Fragen und Antworten zur Corona-Krise - Anleitung für wahre Konservative in einer Pandemie 

Die Verwirrung ist perfekt. Galt es zu Beginn der Corona-Pandemie als links, das Virus nicht allzu ernst zu nehmen, so war es plötzlich links, sich von niemandem in der Befolgung von Vorschriften übertreffen zu lassen. Was heißt das für Konservative?

Disziplin und Nächstenliebe: Wer konservativ ist, hält sich an Regeln / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Es muss um den 14. März 2020 passiert sein, wieder einmal am Wochenende, wie bereits bei ihrer 180-Grad-Wende in Sachen Atomkraft 2011, dass Angela Merkel innerhalb weniger Stunden die Fronten wechselte und von der Verharmloserin zur Obermahnerin der Corona-Pandemie wurde, der es gar nicht streng genug zugehen konnte. Dieser U-Turn brachte allerdings ihre Verehrer weniger aus dem Konzept als ihre Gegner, vorneweg die AfD.  

Der doppelte Merkel-Gauland-Rittberger lud die Seuche politisch auf und vergiftete jede Analyse und jede staatliche Anordnung in den Augen und Ohren großer Teile der Bevölkerung mit einer mehr oder weniger versteckten ideologischen Botschaft, der es sich mittels vermeintlich bürgerlichem Ungehorsam unbedingt zu erwehren gelte. 

War es vorher links, alle Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus nicht allzu ernst zu nehmen, so war es ab sofort links, sich von niemandem in der Befolgung von Vorschriften, wie sinnvoll auch immer, übertreffen zu lassen. Das umgekehrte galt wenige Stunde später als rechts. Wer Maske trug, gar noch im Freien, auf dem Markt, an der Tankstelle, musste sich auf Facebook seither als Merkel-Büttel, rückgratlosen Anpasser und Schlafschaf beschimpfen lassen, wenn er nicht gleich entfreundet wurde.        

Gut eineinhalb Jahre später sind Verwirrung und Depression perfekt. Vielleicht, so mein Gedanke, lässt sich mittels eines Frage-Antwort-Katalogs ein klein wenig Ordnung in das Durcheinander aus Fakten und Gefühlen bringen. Wenigstens optisch wirkt das ja schon mal übersichtlicher als ein langer Text. 

Woran erkennt man in dieser Phase der Pandemie eine konservative Person?

Eine Konservative, Männer sind mitgemeint, übt sich nach meinem Verständnis zunächst in Disziplin. Das ist leicht, sofern einem der Sinn einer Anordnung – etwa: kein Kunde ohne Einkaufswagen – ohnehin einleuchtet. Dürfen in einen Laden nur 200 Kunden gleichzeitig, dann stellt der Betreiber 200 Wägelchen bereit. Sind die alle, entsteht vor der Tür eine Schlange. Aber es gibt eine gewisse Sicherheit, dass nicht mehr als 200 Menschen gleichzeitig im Laden sind.

Wo also ist hier das Problem?

Es entsteht in dem Moment, in dem es einer schrecklich eilig hat, sein Zug gleich geht und er nur ein Päckchen Zigaretten braucht. Akzeptiert er die One-man-one-caddy-Regel oder macht er großes Trara, geht einfach durch, an allen Wartenden vorbei, weil er sich nichts bieten lässt, und zwingt so das Personal zum Eingreifen?      
 
Aha. Und das wäre dann wohl nicht konservativ?

Nein, das wäre falsch, disziplinlos. Sobald sich das jemand abguckt, muss der Händler ein oder zwei Bedienstete mit Zählwerk an die Tür stellen, die sich dann Zahlen zurufen. Die kosten Gehalt, der Händler erhöht seine Preise, alle drei Tage braucht er neue Aufpasser, weil sich die vorhandenen nicht länger anpampen und bedrohen lassen wollen.  

Dann soll sich halt der Händler nicht zum Handlanger der Regierung machen. 

Das geht ein paar Tage lang gut und dann ist sein Laden zu, er bekommt eine dicke Geldbuße aufgebrummt, geht pleite, erschießt sich und seine Angestellten verlieren ihren Job. Ein Konkurrent weniger; das treibt die Preise noch mehr.

Irgendwo las ich, zu konservativ gehört die christliche Nächstenliebe dazu. 

Super altmodisch, ich weiß, aber in meinen Augen ziemlich aktuell. Ist es Nächstenliebe, wenn ich mich vorbeidrängele und zuletzt einen Händler oder seine Kassiererin in Not bringe, weil meine Zeit wertvoller ist als die anderer Menschen? Oder ich zwingend beweisen muss, dass ich ein toller Hecht bin? 

Was folgt für Konservative aus Disziplin und christlicher Nächstenliebe für die Frage, ob man sich impfen lassen sollte?

Mich stürzt dieser erbitterte Streit ums Impfen in ein Dilemma. Hätte ich noch Großeltern, wäre es selbst bei allergrößten Bedenken für mich so selbstverständlich wie nur etwas, mich impfen zu lassen, wenn ich es schon nicht für mich selbst täte. Dieselben Leute, das ist mein Eindruck, die heute gegen das Impfen ankämpfen, weil Herr Steinmeier und Frau Merkel dazu ermahnen, hätten als erste in der Warteschlange gestanden, wenn dieselbe Frau Merkel es mit ihrem Gesundheitsminister bis jetzt immer noch nicht hingekriegt hätte, ausreichend Impfstoff zu besorgen. 

Sie meinen, es ist also gerade bei der Kanzlerin immer auch ein wenig, sagen wir, situationsabhängig, was sie gerade für wichtig und richtig hält?

So ist es. Wir erinnern uns: Solange es kaum Masken, Schutzanzüge und erst recht noch keine Impfdosen gab, weil Frau Merkels Freundin an der EU-Spitze das Zeug erst einmal in alle Welt verschenkt hatte - solange war das auch für die Kanzlerin und ihren Minister gar nicht so vordringlich. Möglichst nicht darüber reden. Noch gar nicht lange her.

Was folgt daraus?

Ich verlange von einem Konservativen, dass er intelligenter ist als der Durchschnitt der Bevölkerung oder sich wenigstens darum bemüht. Ist er das, wird er sein eigenes Verhalten ganz sicher nicht ausgerechnet an Frau Merkel orientieren. Sie ist ja sogar zu unzuverlässig, um als Kontraindikator zu dienen. Was sie gemacht hat seit 2005 und weiterhin macht, ist in den meisten Fällen verkehrt gewesen, aber eben nicht in allen. Woraus folgt: Je problematischer die Regierungschefin, desto dringender die Einschaltung des eigenen Verstands. 

Ist die Kanzlerin damit eine singuläre Individualeinzelerscheinung?

Eben nicht, was die Lage noch unübersichtlicher macht. Sehen Sie: Nicht einmal Karl Lauterbach liegt ja immer falsch. Der redet so viel am Tag und erst recht nach Einbruch der Dunkelheit – da wäre es ja schon statistisch ein Wunder, wenn da nicht auch immer mal wieder eine zutreffende Feststellung dabei wäre. Zur Orientierung ebenfalls unbrauchbar.

Was bedeutete die Einschaltung Ihres Verstands für die Impf-Entscheidung?

Zunächst war ich im Frühjahr ganz froh, nicht zur ersten Gruppe der Impfberechtigten zu gehören, sondern erst zur zweiten oder dritten. Da dachte ich mir: Erst mal gucken, was da so passiert nach den ersten acht Millionen Dosen. Fallen die Erstanwender um wie die Fliegen, lasse ich es bleiben. Haben sie schwere Nebenwirkungen, wahrscheinlich auch. Vertragen sie es gut, trete ich der Sache näher. Hilft es offensichtlich, ohne nennenswert zu schaden, bin ich dabei. Und am 2. Mai nutzte ich dann die erste Chance, setzte mich Sonntagfrüh ins Auto, fuhr 80 Kilometer ins Impfzentrum und liess mir eine Nadel mit Astrazeneca verpassen, denn was anderes gab es da noch nicht. 

Nebenwirkungen? 

Keine. Nichts gemerkt, nicht erkrankt, alles gut. Am 8. Juli holte ich mir die zweite Dosis mit Biontech, denn Astra war innerhalb kürzester Zeit ohne schlüssige Erklärung bei der Politik in Verschiss geraten, was für mich bis heute ein Paradebeispiel missratener Regierungskommunikation darstellt. Aber egal: Das würde ich jederzeit wieder so machen. 

Und demnächst wird geboostert?

Ich strebe die dritte Impfung Anfang Dezember an, also nach fünf Monaten. Das scheint sich als Empfehlung zu verdichten. Von sechs Monaten ist bereits seltener die Rede. Ich schaue gern, was die Israelis machen. Bei allen Sachen, die mit Verteidigung zu tun haben, sind die weltweit einfach top, weil sie sich als sehr kleines Land, umzingelt von Todfeinden, schlicht keine Fehler und keine Nachlässigkeiten erlauben können, sonst sind sie weg. Die Waffen, die Israel anwendet, sei es in der Armee, sei es in der Medizin, die funktionieren. Kannste drauf vertrauen. Besser als jede korrupte Expertenkommission mit Ausschreibung.    
 
Sind Sie nach der Impfung wieder unbefangener im Umgang mit anderen?

Eher nicht. Ich habe es wie alle genossen, wieder unter Menschen zu gehen, aber wenn, dann doch eher im Freien. Ansammlungen, Disco-Nächte, Tangoabende habe ich unverändert gemieden. Weil ich glaube, dass man diesem Scheißvirus nach wie vor möglichst aus dem Weg gehen sollte. Bloß weil ich Winterreifen drauf habe, ABS und ASR und Gurte, fahre ich bei Schneeregen ja auch nicht weiter so schnell, als ob nichts wäre. Und ich fahre gern schnell, wie ich gerne tanzen gehe. Aber da ist ja was, auch wenn man es nicht sieht. Wenn man es merkt, ist es zu spät. Man muss das Unglück ja nicht provozieren. Muss ich irgendwem etwas beweisen? Nö. Und ich komme auch gut zuhause klar.   

Daraus kann ja nur folgen, dass Sie Impfgegner für dumm halten, oder?

Ganz sicher nicht. Ich habe als Journalist sehr gute Erfahrungen damit gemacht, einen rationalen Kern eines Verhaltens oder einer Einstellung auch dort zu suchen, wo man ihn als Andersdenkender oder Außenstehender auf den ersten, zweiten und auch dritten Blick nie vermuten würde. Impfgegner denken anders als ich, aber ich bin überzeugt, dass sie ebenfalls denken. Sie kommen zu anderen Ergebnissen. Das bedaure ich in diesem Fall sehr, aber deswegen verachte und beschimpfe ich sie nicht. 

Wo sehen Sie die Gründe für diese immer wütendere Verweigerung?

Viele Impfgegner sind misstrauisch geworden, was ja kein Wunder ist angesichts der kolossalen Fehler, die diese Regierung auf anderen Feldern gemacht hat, mit ihrer Energiewende, mit ihrer Asyl- und Einwanderungspolitik, mit ihrem Mehrfachversagen in der Pandemie. Da sagen sich die Leute: Wer vorsätzlich schon so viel Murks und Schaden angerichtet hat, der kann mit seiner Impferei auch nichts Gutes im Schilde führen. 

Klingt nach einem Totalschaden.

So ist es. Trick 17 mit Selbstverarschung. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber die Leute schaden sich dadurch selbst dann auch noch, also doppelt: Erst müssen sie die Folgen einer verfehlten Merkel-Ära ausbaden und dann ziehen sie aus dieser auch noch den falschen Schluss, sich nicht selbst zu schützen, obwohl es mühelos und mit einem Minimum an Risiko möglich wäre. Linke und Linksradikale machen es ja umgekehrt genauso: Hach, Frau Merkels Atomausstieg und ihr Windradwahn und dann sogar offene Grenzen für alle - das war und ist alles so lieb und toll, da muss es ja stimmen, wenn SIE zum Impfen ermahnt und der Herr Steinmeier noch dazu. Eine sehr kurzschlüssige Sichtweise. 

Sie sehen also einen Zusammenhang zum Streit um die unkontrollierte Zuwanderung nach 2015, der die Union zerrissen hat und zu ihrer Verzwergung führte?

Allerdings sehe ich den. Wer die Missachtung des Asyl-Artikels des Grundgesetzes damals kritisierte, wurde genauso zur Schnecke gemacht wie heute jeder Impf-Skeptiker, der es immer noch wagt, Fragen zu stellen und Zweifel zu äussern. Wenn man sich ansieht, wie die Philosophin Svenja Flaßpöhler, die selbst gar keine Impfgegnerin ist, am Montag in der ARD fertig gemacht wurde, weil sie andere Sichtweisen wenigstens diskutieren wollte, von den anderen Studiogästen und auch vom sogenannten Moderator, der kann sich nur an den Kopf greifen. Qualitätsmedien diffamierten sie anschliessend als Botschafterin des Mittelalters. Dabei ist der Zweifel, der offen und angstfrei geäusserte Zweifel, die Wurzel der Aufklärung und der Schlüssel zum Fortschritt, zum grandiosen Erfolg der Wissenschaftsmacht Europa.

Gut und schön, aber was hat dies nun alles mit unseren Atomkraftwerken zu tun?

Ganz einfach: Es geht wie beim Impfen auch dort um eine möglichst sorgfältige Risikoabwägung. Ist der Nutzen einer Impfung für mich und andere deutlich größer als das Risiko? Inzwischen kann man das getrost bejahen. Die Vorteile überwiegen die Risiken derart dramatisch, dass mir jeder Mensch leid tut, der keine Chance hat, sich impfen zu lassen, und sei es, weil er sich selbst dabei im Weg steht. Einen derart gigantischen Feldversuch in kürzester Zeit weltweit hat es in der Geschichte nie gegeben – und das Ergebnis ist eindeutig. Klar: Theoretisch kann in jeder Dosis ein unerkannter Zeitzünder stecken und pünktlich 24 Monate nach dem Pieks fallen wir alle tot um. Aber ist das wirklich auch nur minimal wahrscheinlich? Eher nicht. 

Jahaha. Aber was hat das mit einem A-tom-kraft-wer-herk zu tun?

Hier ist die Risikoabwägung doch vergleichbar: Wenn wir jetzt im Dezember die vorletzten drei abschalten und 2022 die allerletzten drei – wie sehr steigt dadurch die Gefahr eines flächendeckenden, vielleicht mehrere Tage andauernden Stromausfalls? Nicht auf 100 Prozent, aber signifikant. Mir wären 20 Prozent schon zu viel, aber ich kalkuliere eher mit 60 Prozent. Und ein solcher Blackout würde Opfer kosten und Schäden verursachen, die unsere Phantasie offensichtlich überfordern und die unserer Politiker erst recht. 

So. Dagegen müssen wir das Risiko stellen, dass ein AKW, das wir eigentlich jetzt abschalten wollten, in den, sagen wir, kommenden fünf Jahren des Weiterbetriebs hochgeht und Baden-Württemberg unbewohnbar macht. Wie wahrscheinlich wäre das? Ich tippe auf kleiner als 1 zu 100. Aber wir müssen auf die Gefühle der armen Grünen Rücksicht nehmen und Herr FDP-Lindner will wegen dieses Themas keinen Ärger haben. Das sind die Kriterien.

Das heisst: Wer den endgültigen Atomausstieg für Wahnsinn hält, weil viel zu riskant, von der CO2-Bilanz zu schweigen, der sollte sich auch impfen lassen?

Wenn er an die Impf-Frage genauso rational und kühl rechnend herangeht wie an die Atomkraftfrage, kann die Antwort nur lauten: Ja. Alles andere wäre gefühliger Unfug. Und den finden Konservative ja ebenfalls ganz schrecklich. Mit Recht. 

Rationalität, Nächstenliebe, Disziplin. Das erwarte ich von einem Konservativen, der diese Bezeichnung verdient, sonst ist er ein Rechter, Rechtsradikaler, ein Grün-Esoteriker oder was weiß ich, aber kein Konservativer, aufgeschlossen für neue Techniken an der Spitze des Fortschritts. 

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