Die Freien Wähler empfehlen sich als Alternative zur Union - „Wir sind reif für den Bundestag“

Nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg droht der Union Gefahr in Gestalt der Freien Wähler. Die „Partei des gesunden Menschenverstands“ könnte zur neuen Alternative für Bürger werden, die von der angegrünten Merkel-Laschet-CDU enttäuscht sind und keine Ampel wollen.

In Bayern ist Parteichef Hubert Aiwanger mit den Freien Wählern bereits angekommen / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Mag sich Olaf Scholz unter Hintanstellung hanseatischer Zurückhaltung bereits als der nächste Kanzler inszenieren: Die CDU/CSU tut gut daran, in den Grünen den gefährlicheren Gegner zu sehen. Denn diese Wohlfühlpartei hat für breite Schichten in der politischen Mitte das richtige Angebot: Klima, Friede, Frauenpower und obendrein für jede Minderheit besondere Privilegien. Was will der w/m/d-Mensch mehr?

Doch droht der Union noch von anderer Seite Gefahr – von den Freien Wählern (FW). Die haben am Sonntag in Rheinland-Pfalz die FDP überholt und sind mit 5,4 (2016: 2,2) Prozent in den Landtag eingezogen. Am selben Tag haben es die Freien Wähler in Baden-Württemberg aus dem Stand auf drei Prozent gebracht, angesichts eines Wahlkampfs unter Corona-Bedingungen ein beachtliches Resultat. In Bayern sitzen die Freien seit 2018 bereits als Juniorpartner der CSU in der Regierung, und in Brandenburg haben sie 2019 mit 5,0 Prozent den Einzug ins Landesparlament geschafft, was der dortigen FDP nicht gelang.

Bürgerlich-konservative Wähler

Die jüngsten Wahlergebnisse beflügeln den FW-Bundesvorsitzenden Hubert Aiwanger, im Hauptberuf bayerischer Wirtschaftsminister und Vize von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), es im Herbst im Bund zu versuchen. Seine Zielgruppe sind bürgerlich-konservative Wähler, vor allem Mittelständler und Selbständige.

Die haben die FW in Rheinland-Pfalz jetzt ins Parlament gebracht. Die (mit Vorsicht zu genießenden) Analysen der Wählerwanderung haben ergeben, dass die 103.000 FW-Stimmen zwischen Weinstraße und Westerwald zu einem Viertel von FW-Stammwählern kamen, zu 20 Prozent von der CDU, zu 10 Prozent von Nicht- und Erstwählern und zu 9 Prozent von der FDP, der Rest von den übrigen Parteien.

Lust auf mehr

Die Freien Wähler sind in vielen Regionen Deutschlands kommunal fest verankert, haben aber auch weiße Flecken auf der politischen Karte, zum Beispiel in Hamburg und Berlin. Sie bieten sich den Wählern als „Partei des gesunden Menschenverstands“ an – pragmatisch, unideologisch, nicht eingebunden in eine bundesweite Programmatik. Das geht frei nach dem Motto: Es gibt keine rote und keine schwarze Ortsumgehung, sondern nur vernünftige und unvernünftige Lösungen. 

Ob das als Basis für ein Wahlprogramm mit Aussagen zur Außen-, Energie oder Rentenpolitik ausreicht, ist fraglich. Bei der Bundestagswahl 2017 kamen die Freien Wähler lediglich auf ein Prozent. Aber damals hatten manche Landesverbände den bundespolitischen Auftritt, dessen treibende Kraft Aiwanger war, nur halbherzig unterstützt. Auch in diesem Jahr ist es offen, ob sich die FW-Kommunalpolitiker geschlossen in den Kampf um Berlin stürzen werden, statt sich auf das eigene Rathaus zu konzentrieren. Aber die Erfolge vom Sonntag könnten Lust auf mehr machen. 

Wer gewinnt und wer verliert

In den Städten und Kreisen bekommen die Freien Wähler besonders viele Stimmen von Bürgern, die im Bund oder im Land ihr Kreuz bei CDU und FDP machen. Das könnte im Superwahljahr 2021 anders werden. Wie die jüngsten Landtagswahlen gezeigt haben, sind nicht wenige Wähler von der sozialdemokratisierten, angegrünten Merkel-Laschet-CDU enttäuscht und trauen der Lindner-Wissing-FDP wegen deren Annäherungen an SPD und Grüne nicht recht. Obendrein sind ihnen die Grünen mit ihrem Tempolimit, mit ihren Steuererhöhungsplänen, mit ihrer Identitätspolitk und ihrem Gendergaga nicht geheuer. 

Vor allem aber strapazieren das Impfdesaster und der Wirrwarr beim Testen die Nerven des Wahlvolks. Die schleppende Auszahlung von teilweise völlig unzureichenden Corona-Hilfen und die Gefährdung vieler wirtschaftlicher Existenzen durch die ständigen Lockdowns unterschiedlicher Intensität führen zu einer Stimmung, die sich ein Ventil sucht.

Wer seinen Ärger und seine Enttäuschung mit dem Stimmzettel abreagieren will, könnte in den Freien Wählern das gesuchte Ventil finden. Die sind nämlich – Stand heute – frei von rechtsradikalen Wirrköpfen, die zunehmend das Bild der AfD prägen. Somit könnten die Freien Wähler zur neuen Alternative werden – für demokratische Wutbürger. 

„Operation Berlin“

Für die CDU/CSU wie für die FDP könnte es gefährlich werden, wenn eine neue Partei, die an die CDU der 1980er-Jahre erinnert, in ihrem Revier wildert. Allerdings muss Aiwanger es erst einmal schaffen, in der relativ kurzen Zeit bis zum 26. September alle FW-Landesverbände für die „Operation Berlin“ zu begeistern. Zudem müsste die FW klare Kante gegenüber der AfD zeigen und eine Kandidatur von ehemaligen AfD-Politikern kategorisch ausschließen. 

Das alles wird nicht einfach. Selbst wenn Aiwanger und die Seinen im Bund nur 3 oder 4 Prozent holten, täte das CDU/CSU und FDP sehr weh. Aiwanger preist seine Gruppierung an für alle, „die gegen Schwarz-Grün, gegen eine Ampel-Koalition und erst recht gegen Grün-Rot-Rot sind.“ Doch sollten die Freien Wähler relativ knapp an der 5-Prozent-Hürde scheitern, würden das CDU/CSU und FDP schaden und genau den Parteien helfen, die sie nicht in der Regierung sehen wollen: Grüne, SPD und Linke. Aiwanger stört das nicht: „Wir sind reif für den Bundestag.“    

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