Ex-Oberbürgermeister Manfred Ruge kritisiert Katholikentag - „Bin ich schon ein neuer Rechter, wenn ich gegen das Gendern bin?“

Ende Mai findet der Katholikentag in Erfurt statt. Der frühere Oberbürgermeister kritisiert den ersten Programmentwurf scharf. Es fehlen die politische Ausgewogenheit und ostdeutsche Stimmen, so Manfred Ruge. „Der Katholikentag wird zum Raumschiff, das keinen Bezug zu den Menschen hat“, sagt er.

Noch in trauter Einigkeit: Verantwortliche des Katholikentags bei der Vorstellung einer Werbekampagne im Mai 2023. /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Manfred Ruge war von 1990 bis zu 2006 Oberbürgermeister von Erfurt. Er ist Mitglied der CDU und war bis Dezember 2023 Vorsitzender des Trägervereins des 103. Katholikentags.

Herr Ruge, in diesem Jahr findet der Katholikentag in Erfurt statt. Die Katholikentage sind alle zwei Jahre die größten katholischen Veranstaltungen im Land. Sie waren Vorsitzender des Trägervereins und sind von diesem Amt im Dezember zurückgetreten. Warum dieser Schritt?

Der Grund für meinen Rücktritt war vor allem eine riesig große Enttäuschung. Ich habe das Amt übernommen, weil ich etwas für meine Heimatstadt und meine Kirche tun wollte. Ich habe am Anfang meine Vorstellungen skizziert, mir wurden Zusagen gemacht, die dann alle nicht eingehalten wurden. In Stuttgart, beim letzten Katholikentag, haben wir vereinbart, dass Erfurt eine besondere Begegnung von Ost und West wird. Davon ist nahezu nichts übrig geblieben. Besonders enttäuscht hat mich das Verhalten des Erfurter Bischofs, der sich in keiner Weise für meine Anregungen und Vorschläge eingesetzt hat.

Wie kam es zu dem Bruch?

Als ich im letzten Jahr den Programmentwurf aus Bonn zugeschickt bekam, war ich schockiert. Ich war fassungslos, dachte, das kann alles nicht wahr sein. Am Anfang meiner Tätigkeit hatte ich die Vorstellung, ich bin neu dabei, natürlich lasse ich mir etwas sagen. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) mit seinen Mitarbeitern hat große Erfahrung. Ich wollte es auf mich zukommen lassen. Aber die Programmverantwortlichen hatten dann von meinen Vorstellungen, und auch den der anderen Ostdeutschen in dem Gremium, nahezu gar nichts aufgenommen. Ich konnte es nicht glauben. Sie haben immer Zusammenarbeit versprochen und dann doch alles nach ihrem eigenen Gutdünken alleine gemacht.

Was hat sie an dem Programmentwurf gestört?

Die großen Podien hatten weitgehend mit unseren Ideen und Vorstellungen absolut gar nichts zu tun. Die Themen Christsein in der Diaspora, Ökumene, Kirchenaustritte und Kirchenbindung kamen alle nicht vor. Stattdessen stehen im Programm Podien zu den Themen „Der Leib Christi ist queer – und jetzt“, „Decolonize Church“ oder „Anti Gender und die neue Rechte“. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Wir können über Homosexualität und Vielfalt sprechen, wir können über historische Aufarbeitung sprechen. Aber was ich nicht verstanden habe, warum nicht auch wir in Erfurt Ideen umsetzen durften.

Es ist das Podium „Deutschland einig Vaterland“ vorgesehen. Das passt doch zu Ihren Vorstellungen, oder?

Das Thema ist mir wichtig, und ich freue mich, dass es im Programm vorkommt. Aber warum musste auch hier die Aufstellung der Teilnehmer aus dem Westen kommen? Mit Katrin Göring-Eckardt und Dirk Oschmann sitzen zwei prominente Personen auf dem Podium. Doch für mich bleibt der Eindruck, dass über unsere Köpfe hinweg entschieden wurde. Warum wurde nicht ausgewogener eingeladen, mehr Leute, die unter der DDR gelitten und gegen sie gekämpft haben? Es gibt eine andere Veranstaltung, die den biblischen Spruch „Schwerter zu Pflugscharen“ zitiert. Das ist im Osten ein emotionales Zitat, doch im Programm ist vorgesehen, dass ein Professor aus Dortmund darüber spricht, ob der „Slogan“ noch „hilfreich“ sei. Für mich ist das ignorant, wenn man in Erfurt tagt.

Gab es den Versuch, einen Ausgleich zu finden, miteinander zu sprechen?

Ich habe wochenlang und immer wieder versucht, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, habe Briefe geschrieben, habe versucht, klarzumachen, worum es mir und einigen Mitstreitern geht. Aber es hat nicht funktioniert, ich bin weitgehend auf taube Ohren gestoßen, sowohl bei Generalsekretär Marc Frings als auch beim Programmchef Andreas Kratel.

Was fehlt Ihnen beim Thema Ökumene?

Auch beim Thema Ökumene fehlt der ostdeutsche Blick. Wir haben Erfahrung mit Ökumene. Evangelische und katholische Christen leben ihren Glauben gemeinsam in einer säkularen Welt. Papst Benedikt hat in Erfurt das Augustinerkloster besucht, dort, wo Martin Luther gelebt hat. Das aber kommt alles nicht vor. Stattdessen gibt es ein Podium zur sogenannten Ökumene der dritten Art mit Gläubigen und Nicht-Gläubigen. Nichts dagegen, nur ist das unser einziger Blickwinkel? Warum dieser negative Ton, die Überschrift lautet: „Wir werden uns viel zu verzeihen haben“.

Der Katholikentag hat immer den Anspruch, auch politisch zu sein und gesellschaftlich relevant. Kritisieren Sie diese Schwerpunktsetzung?

Nein, das ist überhaupt nicht mein Punkt, aber es braucht eine Ausgewogenheit und Offenheit, die fehlt mir. Zunächst war vorgesehen, mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD über Migration zu sprechen, dann wurde das Thema gewechselt zum Sport, unter dem Titel „Höher, schneller, weiter … zu welchem Zweck?“ Kann man machen. Thüringen ist das Land der Weltmeister und Europameister. Warum sitzt auf dem Podium kein Athlet aus Ostdeutschland? Und es sitzt überhaupt kein aktiver Sportler dort, nur Funktionäre. Was soll das?

Manfred Ruge / privat

Wie kommt es zu der Auswahl der Gäste und zur Themensetzung?

Der Anspruch ist immer, dass alles demokratisch und partizipativ läuft. Tatsächlich habe ich aber erlebt, dass am Ende das ZdK es so schiebt und dreht, wie es das ZdK will. Bis Dezember war es mir nicht möglich, ein Podium durchzusetzen, auf dem auch der thüringische CDU-Vorsitzende Mario Voigt spricht. Wir haben im Herbst Landtagswahlen, es ist doch naheliegend, auch auf dem Katholikentag die drängenden Probleme zu besprechen, von Migration bis Brandmauer. Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken wurde eingeladen, die Vorsitzenden von Grünen und SPD. Warum nicht der CDU-Spitzenkandidat? Dann wird gesagt, es werde Christine Lieberknecht eingeladen. Sie ist eine ehemalige CDU-Ministerpräsidenten und ist vor zehn Jahren ausgeschieden. Das ist doch eine absurde Argumentation.

Welche Gründe sehen Sie dafür, dass das ZdK das Programm in dieser Weise aufsetzt?

Es liegt natürlich an den Einstellungen der handelnden Personen, die sich hier durchsetzen wollen. Zum Beispiel gibt es ein prominentes Podium mit der Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen unter dem Titel „Anti-Gender und die neue Rechte“. Nun frage ich mich, bin ich schon ein neuer Rechter, wenn ich gegen das Gendern bin? Ich frage mich auch, warum auf dem Podium keiner sitzt, der eine dezidiert kritische Position dazu bezieht. Insgesamt sind auch mit Kanzler Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Cem Özdemir und anderen viele Mitglieder der Ampel-Regierung in Erfurt, das ist in Ordnung, aber wo bleibt die politische Ausgewogenheit?

Das ZdK ist immer der Veranstalter der Katholikentage, das Bistum, diesmal Erfurt, der Gastgeber, so ist die Rollenverteilung. Wo liegen die strukturellen Probleme?

Meiner Ansicht liegen die Probleme in den mangelnden Mitsprachemöglichkeiten beim Programm. Aber die Schwierigkeiten fingen in Erfurt schon früher an. Es gab erhebliche Finanzierungsprobleme. Die Landesregierung von Ramelow hat sich zunächst nicht an die Zusagen gehalten und den Zuschuss von 1,5 Millionen Euro auf 600.000 Euro gekürzt. Ich und andere haben dann interveniert, mit Leuten gesprochen und dafür geworben, dass der Katholikentag auch ein Aushängeschild für Erfurt ist. Schließlich hat die Landesregierung dann 1,2 Millionen Euro zugesagt.

Wird der Katholikentag noch zu einem Erfolg auch für Erfurt?

Bislang sehe ich die Gefahr, dass hier eine Chance vertan wird, und das bedauere ich sehr. Ich habe nicht den Eindruck, dass hier wirklich in der Breite zumindest auch ein Programm für die Erfurterinnen und Erfurter gemacht wird. Eine Ausstellung zur in Thüringen beheimateten Sakralkunst wurde gestrichen. Das war wohl nicht modern genug, ich habe das nicht verstanden. Konzerte wurden gestrichen, die, so unsere Erfahrungen, viel Publikum anziehen, sie waren nicht erwünscht. So wird der Katholikentag, so mein Eindruck, zu einer Art Raumschiff, das landet und keinen Bezug zu den Menschen und zu dem Leben in Thüringen und in Ostdeutschland hat. Seit ich ausgeschieden bin, soll es allerdings Nachbesserungen am Programm geben, die kenne ich noch nicht.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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