Flüchtlingspolitik - Zutiefst zynisch

Die humanitäre Lage in den griechischen Flüchtlingslagern hat sich zugespitzt. Die Bundesregierung handelt und erklärt sich bereit, bis zu 1.500 Flüchtlingskinder aufzunehmen. Diese Erklärung ist aber ebenso durchsichtig wie realitätsfern.

Humanitäre Hilfe oder Alibi? Unbegleitete Mädchen sind auf Lesbos in der Minderheit / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die Koalition hat am vergangenen Wochenende nach ihrem Ausschuss im Kanzleramt eine gemeinsame Erklärung abgegeben, mit der alle sehr glücklich waren. Die Bundesregierung wolle bei einer Lösung für etwa 1.000 bis 1.500 Flüchtlingskinder in „schwieriger humanitärer Lage“ helfen.

Dabei handelt es sich laut einer gemeinsamen Erklärung der Regierungspartner um Minderjährige in den Lagern auf Ägäis-Inseln, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind. Die meisten von ihnen seien Mädchen. Auf europäischer Ebene werde „in diesen Tagen“ über eine Lösung verhandelt, hieß es weiter, um in einer „Koalition der Willigen“ die Übernahme dieser Kinder zu organisieren, erklärten die Spitzen von CDU, CSU und SPD.

Entscheidend ist, was nicht drinsteht

In diesem Rahmen stehe Deutschland bereit, „einen angemessenen Anteil zu übernehmen“. Seither wird fieberhaft gefahndet. Nach der Koalition der Willigen ebenso wie nach den 1.500 Mädchen unter 14 Jahren, die alleine in den griechischen Lagern sind. Denn bei Lichte betrachtet ist die Erklärung der Großen Koalition kein glaubhaftes Dokument der Soforthilfe.Sondern ein Lehrbeispiel dafür, wie an der Realität vorbei politische Beschlüse gefasst werden, die scheinbar bei einer humanitären Krise Soforthilfe leisten sollen. Bei der UNO-Flüchtlingshilfe UNHCR in Griechenland heißt es, nur 7,5 Prozent der 5.500 unbegleiteten Kinder auf den Ägäis-Inseln seien Mädchen – in absoluten Zahlen: 412,5. 

Quelle: UNHCR 

Tatsächlich hat die Koalition bei ihrem Wording nicht in erster Line die Belange Bedürftiger im Blick gehabt. Sondern vor allem ihr eigenes Wohl. Denn entscheidend sind nicht die Worte, die Trigger, die Buzzwords, die drinstehen. Sondern jene, die nicht drinstehen. Es wurde jede verbale Tretmiene umgangen, die das Thema bereit hält.

Entwarnungssignal an die Bevölkerung

Es ist nicht mehr von unbegleiteten Minderjährigen die Rede, weil diese inzwischen toxische Formulierung vor dem geistigen Auge vieler in der Bevölkerung junge Männer mit Bartwuchs und allen weiteren potenziellen Eigenschaften wachrufen, die mit dieser hormonell intensiven Entwicklungsstufe im Zusammenhang stehen. Zumal sich in den intensiven Zeiten der vergangenen Jahre viele der auffallend vielen 17-jährigen bei notwenig werdenden Altersüberprüfungen als weitaus älter erwiesen haben.

1000 bis 1500 ist eine Zahl, die ebenfalls vor allem politisch gewählt ist und sich nicht an Bedürftigkeiten orientiert. Zuvor war die Zahl von bis zu 5000 genannt worden, von den Grünen bis hin zu Bundesinnenminister Horst Seehofer. Die Festschreibung von 1000 bis 1500 soll besagen, dass man da weit darunter bleibt. Also auch ein Entwarnungssignal in die Bevölkerung, die nach Meinungsumfragen zur Hälfte kategorisch gegen jede weitere Aufnahme ist.

Folge eines Traumas

Schließlich ist der Wortlaut der Erklärung, sind auch die Äußerungen der Teilnehmer des Treffens, nicht eindeutig, ob sich die Zahl von 1000 bis 1500 auf eine Aufnahme durch eine Koalition der Willigen bezieht, oder auf einen deutsche Anteil. Abgesehen davon, dass sich eine solche Koalition bisher jedenfalls ebenso wenig abzeichnet wie seinerzeit 2015/2016 Länder der Europäischen Union, die bereit gewesen wären, Flüchtlinge, die im Zuge der Willkommenskultur nach Deutschland gekommen waren, dem Nachbarland abzunehmen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in zahlreichen Auftritten angekündigt hatte.

Fazit: Dieses Dokument fühlt sich gut an. Aber es ist als Reaktion auf die akute Not in den griechischen Flüchtlingslagern ebenso zynisch wie die Grenzöffnung Erdogans, auf die die neue Lage zurückgeht. Es wird ein Problem gelöst, das es nicht gibt und eine Koalition beschworen, die sich nicht abzeichnet. Es ist eine Folge des Traumas von 2015, an dem die Handelnden in Berlin bis heute laborieren.

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