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(Enoch zu Guttenberg privat) Familienbande mit historischer Last: Enoch zu Guttenberg mit den Söhnen Philipp (links) und Karl-Theodor

Enoch zu Guttenberg - Familienerbe ist mehr Last als Lust

Zum ersten Mal seit der Plagiatsaffäre des Ex-Verteidigungsminsiters Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) spricht sein Vater Enoch zu Guttenberg ausführlich über die Zeit um den spektakulären Rücktritt und die Folgen für die Familie. Er sagt, er habe keinen Grund, an der Wahrhaftigkeit seines Sohnes zu zweifeln und geht hart mit den Medien ins Gericht.

Baron Guttenberg. Ist der hohe Anspruch der Guttenbergs, der sich durch Generationen zieht, den Ihre Familie im Widerstand gegen Hitler bezeugt, den Ihr Vater bis zu seinem Tod gehalten hat, nicht auch ein unbeschreiblicher Leistungsdruck? Hat man nicht manchmal das Gefühl, immer noch besser sein zu müssen als die Vorväter, und wünscht man sich dabei nicht, die Vorfahren wären ein bisschen weniger beeindruckend gewesen?
Um von mir zu sprechen: Mein eigener Vater war eine sehr öffentliche Person, schon damals sehr viel im Fernsehen. Ein streitbarer, von allen Parteien geachteter Ehrenmann, der, wo immer er auftrat, Aufsehen erregte. Ich habe ihn in jeder Hinsicht bewundert. Natürlich wollte ich ihm immer gefallen, und das war, von allem anderen abgesehen, ein großer Druck.

Im Zusammenhang mit meinen großen Söhnen warnte mich einmal ein enger Freund: „Enoch, pass auf deine Söhne auf, die kennen dich nur mit großem Applaus, die erleben dich auf Konzertreisen vor vollen Häusern, du bist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, nimm diesen Druck für die Buben raus!„ Vielleicht ist das tatsächlich ein enormer Leistungsdruck, unter dem wir da alle stehen. Für mich war dieses Erbe immer mehr Last als Lust, aber ich kenne es nicht anders und habe es auch so weitergegeben. Die Maxime war immer: Wer so einen Namen, so eine Stellung hat, muss dem Anspruch immer neu gerecht werden. 

Hätte man es sich nicht leicht machen können, indem man den Ball flach hält, den Titel nicht mehr verwendet und einfach nur als ein Herr Guttenberg auftritt? 
Hören Sie, eine Kuh steht dazu, dass sie eine Kuh ist. Dafür liebe ich meine Familie viel zu sehr, mit allem, was dazugehört. Allerdings als Dirigent hätte ich lange Jahre viel lieber Müller oder Meyer geheißen. Guttenberg hat mir da das Leben schwerer gemacht. 

Mit der Karriere und dem Rücktritt Ihres Sohnes Karl- Theodor von allen politischen Ämtern hat Ihre Familie eine Achterbahnfahrt hinter sich, die wohl ziemlich einmalig ist. Das kann für Sie als Vater und Familienoberhaupt nicht einfach gewesen sein. 
Nein, das war es und ist es nicht. Und kein Mensch, der es nicht selber erlebt hat, kann sich vorstellen, wie das ist, zuschauen zu müssen, wie der eigene Sohn öffentlich zerschlagen wird. Keine Zeitung, kein Sender, auf dem das nicht rund um die Uhr geschah, das war schwer, fast nicht auszuhalten. Das war einer der schlimmsten Momente in meinem Leben. 

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Am Tag des Rücktritts musste ich in der Münchner Philharmonie dirigieren, ironischerweise den „Elias“ von Mendelssohn mit seinen alttestamentarischen Texten. Es gab sofort brüllenden Applaus, Standing Ovations, wie ich das weder bei Kollegen, geschweige denn bei mir je erlebt habe. Natürlich war das eine Reaktion auf den Rücktritt von Karl-Theodor, aber die brauche ich nicht im Konzertsaal. Die ganze Sache ist wie ein Tsunami über die Familie gekommen, wir sammeln immer noch die Trümmer auf. 

Lesen Sie im zweitenTeil des Interviews, warum sich Enoch zu Guttenberg an einem Solidaritätsmarsch für seinen Sohn Karl-Theodor beteiligte und welche Haltung er heute zu der Plagiatsaffäre hat.

Durch die Presse gingen während dieser Zeit Bilder von Ihnen auf einem Solidaritätsaufmarsch in Guttenberg, in der Hand eine Torte mit der Aufschrift: »Karl-Theodor, wir stehen zu Dir.« Wie kam es dazu? 
Ach, ich wollte mich zu der ganzen Angelegenheit erst gar nicht äußern. Nicht, weil ich nichts zu sagen gehabt hätte, sondern weil es mich so irrsinnig aufgewühlt hat. Es gab ja viele Demos in den Tagen, ich habe alle abgesagt, weil Karl-Theodors politische Karriere ja kein Familienunternehmen ist und ich ihm lieber privat zur Seite stehen wollte.

An dem fraglichen Tag der Demonstration in Guttenberg wollte ich mit meiner kleinen Familie in den Süden fahren, das war lange geplant. Und als wir durch den Ort fuhren, waren die Guttenberger gerade dabei, Podeste aufzubauen und die Demo zu organisieren, da waren nicht nur Schwarze, sondern Rote, Grüne, auch Linke dabei, und ich sah im Rückspiegel ihre enttäuschten, verständnislosen Gesichter, die sagten: Das gibt’s doch gar nicht, jetzt haut der alte Guttenberg ab. Da hatte ich ein so schlechtes Gewissen, dass ich meiner Frau gesagt habe: Umdrehen, ich muss da hin, ob ich will oder nicht.

Am Ende kamen ein paar tausend Leute, und ein Bäcker aus dem Nachbarort drückte mir dann plötzlich eine Karl-Theodor-Torte in die Hand, die konnte ich ja nicht fallen lassen – im Gegenteil, ich hab mich natürlich dafür bedankt. Aber in den Zeitungen gab es dann eben viel Spott und Häme. 

Welche Haltung haben Sie heute zu der Plagiatsaffäre? 
Ich kann nicht in den Kopf meines Sohnes schauen, aber ich denke, in sein Herz. Mir als Vater hat er jedenfalls nie Grund gegeben, an seiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Nachdem das alles aufkam, erlebte ich seinen eigenen, langen Erkenntnisprozess. Seine öffentlichen Reaktionen waren keine Beichten auf Raten, sondern entsprachen einfach diesem Prozess.

Das wurde dann als schlechtes Krisenmanagement bezeichnet, aus meiner Sicht der falsche Begriff. Gutes Krisenmanagement meint doch meistens geschickte Koordination von Unwahrheit, Lügen und deren Vertuschung. Aber in dem Fall kann ich nur auf die berühmte Frage des Pilatus in der Bibel verweisen: Was ist Wahrheit? Sie zu finden, auch die eigene, ist eben oft unglaublich schwer. Und ganz unabhängig von der Frage, was Karl- Theodor nun getan hat oder nicht: Wie man mit ihm in der Öffentlichkeit umgegangen ist, steht dazu in überhaupt keinem Verhältnis.

Selbst der ehemalige Vizepräsident der Universität Bayreuth, Walter Schmitt-Glaeser, hat von einer „Treibjagd“ gesprochen und davon, dass es der Universität offenbar darum ging, Karl-Theodor vor ein Tribunal zu zerren und ihn öffentlich schuldig zu sprechen. Die Universität, sagt er, wäre mit jedem anderen Doktoranden anders umgegangen. 

Lesen Sie im dritten Teil des Interviews, warum Enoch zu Guttenberg den Medien eine „öffentlicher Hinrichtung seines Sohnes vorwirft und warum er glaubt, dass seine Familie gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird.

Kein Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik wurde von den Medien in so kurzer Zeit derart gefeiert wie Ihr Sohn. In den Wochen vor seinem Rücktritt bekam er die Macht der Presse dann umso härter zu spüren. Wie haben Sie selbst das mediale Erdbeben erlebt? 
Gott sei Dank haben wir eine freie Presse, und natürlich muss es deren vornehmste Aufgabe sein, Macht zu kontrollieren. Wie sie sich aber davor schützen kann, selbst zur unkontrollierten Macht zu werden, diese Frage beschäftigt mich schon seit längerer Zeit. In unserem Fall, aber nicht nur in unserem, wurde diese Freiheit leider immer wieder missbraucht. Die Palette reicht von mehrfachem Hausfriedensbruch bei uns in Guttenberg – man hat Familienmitgliedern und unserem Personal regelrecht aufgelauert – bis hin zu Bestechungsversuchen mit Summen in fünfstelliger Höhe bei Menschen aus meiner näheren Umgebung, um auf diese Weise Dinge aus unserem Privatleben zu erfahren.

Es wurden falsche oder halbwahre Geschichten über unsere Familie kolportiert, übrigens auch in der vor kurzem erschienenen Biographie über meinen Sohn, und in den Medien, einschließlich den öffentlich-rechtlichen, sind wir der Steuerhinterziehung und der Korruption verdächtigt worden, was natürlich völliger Nonsens war und sich als solcher auch den Rechercheuren offenbarte. Wo ich versucht habe, das zu stoppen, kam die lakonische Antwort, es sei ja nur von Vermutungen berichtet worden, nicht von Tatsachen, und dies sei schließlich nicht verboten. Aber es steht dann da, und man muss die Artikel schon sehr genau lesen, um zu verstehen, dass es nur leere Mutmaßungen beziehungsweise geschickt boshafte Formulierungen sind.

Wegen all der Berichte über unseren angeblich unermesslichen Reichtum hat sich die Gefährdung der Gesamtfamilie drastisch erhöht, aber darüber denkt ja kein Journalist nach, genauso wenig darüber, wie es eigentlich den Delinquenten „öffentlicher Hinrichtungen“ ergeht. Ich habe mit Schrecken festgestellt: In Deutschland lernt man wieder, kräftig nachzutreten, auch wenn einer längst am Boden liegt. Im Boxring jedenfalls ist das verboten. Generell sollten wir uns alle wieder auf den Wertekanon des Neuen Testaments besinnen, immerhin eine der Grundlagen des christlichen Europas. Da stehen einige wichtige Dinge zum Thema Selbstgerechtigkeit und Nächstenliebe drin, vom Balken im eigenen und vom Splitter im Auge des Nächsten. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein ... 

Nun sind Sie ja einer, der das Geschehen immer auch mit Blick auf die Enkel und Ahnen wahrnimmt. Glauben Sie nicht, dass es vielleicht auch befreiend für die kommende Generation sein könnte, zu wissen, dass sie nicht antreten muss, einen tadellos ruhmreichen Helden zu übertreffen? Und dass eine solche Erfahrung der Niederlage eine Familie auch stärker und weiser machen kann? 
Vielleicht, das heißt weiser machen in jedem Fall, aber das braucht Zeit. Es geht ja auch überhaupt nicht darum, ob wir ruhmreich sind oder nicht. Sondern es geht darum, wie und ob es meinem Sohn gelingt, den Menschen, die ihm vertrauten, denen, die ihn geliebt haben und noch lieben, die Sicherheit zurückzugeben, dass sie sich – trotz geschehener und eingestandener Fehler – nicht in ihm und seinem Charakter getäuscht haben. Es geht auch grundsätzlich nicht um Niederlagen oder Höhenflüge, sondern um Glaubwürdigkeit, die es gilt, sowohl in Höhenflügen als auch in Niederlagen nicht zu verlieren. Darum muss er, müssen wir kämpfen.

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Der Verlust der Glaubwürdigkeit wäre der Verlust der Identität der Familie. Dazu gehört noch eine wichtige Erfahrung: Schlechte, selbst ungerechte, ja böse Kritiken haben mich immer weitergebracht; Jubelkritiken sind gefährlich, sogar sehr gefährlich. Alles in allem: Was Karl-Theodor jetzt ausgelöst und mitgemacht hat, stellt sich für ihn und die Familie auf Dauer vielleicht wirklich als eine Art stärkendes Drachenblut heraus. 

Das Interview ist ein exklusiver Auszug aus dem Buch  „Enoch zu Guttenberg. Dirigent, Intendant, Umweltschützer“, Propyläen Verlag, € 34,99, im Handel ab dem 15. Juli 2011. 

 

 

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