hat die Partei auch maßgeblich der CSU zu verdanken. Die Freien Wähler profitierten von einer geschwächten CSU, die an den Wahlurnen teilweise für die Flüchtlingspolitik von Merkel abgestraft wurde. Über Jahrzehnte hatte die CSU genau jenen Acker bestellt, auf dem die Freien Wähler heute gedeihen können. 

Aber kann Ähnliches auch jenseits des Freistaats gelingen? In den östlichen Bundesländern scheinen 3 Prozent die magische Grenze zu sein. „Die Freien Wähler im Osten sind eine Verlegenheitspartei für alle, welche die Union nicht mehr wählen mögen, die Grünen schon gleich gar nicht wollen, und denen die AfD zu krass ist“, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Extremistische Tendenzen seien aber auch hier nicht zu erkennen, die Abgrenzung zur AfD ist klar. Patzelt glaubt grundsätzlich an Platz auf dem Wählermarkt, weil die Bindekraft der etablierten Parteien zu gering geworden sei. Allerdings habe die AfD „aufgrund der für sie sehr günstigen politischen Großwetterlagen diese Nische im Osten stärker als alle anderen besetzt“.

Psychologisch wichtig war für die Freien Wähler der Erfolg in Rheinland-Pfalz im März. Der Wahlkampf erinnerte an die Landtagswahl in Bayern: Kernthemen waren die finanzielle Lage der Kommunen, innere Sicherheit und Widerstand gegen allzu restriktive Maßnahmen bei der Corona-Bekämpfung. Mit diesen Themen, so Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft in Trier, hätten sie bei den Wählern gepunktet, auch hier eher in den ländlichen als in den städtischen Kommunen. „Die Freien Wähler wirken sehr stark in das sogenannte bürgerliche Spektrum hinein.“ 

Gegen Berliner Weltfremde

An den Stufen des neuen Rathauses plätschert ein Brunnen vor sich hin, auf ihm ein gusseiserner Reiter, der von seinem Ross herab einen Drachen mit dem Speer durchbohrt. Die Skulptur bildet Sankt Georg ab, der eine jungfräuliche Prinzessin rettet und sich anschließend taufen lässt. Ist der Drache die Berliner Politik? Aiwanger lacht. „Nein“, sagt er, „der Drache ist Frau Merkel.“ Da ist es wieder, das Derbe. Auf dem Land nimmt man kein Blatt vor den Mund.

Rottenburg mit seinen 8500 Einwohnern gilt als Keimzelle der Freien Wähler in Bayern. Die Stadt taugt als Abbild der Bodenständigkeit, die sich die Freien Wähler zuschreiben; Rottenburg an der Laaber, das ist bayerischer Anstrich, ohne Postkartenmotiv zu sein. Seit 2008 ist Alfred Holzner im Amt. Während eines Spaziergangs erzählt der Bürgermeister von den Erschütterungen, die die Berliner Flüchtlingspolitik in sein Städtchen brachte. „Berlin hat uns im Stich gelassen“, sagt er. 

Holzners Erfahrungen decken sich mit denen vieler Kommunalpolitiker. Er erzählt von dem jungen Asylbewerber Ali, der sich fleißig eine Zukunft in Deutschland aufbauen will, und den die Gemeinde gerade noch vor der Abschiebung bewahrte; vorerst jedenfalls. Er berichtet aber auch von „Schwarzafrikanern“, die Sprachkurse schwänzten und Ärger machten. Holzner sagt: „Ausländer sind nicht besser oder schlechter als Deutsche, aber alle müssen sich an die Regeln halten.“ 

Fast immer sachlich

Sein Parteifreund Peter Dreier, von Beruf Verwaltungsfachwirt, ist seit 2014 Landrat. In den Bundestag will er nicht, dennoch dürfte sich mancher in Berlin noch gut an ihn erinnern. Dreier wurde 2016 bundesweit mit einer „Verzweiflungsaktion“ bekannt, wie er es nennt: Aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik setzte er 31 anerkannte Asylbewerber aus Syrien in einen Bus und schickte sie von Landshut vor das Kanzleramt. Die Berliner Politik war außer sich. 

Mit der Aktion wollte Dreier auf die Probleme bei der Unterbringung von Asylbewerbern aufmerksam machen. „Wir schaffen es nicht“, hatte er Monate zuvor an die Kanzlerin geschrieben. Sein Parteikollege Aiwanger sagt: „Die Kommunen haben es geschafft, nicht die Merkel.“ 

Manche Aktionen, manche Sätze der Freien Wähler mögen populistisch sein oder klingen. Wer sie einordnen will, braucht gleichwohl den Kontext. Beobachtbar ist, dass sich die Wut der Freien Wähler stets an der Sache entzündet, nicht an einer Person – von Frau Merkel vielleicht abgesehen – oder gar an „dem“ System in Gänze. Dumpfes Parteien­bashing ist nicht ihr Stil, auch nicht das Diffamieren der politischen Konkurrenz. 

Urbane und ländliche Wahlmotive

Das liegt an den Freien Wählern selbst, die als Partei organisch gewachsen sind und daher qua Herkunft gewisse Abwehrkräfte gegen Extremismus entwickelt haben. Das liegt zum anderen an den natürlichen Verbündeten der Freien Wähler, die bisweilen stinksauer auf den Berliner Politikbetrieb sein mögen, ansonsten aber fest in ihrer Kommune verankert sind. Eine intakte Gemeinschaft ist auch ein Korrektiv gegen das geistige Abdriften. 

Auf dem Dorf und in den Kleinstädten werden die Freien Wähler von Landwirten genauso gewählt wie von mittelständischen Unternehmern, von Menschen, die sich ehrenamtlich im Fußballverein engagieren oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Die Schnittmengen mit der Wählerschaft der Union sind offensichtlich. In den Großstädten und Metropolen sprechen sie Liberale an, die ihre Stadtteile als Lebensräume begreifen, die Nachbarschaft als Gemeinschaft, die aber keine Linken sind.

Für die Freien Wähler hat sich das Umfrageinstitut Insa Ende Mai bundesweit umgehört. Die Ergebnisse liegen Cicero exklusiv vor. Demnach wünschen sich ein Viertel der über 2000 Befragten, dass die Freien Wähler in den Bundestag einziehen. 43 Prozent der AfD-Wähler und 36 Prozent der FDP-Wähler würden das begrüßen. Unterstützer der CDU und CSU (40 Prozent) und der SPD (44 Prozent) lehnen die Freien Wähler im Bundestag mehrheitlich ab. Den einen sind sie wohl zu ähnlich, den anderen zu fremd. 

Schwerpunkte im Wahlprogramm

Ein Drittel der Befragten beantwortete die Frage nach einem Einzug der FW in den Bundestag allerdings mit einem Achselzucken: „Weiß nicht.“ Die Umfrage lässt zwei Schlüsse zu: Erstens wäre, nachdem die Fünf-Prozent-Hürde überwunden ist, auf Bundesebene wohl auch ein zweistelliges Ergebnis der Freien Wähler drin. Zweitens muss die Partei dringend ihr Profil schärfen. Dafür wäre ein Platz im Bundestag zwingend.

Das 85-seitige Wahlprogramm der Freien Wähler zur Bundestagswahl 2021 hilft fürs Erste aber auch. In ihm finden sich viele Positionen, die von einer „modernen, liberal-konservativen Partei“, wie die Freien Wähler sich selbst beschreiben, zu erwarten sind, inklusive des üblichen kommunalen Anstrichs. Die Freien Wähler fordern etwa klare Regeln für eine Einwanderung nach Deutschland und in die Europäische Union. „Die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition war ein Fehler“, steht im Wahlprogramm. 
Die Kritik der Partei an der Corona-­Politik der Bundesregierung setzt sich in dem Papier fort. Die Freien Wähler trommeln schon länger gegen einschneidende Maßnahmen wie Ausgangssperren bei der Pandemiebekämpfung und die sogenannte „Bundes-Notbremse“, klagten sogar dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. 

Allerdings hatten sie noch im Winter gemeinsam mit der CSU Ausgangssperren für Bayern beschlossen. Dass Aiwanger dennoch medienwirksam nach Berlin reiste, um sich mit Klageschrift ablichten zu lassen, kommentierte der CSU-Politiker Florian Herrmann spöttisch: „Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ihm ein gewisses Bundeswahlkampffieber da die Sinne etwas vernebelt.“ 
Im Wahlprogramm fordern die Freien Wähler nun ein „Entschädigungsgesetz für Lockdown-Betroffene“, zudem wollen sie kommunale Krankenhäuser ausbauen, Bürokratie abbauen, den Breiten- und Spitzensport sowie das Ehrenamt fördern. Die Familie soll gestärkt werden, womit sie hetero- wie homosexuelle Lebensgemeinschaften meinen. 

Die konservativen Grünen?

Auf den 85 Seiten finden sich weitere Überraschungen. Die FW gendern im Wahlprogramm mit Stern, was intern für Diskussionen sorgte. Außerdem fordert die Partei eine EU-Armee sowie eine liberale Drogenpolitik, inklusive der Legalisierung von Cannabis. Nur auf den ersten Blick überraschend ist, dass es im Wahlprogramm ein ausführliches Kapitel zum Klima- und Umweltschutz gibt. 

Die Partei tritt für Grundwasser-, Meeres- und Küstenschutz ein, will den Flächenverbrauch reduzieren, auf Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit setzen, Lebensmittelverschwendung stoppen, eine CO2-Kennzeichnung auf Nahrungsmitteln durchsetzen und die „Plastikflut stoppen“. Außerdem begrüßen die FW den Atomausstieg und wollen mehr Geld in die Entwicklung erneuerbarer Energien pumpen. Beim Thema Mobilität setzen sie auf Wasserstoff. Man könnte auch sagen: Es gibt Teile im FW-Programm, die sich einer progressiven Wählerschaft problemlos als Forderungen der Grünen unterjubeln lassen. Die Losung ist simpel: Wer die Heimat bewahren will, muss sie auch schützen. Sind die Freien Wähler also die anderen, die konservativen Grünen? 

In Rottenburg führt die letzte Etappe des Tages hinaus in den Wald. Auch der ist, wenn man so will, ein natürlicher Verbündeter der Partei. Aiwanger, Sohn eines Landwirts und Diplom-Agraringenieur, hat eigene Wälder. In anderen hilft er als Jäger den Wildbestand zu regulieren. Sein Bruder Helmut hat in Rottenburg, gleich ums Eck von Aiwangers Wahlkampfbüro, einen Waffenladen – was zumindest Stoff für gute Pointen liefert. 

Aber bitte mit Freiheit

Man muss mit dem Finger nur fragend auf einen Baum oder Strauch zeigen, und Aiwanger weiß Antworten. Wer will, kann sich von ihm die Vorteile der Dreieckssaat erklären lassen, oder wann der Jäger auf dem Hochsitz zu sein hat, um Rehe und Wildschweine zu schießen. 

Die Grünen sehen die Natur zuvorderst als etwas, das geschützt werden muss. Dafür wollen sie den Einfluss des Menschen auf Umwelt und Klima radikal reduzieren. Der Ansatz der Freien Wähler ist pragmatischer: Sie plädieren für einen Klima- und Umweltschutz, der auf Kompromisse zwischen Mensch und Natur setzt, und nehmen für sich in Anspruch, „ideologiefrei“ zu sein, auch über den Klima- und Umweltschutz hinaus. „Wir dürfen die Freiheitsrechte der Bürger nicht ohne Not aufgrund von ideologischen Debatten einschränken“, sagt Aiwanger. Das gelte für die Freiheit, Motorrad zu fahren oder Fleisch zu essen. Das gelte für die Meinungsfreiheit, die durch Political Correctness bedroht sei. Und es gelte für ein „gesellschaftliches Korsett“, das, so der bayerische Wirtschaftsminister, schon viel zu eng sitze. 

Der Tag war lang, doch wenn’s um die Freiheit geht, wird Aiwanger noch mal munter. Seine Vorbilder seien keine Politiker, sondern die Helden seiner Kindheit: Winnetou und Robin Hood. Man könnte es auch so formulieren: Die Freien Wähler stehen Speer bei Fuß, um die Interessen des kleinen Mannes gegen den nächsten Berliner Drachen zu verteidigen. Das Volk muss sie nur noch rufen.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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