Drosten-Vorgänger über Corona - Schützt die Vulnerablen!

Der langjährige Leiter des Instituts für Virologie an der Charité, Detlev Krüger, zieht nach einem Jahr Corona-Maßnahmen kritische Bilanz und zeigt auf, wieso eine Ausrottung des Virus kein realistisches Impfziel ist.

Unser Gesundheitssystem ist zu wenig leistungsfähig, um die Schwachen zu schützen / dpa
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Autoreninfo

Professor Dr. med. Detlev Krüger leitete von 1989 bis 2016 das Institut für Virologie an der Charité Berlin. Seit 2012 ist er Chefredakteur der Fachzeitschrift Virus Genes, die in New York erscheint.

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Das Sars-Coronavirus-2 (CoV-2) kursiert, es fordert immer mehr Todesopfer durch die sogenannte Covid-19-Erkran­kung und spaltet die Gesellschaft. 

Während bei Fußballweltmeisterschaften gefühlt 80 Millionen Bundestrainer vor den Bildschirmen sitzen, gibt es jetzt wohl die gleiche Zahl von „Virologen“ in Deutschland, die ihre Meinung zum Virus und zu Möglichkeiten seiner Bekämpfung haben. Und wieder werden scheinbare Lager konstruiert: vorgebliche „gute“ gegen „schlechte“ Menschen, ja, selbst in diesem Fall soll es eine „linke“ und „rechte“ Ecke geben. Diese Art von Polarisierung und Politisierung ist umso unverständlicher, da wohl niemand von sich ernsthaft behaupten kann, dass er ein Patentrezept zur Beendigung dieses Naturereignisses – der Pandemie – hat. 

In weiten Teilen der Öffentlichkeit herrschen Angst oder sogar Panik, teilweise Hysterie. Die Gewalt der Bilder nutzend, zoomen Journalisten in das Innere von Intensivstationen oder auf Särge in Krematorien. Angst und Schrecken dürfen aber nicht zum bestimmenden Faktor unseres Lebens werden. Was wir brauchen, ist eine sachliche Diskussion der Probleme in der Wissenschaft und der Gesellschaft. Was wir brauchen, ist nicht der verängstigte und reglementierte Bürger, sondern eine sachlich informierte Öffentlichkeit, deren Mitglieder zu verantwortungsvollem Handeln in der Lage sind.

Viren über zwei Jahrzehnte

Über die vergangenen Jahrzehnte gab es keine vergleichbare Herausforderung der Gesellschaft durch eine Virusinfektion. Ich erinnere mich an das Aufkommen von Aids in den 1980er Jahren. Diese Viruserkrankung war damals extrem tödlich: Fast jeder Infizierte starb – kein Vergleich übrigens mit Covid-19! Eine Schutzimpfung gegen Aids gibt es bis heute nicht, aber durch Beeinflussung von Verhaltensweisen (Partnerwahl, Safer Sex) und die Entwicklung wirksamer Arzneimittel ist die Ausbreitung des Aids-Virus unter Kontrolle. 

Später kam der tödliche Rinderwahn (BSE) auf, bei dem die Befürchtung bestand, der Erreger könnte auf den Menschen übergehen. Das Influenzavirus, das uns in jeder Wintersaison heimsucht und nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bis zu 25 000 Todesfälle pro Saison fordert, präsentierte sich 2009 mit einer neuen genetischen Variante („Schweinegrippe“), was prompt laute Warnrufe einiger Experten zur Folge hatte, die Pandemie würde zu vielen Millionen Todesfällen führen. Tatsächlich gab es wohl kaum eine Grippesaison mit einem milderen Verlauf der Erkrankung. 

Mich persönlich hat in den zurückliegenden Jahren besonders der Ausbruch von Ebola in Afrika beunruhigt, der in Europa sonderbarerweise kaum als Bedrohung empfunden wurde. Etwa jeder zweite Erkrankte stirbt an Ebola, zum Glück hat das Virus aber bisher nicht seine Verbreitungsorte – zuletzt in Westafrika und im Kongogebiet – verlassen. 

Bei all diesen genannten Bedrohungen des Menschen durch Virusinfektionen handelt es sich um Erreger, die eigentlich in der Tierwelt zirkulieren und in unserem gemeinsamen Lebensraum vom Tier auf den Menschen übergehen – sogenannte zoonotische Viren. 

Das Virus uns seine Anpassung

Das für die aktuelle Pandemie verantwortliche Virus CoV-2 gehört zu den Coronaviren. Diese Viren waren schon länger bekannt und rufen in der Regel harmlose Erkrankungen der oberen Luftwege hervor. Die vor wenigen Jahren beschriebenen Sars- und Mers-Coronaviren haben dagegen einen deutlich höheren Krankheitswert. CoV-2 toppt diese Erreger durch seine rasante Ausbreitung, wodurch sogar der geringe Anteil derjenigen Infizierten, die schwer erkranken, zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führt. 

Das Virus stammt mit hoher Sicherheit aus dem Tierreich. So wurden in bestimmten Fledermäusen Viren nachgewiesen, die dem CoV-2 genetisch sehr stark ähneln. Virologen weisen schon lange darauf hin, dass der Wirtswechsel von Viren vom Tier zum Menschen ein reales Problem ist, das der Mensch mit seinem Verhalten (z. B. Tierintensivhaltung, Eindringen in Lebensräume der Tiere) weitgehend selbst geschaffen hat. 

Viren, deren Erbmaterial aus sogenannter Ribonukleinsäure besteht (zu diesen gehören die Coronaviren), können ihre genetischen Eigenschaften relativ schnell ändern. Coronaviren besitzen jedoch Mechanismen zur Reparatur ihres Erbmaterials während der Vermehrung, sodass sie eine höhere genetische Stabilität aufweisen. Man weiß dennoch aus der Charakterisierung der kursierenden Virusstämme, dass diese sich während ihrer Ausbreitung in der Bevölkerung genetisch verändern. 

Wenn Virusmutanten – also neue genetische Varianten des Virus – die zuvor zirkulierenden Virusstämme verdrängen, zeigt dies ihre optimierte Anpassung an den Menschen. Dies würde in Einklang stehen mit der zoonotischen Herkunft des Virus, da ein erst kürzlich vom Tier zum Menschen eingeschlepptes Virus zunächst noch nicht perfekt an den neuen Wirt angepasst ist und diese Anpassung dann fortsetzt. Das Auftreten von Mutanten ist also ein natürlicher Prozess. 

Die Diagnostik und ihre Tücken

Für den Nachweis der CoV-19-Infektion gibt es den Weg, Bestandteile des Virus im Körper des Patienten nachzuweisen: Teile des Erbmaterials mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) oder bestimmte Eiweißbestandteile mittels Antigentest. Auch die Reaktion des Körpers kann durch den Nachweis virusspezifischer Antikörper diagnostisch genutzt werden. 

Klare Aussagen zum Infektionsstatus einer Person und der Bevölkerung sind natürlich immer von der Qualität der Diagnostikverfahren abhängig. Es ist möglich, dass diese Verfahren nicht alle viruspositiven Personen erkennen („falsch negative Ergebnisse“) oder aber zu viele Personen als infiziert anzeigen („falsch positive Ergebnisse“). 

Da die Virusdiagnostik nicht nur Bedeutung für den betroffenen Bürger und die statistische Gesamtzahl der als infiziert angesehenen Personen hat, sondern auch zu gravierenden politischen Konsequenzen für die Gesamtbevölkerung führt, ist die Umsetzung einer leistungsfähigen Qualitätssicherung der Diagnostik für uns alle von großem Wert. 

Der öffentliche Diskurs wird leider durch die irreführende Nutzung von Begriffen erschwert. So tauchen in amtlichen Statistiken und in den Medien die für CoV-2 positiv Getesteten (die gar nicht krank sein müssen, ja nicht einmal infektiös) fälschlicherweise sämtlich als „Covid-19-Fälle“, also Kranke, auf. Aber auch das tägliche Zählen der nachgewiesenen Neuinfektionen und daraus die sehr bedeutungsschwere Berechnung von sogenannten „Inzidenzen“ sind tatsächlich von begrenzter Aussagekraft. 

Was relevanter als der Inzidenzwert ist

Die wahre Zahl der Infektionen liegt um ein Vielfaches (wahrscheinlich um einen Faktor von etwa 5) darüber, da ja in der Regel nur Personen mit Verdachtssymptomen oder Kontaktpersonen von bekannt viruspositiven Menschen getestet werden und in die Statistik eingehen. In jeder Influenza-Saison rechnet übrigens das Robert-Koch-Institut trotz der bestehenden Grippe-Teil­immunität in der Bevölkerung mit einer Neuinfektionsrate durch Grippeviren von 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung, also von 8 bis 16 Millionen Menschen. 

Relevanter als die Zahl der erfassten Neuinfektionen oder das Festhalten an künstlich definierten „Inzidenzwerten“ als Grundlage politischer Entscheidungen sind der Krankheitswert der Infektion und die Belastbarkeit der Kliniken. Viele, insbesondere jüngere Infizierte, werden nicht krank oder zeigen nur leichte Symptome. Es ist strittig, ob sie überhaupt infektiös für andere Menschen sind – was für die Diskussion über Schulschließungen relevant ist – und ob sie selbst eine robuste Immunität gegen das Virus aufbauen und somit zur Herdenimmunität beitragen. Natürlich können auch jüngere Menschen an Covid-19 erkranken, Langzeitfolgen davontragen (in der Medizin „Long Covid“ genannt) oder sogar daran sterben. Aber diese bedauernswerten Einzelschicksale sind nicht die Regel. 

Das große Problem liegt im Anteil der positiv Getesteten, die eine klinische Betreuung brauchen und damit die Kliniken an ihre Leistungsgrenzen bringen, sowie in der Zahl der Todesopfer durch oder mit Corona-Infektion. Der Altersmedian der Verstorbenen liegt laut Robert-Koch-Institut bei 84 Jahren, also sogar höher als die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland. Diverse Studien zeigen, dass die Sterblichkeit, bezogen auf die hochgerechnete Gesamtzahl aller CoV-2-infizierten Personen (also nicht nur der Gruppe der mittels PCR positiv Getesteten, sondern aller Personen, die spezifische Virusantikörper aufweisen), unter 1 Prozent liegt, in den meisten Studien etwa zwischen 0,05 und 0,75 Prozent. Bei der saisonalen Grippe wird die Sterblichkeit der Infizierten in ähnlicher Größe angegeben.

Das jahrelange Sparen beim Vorhalten von medizinischen Intensivbehandlungskapazitäten hatte schon zu Beginn der Corona-Pandemie für große Beunruhigung gesorgt. 2020 wurden dann vom Staat weit über eine halbe Milliarde Euro für die schnelle Einrichtung zusätzlicher Intensivbetten aufgewendet. Deren Betreiben ist aber durch das Fehlen von qualifiziertem Personal deutlich erschwert. Die vorhandenen Mitarbeiter arbeiten mit riesigem Kraftaufwand an der Grenze des Leistbaren. Eine Lehre aus den Geschehnissen muss also sein, die Berufe in der klinischen Versorgung zukunftssicher und deutlich attraktiver zu machen, um zukünftig solchen Engpässen zu entgehen.

Flucht nach vorne

All die Maßnahmen, die jetzt „Eindämmungsmaßnahmen“ oder „Lockdown“ genannt werden, haben dasselbe Ziel: die Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch zu verhindern. Die für die Infektion empfänglichen Personen sollen also gegenüber dem Virus nicht „exponiert“ werden. Jeder von uns wendet im Prinzip solche Schutzmethoden in der Erkältungs- und Grippesaison an. 

Die Übertragung von CoV-2 würde sofort stoppen, wenn man jeden Menschen in eine Art „Ganzkörperkondom“ verpackt. Eine solche absolute Isolation aller Individuen ist jedoch illusorisch. Stattdessen versuchen die Verantwortlichen, durch ein sich ständig änderndes Regelwerk die Kontakte zwischen den Menschen einzuschränken, auch wenn es für die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen oft wenig oder widersprüchliche wissenschaftliche Evidenz gibt. 

Wenn also der versprochene „Wellenbrecher“ vom November 2020 nicht gewirkt hat, werden die Maßnahmen verschärft, und so geht es wohl immer weiter – es wirkt eher wie eine ratlose Flucht nach vorn. Die theoretischen Modelle, die eine einschneidende Wirkung des „Wellenbrechers“ oder der darauffolgenden schärferen Kontaktbeschränkungen ab Dezember 2020 vorhersagten, haben sich leider kaum bewahrheitet. Und man kann durchaus diskutieren, ob der massive Rückgang der Infektionszahlen im April und Mai 2020 auf dem Erfolg staatlicher „Anti-Corona-Maßnahmen“ beruhte oder eher auf der Jahreszeit, in der im Allgemeinen die Zirkulation vieler respiratorischer Viren endet. 

Es gibt noch andere Erkrankungen

Eine offenere Diskussion als bisher ist also nötig, um die besten Strategien im Kampf gegen die Pandemie zu finden. Dabei widerspricht es dem Sinn wissenschaftlichen Denkens und Verhaltens, das Vorbringen „unerwünschter“ Meinungen und Vorschläge reflexhaft zu stigmatisieren.

Wahrlich überlebenswichtig ist eine Abwägung des potenziellen Nutzens der einzelnen Lockdown-Maßnahmen gegenüber den Kollateralschäden für die Gesellschaft – bezogen auf Wirtschaft, Kultur und auch die Gesundheit selbst. Es gibt außer Covid-19 noch andere Erkrankungen!

Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit können längerfristige Folgen haben, die sich dann massiv auch auf die Gesundheitsversorgung auswirken. Und die Maßnahmen treffen die Schwächsten der Gesellschaft – die Kinder – in Form von Bildungsdefiziten, psychischen Folgen, Abbau von Fördermöglichkeiten für Behinderte oder Kindeswohlgefährdung. 

Todesfälle können nicht nur durch Covid-19, sondern auch durch unbehandelte Herzinfarkte, zu spät eingeleitete Tumortherapien oder eine erhöhte Zahl von Suiziden bedingt sein. Zudem entstehen gesundheitliche Schäden für die Bevölkerung nicht nur durch die heruntergefahrene medizinische Regelversorgung, sondern auch durch die Furcht verunsicherter Patienten, sich überhaupt in ein Krankenhaus zu begeben. 

Pflegeberufe endlich aufwerten

Mit einer gewissen Häme schauten deutsche Medien in den vergangenen Monaten auf das „schwedische Modell“. Schweden hat weitaus stärker als andere europäische Länder versucht, das gesellschaftliche Leben aufrechtzuerhalten, also Kollateralschäden wenigstens teilweise zu vermeiden. Es hat seine Bürger weniger reglementiert, sondern auf ihre Vernunft gebaut. 

Ein Blick in die europäischen Statistiken zeigt, dass Schweden mit seiner Covid-19-Todesrate (pro 100 000 Einwohner) dennoch in der Mitte der europäischen Länder liegt und seine Zahlen deutlich niedriger sind als in anderen Staaten mit hartem Lockdown, wie Belgien, Spanien, Italien oder Großbritannien. Auch das noch 2020 bessere Abschneiden Deutschlands gegenüber Schweden verringert sich in den Statistiken der letzten Wochen deutlich. 

Wenn der Lockdown als Expositionsprophylaxe nicht wie erhofft wirkt und überlastete Gesundheitsämter mit der „Nachverfolgung“ dem Geschehen leider oft nur hinterherlaufen können, muss man die Exposition der durch schwere Krankheitsverläufe besonders gefährdeten Personen verhindern – der Alten und der gesundheitlich massiv Vorgeschädigten.

Ein Hauptproblem der Alten- und Pflegeheime ist, dass sie von der Zahl her nicht über genug und auch nicht über ausreichend qualifiziertes Personal verfügen. Das Personal muss aber inhaltlich und vom verfügbaren Zeitvolumen her in der Lage sein, intelligente Hygieneregeln für die Einrichtung zu entwickeln und täglich umzusetzen, wozu auch gehört, Corona-Schnelltests für Bewohner, Besucher und das Personal selbst anzuwenden. Damit ist nicht ein Wegsperren der Bewohner gemeint.

Eine Lehre aus den gegenwärtigen Problemen sollte sein, die Berufe in der Kranken- und Altenpflege endlich aufzuwerten – und zwar nicht durch wohlfeiles Applaudieren, sondern durch deutlich bessere Berufschancen und Vergütung. Das Beispiel Tübingen zeigt, dass auch für die Angehörigen der Risikogruppen, die außerhalb von Heimen leben, kreative Ideen zur Reduzierung des Infektionsrisikos entwickelt und wenigstens erprobt werden können. 

Das Impfen beginnt

Seit einigen Wochen werden weltweit und auch in Deutschland die ersten Impfungen gegen Covid-19 durchgeführt. Bei einer Schutzimpfung wird der Organismus durch die Auseinandersetzung mit dem Impfstoff befähigt, Immunzellen und Antikörper zur Abwehr eines Krankheitserregers zu bilden. Durch flächendeckende Schutzimpfungen wurden schon etliche gefährliche Viruserkrankungen wie die Kinderlähmung und Hepatitis B zurückgedrängt. Im Falle der Pocken gelang sogar die bisher einzige Ausrottung eines menschlichen Virus. 

Voraussetzungen für diesen Sieg im Falle der Pocken waren das Vorhandensein eines wirksamen, stabilen (keine Tiefkühlung nötig) und bezahlbaren Impfstoffs, die genetische Stabilität des Virus (neue Virusvarianten unterlaufen nicht den Impfschutz) sowie das Fehlen eines tierischen Reservoirs des Virus, aus dem es immer wieder in die menschliche Gesellschaft zurückübertragen werden könnte.

Die Entwicklung der ersten Covid-­19-Impfstoffe in einer Frist von nur wenigen Monaten ist ein riesiger wissenschaftlicher und organisatorischer Erfolg, mit dem natürlich große Hoffnungen verbunden sind. Die beiden beim Verfassen dieses Artikels zugelassenen Impfstoffe basieren auf einem völlig neuen Wirkprinzip, das bisher für humane Impfstoffe noch nicht angewendet wurde: Der chemisch leicht modifizierte genetische Botenstoff („messenger RNA“) für die Synthese eines Oberflächen-­Eiweißes (Proteins) von CoV-2 wird dem Körper verabreicht, und die Zellen sollen selbst dieses Viruseiweiß herstellen, das dann die schützende Immunreaktion auslöst. Der dritte Impfstoff, der kurz vor der Zulassung steht, ist ein genetisch verändertes tierisches Adenovirus, welches das CoV-2-Oberflächenprotein trägt und sich nicht im Menschen vermehrt. 

Es ist aus naheliegenden Gründen noch zu früh, Aussagen über die zeitliche Dauer des so erzeugten Impfschutzes zu machen. Auch ist erst für den dritten der genannten Impfstoffe untersucht worden, ob er nicht nur die Entwicklung der Erkrankung verhindert, sondern auch die Weitergabe des Virus durch die geimpfte Person – ich halte das aber für wahrscheinlich.

Virusausrottung ist kein realistisches Ziel

Daneben ist eine Vielzahl weiterer Covid-19-Impfstoffe in der Entwicklung, auf die ich große Hoffnung setze. Ein Impfstoff ist in der Regel umso wirksamer, je komplexer die räumliche Struktur der Eiweiße ist, welche die Immun­reaktion im Körper auslösen sollen. Dies könnte ein Vorteil des Adenovirus-­basierten Impfstoffs gegenüber den RNA-Impfstoffen sein. 

Daneben gibt es aber auch „klassische“ Ansätze für neue Impfstoffe – basierend auf abgetöteten CoV-2-Partikeln oder genetisch abgeschwächtem CoV-2 – die sich als wirksam erweisen dürften. Wir werden also in den nächsten Monaten sehr wichtige neue Einsichten in die Effektivität des ausgelösten Schutzes und in die Praktikabilität des Einsatzes von ganz unterschiedlichen Impfstoffen gewinnen. Wir werden aber auch Erkenntnisse über eventuelle Nebenwirkungen sammeln, wozu theoretisch sogar die Verstärkung einer nachfolgenden Infektion gehören könnte. Bis diese notwendigen Erkenntnisse akkumuliert sind, ist jeder Gedanke an eine Impfpflicht abwegig.
Gegenwärtig geht es darum, mit den bereits zugelassenen Impfstoffen schnell Angehörige von Risikogruppen in der Bevölkerung zu impfen, damit möglichst wenige von ihnen erkranken und sterben. 

Das Virus am Zirkulieren in der Bevölkerung zu hindern oder es gar „auszurotten“, ist kein realistisches Impfziel. Die erwähnte Pockenimpfung zeigt, welche Rahmenbedingungen für eine Virusausrottung vorliegen müssten. Selbstverständlich wird sich aber das Zirkulieren des Virus in der Bevölkerung schrittweise vermindern, wenn es gelingen sollte, immer mehr Menschen mit Erfolg zu impfen, sodass diese längerfristig als Virusüberträger ausscheiden würden. Viele andere Viruserkrankungen, gegen die es wirksame Impfstoffe gibt und die dennoch weiter existieren, lassen mich erwarten, dass wir mit CoV-2 – genau wie mit den anderen Viren – noch lange leben müssen.

CoV-2 als normaler Bestandteil unseres Lebens

Noch einmal: Nicht die Zahl der festgestellten Neuinfektionen – die täglich aus allen Kanälen der Bevölkerung präsentiert wird – ist das eigentliche Problem, sondern die Zahl der Infektionen von Alten und Vorerkrankten. Letztere Infektionen führen mit statistischer Grausamkeit zur Zahl der Patienten in den Kliniken und zu den Todesfällen. 

Ich habe das strukturelle und personelle Problem in der Alten- und Krankenpflege als einen der Gründe genannt, warum ein Virus, das für die große Mehrheit der Bevölkerung ziemlich ungefährlich ist, ein solch riesiges gesamtgesellschaftliches Problem schafft. Daher noch einmal die Forderung: Mehr Anerkennung und deutliche finanzielle Verbesserungen für diese Berufsgruppen!

Ein neues Virus mit einer derartig hohen Infektiosität, wie sie CoV-2 besitzt, wird sich weiter ausbreiten. Dieser Prozess wird erst enden, wenn die Menschen durch eine wirksam durchgemachte Infektion oder nachhaltige Impfung gegen das Virus immun werden. Danach kann mit einem Zirkulieren des Erregers auf niedrigem Niveau gerechnet werden – wie es für viele andere menschliche Viren schon lange der Fall ist. CoV-2 wird dann ein normaler Bestandteil unseres Lebens.

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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