Debatte um Frauenförderung in der CDU - Quoten sind im Kern undemokratisch

Auf dem Bundesparteitag der CDU in zwei Wochen soll eine Frauenquote eingeführt werden. Doch das wird weder zu mehr weiblichen CDU-Mitgliedern noch zu mehr CDU-Wählerinnen führen. Es ist vielmehr kontraproduktiv und kann sogar demokratiefeindlich sein. Das Leitbild der Demokratie ist der mündige Bürger, der wählt und sich zur Wahl stellt. Nicht aber die arithmetische Repräsentation von Gruppen und Interessen.

Abgeordnete sind Vertreter des gesamten deutschen Volkes, nicht eines bestimmten Geschlechts / dpa
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Autoreninfo

Matthias Zimmer ist Politikwissenschaftler und war von 2009 bis 2021 für die CDU Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt. Er ist Hessischer Landesvorsitzender der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).

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Die CDU will auf ihrem nächsten Bundesparteitag, auf dem ich als Delegierter teilnehmen werde, eine verbindliche Frauenquote beschließen. Die fortschrittlichen Kräfte jubeln, Quoten sind modern, zeitgemäß. Andere Parteien haben eine Quote, warum nicht auch die CDU? Schließlich geht es darum, Frauen gemäß ihrem Anteil in der Bevölkerung auch an Ämtern und Mandaten in der CDU zu beteiligen. Die Hälfte der Welt gehört den Frauen. Das muss sich nun auch exemplarisch in der CDU zeigen. 

Nun könnte man einer Quote etwas abgewinnen, wenn das Ziel wäre: Wir wollen den Anteil der Frauen in der CDU erhöhen. Das wäre ein geschickter Schachzug: Durch Überrepräsentation weibliche Neumitglieder gewinnen. Denn der Anteil der Frauen in der CDU liegt seit etwa 30 Jahren ziemlich konstant bei etwa 26 Prozent. Das bedeutet allerdings auch: Schon die Einführung eines Drittelquorums, noch unter Helmut Kohl und seinem Generalsekretär Peter Hintze Mitte der 90er-Jahre, hat offenbar keine spürbare Auswirkung auf die Anzahl weiblicher Mitglieder gehabt. Sollte also jemals dies auch eine Begründung für die Einführung des Quorums gewesen sein, kann man nur konstatieren: Mit dieser Absicht ist man gescheitert. Überrepräsentation in Ämtern und Mandaten führt nicht dazu, dass mehr Frauen sich für eine Mitgliedschaft in der CDU entscheiden.

Quoten erfüllen nicht ihren Zweck

Nun könnte man erstens einwenden: Das Quorum hat einen gewissen Grad an Unverbindlichkeit und hat deswegen nicht gewirkt. Machen wir eine verbindliche Quote, sieht die Welt anders aus. Mit anderen Worten: Die Dosis muss erhöht werden, damit das Mittel wirkt. Aber auch hier gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang. Die SPD beispielsweise hat den Anteil weiblicher Mitglieder seit 1969 stetig erhöht. Die 1988 bzw. 1998 eingeführten Quoten scheinen darauf keinen Einfluss gehabt zu haben. Der Anstieg zwischen 1969 und 1988 (vor der Quote) war geringfügig höher als der zwischen 1988 und 2019 (mit der Quote). Kein überzeugendes Argument also für die Quote. 

Man könnte zweitens einwenden: Das hat mit Mitgliederwerbung nichts zu tun, sondern wir wollen repräsentativ sein. Sofort schließt sich die Frage an: Warum? Vielleicht gewinnt man so mehr weibliche Wähler, und das wäre immerhin ein gutes Argument. Freilich müsste dann gezeigt werden: Die Überrepräsentation hat direkte Auswirkungen auf das Wahlverhalten von Frauen, weil sie aus diesem Grund die CDU wählen. Wiederum ein Blick in den Anteil weiblicher Wähler der CDU seit 1990 zeigt: Aus den Zahlen heraus ergibt sich keine direkte Korrelation. Die Zahlen sind mal rauf, mal runtergegangen, ein Trend lässt sich jedenfalls nicht erkennen. Zumindest eines lässt sich erkennen: Überrepräsentation führt nicht zu höheren Wahlanteilen von Frauen.

 

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So bleibt der Verdacht: Überrepräsentation ist ein Instrument des Machtkampfs innerhalb einer Partei um Ämter und Mandate. Also kein Instrument der Gleichberechtigung oder was es an hehren Zielen geben mag, sondern schlicht ein Instrument des Machtkampfs. Das ist in sich nicht illegitim, denn häufig verkleiden sich Machtfragen als normative Fragen. Aber auch hier stellen sich zwei Probleme.

Gleichstellung in ihrer identitären Variante

Das Argument, Frauen müssten deshalb zu 50 Prozent vertreten sein, weil sie ja auch die Hälfte der Bevölkerung stellen, unterstellt zunächst einmal, dass Frauen gleiche Interessenlagen haben wie Männer. Dieser Idee scheint mir auch die Idee der Gleichstellung zugrunde zu liegen, zumindest in ihrer identitären Variante. Damit einher geht die Überzeugung, dass es grundsätzlich gut und geboten ist, wenn Frauen ebenso wie Männer im Arbeitsleben stehen, Kinder und Beruf schon irgendwie – meist mit Hilfe staatlicher Unterstützungsstrukturen – vereinbar gehalten werden. Fast schon aus dem letzten Jahrtausend scheint daher die Idee, die vor wenigen Jahren von der CSU lanciert wurde, nämlich Wahlfreiheit auch durch finanzielle Unterstützung nicht berufstätiger Mütter zu ermöglichen. Das Argument war: Sie nehmen keine staatlichen Unterstützungsstrukturen in Anspruch, folglich sollten sie ein wenig entlastet werden, damit staatliche Gelder nicht einseitig zur Förderung von Berufstätigkeit von Müttern ausgegeben wird. Man mag sich trefflich darüber streiten, ob dies ein modernes Frauenbild ist, Tatsache ist aber: Es kommt in der Lebenswirklichkeit nicht eben selten vor, auch wenn es von einigen mild belächelt wird.

Die Quote kann neue Ansprüche wecken 

Aber wenn es gute Gründe gibt, warum sich Frauen gegen eine Fortführung ihres Berufs mit Eintritt in die Familienphase entscheiden, gibt es ebenso gute Gründe, warum sie weniger stark als Männer den Wunsch verspüren, in eine Partei einzutreten und sich aktiv betätigen. Der Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2022 gibt dazu einen Hinweis. Frauen engagieren sich demnach häufiger in Bereichen wie Religion und Kirche, Schule und Kindergarten, im gesundheitlichen und sozialen Bereich. Männer hingegen sind stärker vertreten im Sport, in der Politik und Interessenvertretung, im Unfall- und Rettungsdienst sowie der Feuerwehr. Vermutlich sind diese unterschiedlichen Interessenlagen auch der Grund für eine schwächere Vertretung von Frauen in politischen Parteien. Freilich wäre dann der Aufweis zu erbringen, dass sich durch Quoten diese Interessenlagen ändern.

Ein zweites Argument wiegt schwerer. Wenn Parteien in ihren Führungspositionen Repräsentativität anstreben, warum dann bei der Geschlechterrepräsentativität stoppen? Was ist mit einer repräsentativen Vertretung von muslimischen Menschen oder solchen, die sich zur LGBTIQ-Community zählen? Wie steht es mit ethnischen Minderheiten, wie mit Menschen mit Behinderungen? Welche Ansprüche können junge Menschen erheben, wie müssen Alte repräsentiert sein? Ist die Tür der Quote erst einmal geöffnet, wird es schwer sein, Ansprüche anderer Gruppen auf repräsentative Vertretung auszuschließen. Das Resultat ist ein heilloses Durcheinander. Auf welche Quote beispielsweise wird eine junge, lesbische Frau angerechnet? Auf welche ein alter, behinderter muslimischer Mann? Oder, dramatischer: Hat dann derjenige überhaupt keine Chancen mehr, am demokratischen Prozess aktiv teilzuhaben, der keinerlei besonderen Identitätsstatus für sich ins Feld führen kann, also beispielsweise ein mittelalter, deutscher, heterosexueller und weißer Mann? Das sind keineswegs banale Fragen, wenn identitätspolitische Überlegungen die Überhand gewinnen. Sie zeigen aber: Diese Berücksichtigung von Gruppen führt in einer Demokratie in die Irre. Mehr noch: Damit wird die Grundidee der Demokratie außer Kraft gesetzt.

Der Abgeordnete ist identitätspolitisch nackt

Das Grundgesetz sieht es für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ganz einfach: Abgeordnete sind Vertreter des gesamten deutschen Volkes. Nicht Vertreter des Wahlkreises, nicht Vertreter einer Interessengruppe, nicht Vertreter einer Altersgruppe oder einer ethnischen Zugehörigkeit, nicht Vertreter einer sexuellen Orientierung und eben auch nicht Vertreter eines bestimmten Geschlechts. Das ist der Kern der Demokratie. Sie ist blind gegenüber solchen Zuordnungen, sie ist blind gegenüber Armut und Reichtum, blind gegenüber Herkunft und Verdiensten, gegenüber Berufen und Konfessionen. Der Abgeordnete ist identitätspolitisch nackt. Keine der Zuschreibungen oder Identitäten ist ein Kriterium der Wählbarkeit, sondern einzig und allein: das prozedurale Prinzip demokratischer Mehrheit. 

Es zählt alleine die Mehrheit. Alles andere ist eine Pervertierung von Demokratie, ein Schritt in eine Ständeordnung, in der politische Repräsentation wichtiger ist als das Demokratieprinzip. Das Leitbild der Demokratie ist der mündige Bürger, der wählt und sich zur Wahl stellt. Nicht aber die arithmetische Repräsentation politischer Interessen in der Demokratie. Das Anliegen wird auch nicht verdaulicher, wenn es zeitlich begrenzt wird; kein Mensch glaubt, dass eine Quote, einmal eingeführt, nicht zum allgemeinen, nicht revidierbaren Besitzstand wird. Es ist schade, dass die Parteiführung der CDU meint, mit einer Befristung den Konflikt zwischen Demokratie und Repräsentation aufheben zu können. Manche Konflikte müssen hart ausgetragen und entschieden werden. Ich jedenfalls werde auf dem Bundesparteitag der CDU mit guten Gründen gegen eine verbindliche Frauenquote stimmen.

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