Eskalation im politischen Diskurs - Faesers Ruf nach der „Kultur des Respekts“ ist wenig glaubwürdig

Ausgerechnet Innenministerin Nancy Faeser beklagt sich über die Verrohung des politischen Diskurses. Da wäre neben dem Blick auf die AfD und protestierende Bauern durchaus auch Selbstreflexion angesagt.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) / picture alliance
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat im Zusammenhang mit Protestaktionen gegen Grünen-Politiker das Überschreiten von „Grenzen“ verurteilt. „Wenn eine politische Veranstaltung durch Gepöbel und Gewalt verhindert wird, wenn Polizisten angegriffen und Steine geworfen werden, dann sind Grenzen massiv überschritten“, sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)

Die Aussage ist selbst mindestens eine Grenzverwischung, da sie zwei Vorwürfe in eins setzt, nämlich „Gepöbel“ und „Gewalt“, zwischen denen genau diese Grenze verläuft in einer freiheitlichen Demokratie; zwischen der akzeptablen und der nicht mehr akzeptablen politischen Streitführung. „Gepöbel“, also verbale Äußerungen, so derb oder geschmacklos sie auch immer sein mögen, sind Mittel des politischen Protests, die sich regierende Politiker gefallen lassen müssen, sofern sie nicht unmittelbar volksverhetzend sind, also etwa keine Gewaltaufrufe. 

Faeser, die gerade erst eine groß angelegte Maßnahmenkampagne zur angeblichen Verteidigung und Stärkung der Demokratie vorgestellt hat, weiß – wie viele andere, die derzeit in geradezu absurd inflationierender Weise von der Demokratie sprechen und sich selbst dabei stets als deren Fleischwerdung feiern – offenkundig selbst nicht wirklich, worin diese Demokratie eigentlich besteht. Das Wort (Ge-)Pöbel übrigens bezeichnet laut Grimms Wörterbuch nichts anderes als das „niedere Volk“. Es war einst eine abschätzige Bezeichnung der Adligen und anderer elitär Herrschenden für jene, die in einer Demokratie („Volksherrschaft“) zum Souverän werden. Selbst erklärte Demokraten sollten sich das Wort also eigentlich besser verkneifen. 

 

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Die Grünen hatten ihre Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch im baden-württembergischen Biberach wegen Protesten und Blockaden unter anderem von Landwirten abgesagt. Nach Angaben der Polizei kam es zu aggressivem Verhalten, Polizisten wurden verletzt. An der Veranstaltung wollten neben Parteichefin Ricarda Lang auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Ministerpräsident Winfried Kretschmann teilnehmen. Lang wurde später bei einer weiteren Veranstaltung in Schorndorf bei Stuttgart ausgepfiffen, beschimpft und an der Abreise gehindert. Video-Aufnahmen, die in den sozialen Medien kursieren, zeigen allerdings auch Polizisten, die durchaus rabiat vorgingen und dabei auch Pfefferspray einsetzten. 

Faeser wurde noch genauer in ihrer Verurteilung der Grenzüberschreitungen: „Das gilt genauso, wenn Demokraten als ,Volksverräter‘ diffamiert werden, wenn ein aufgepeitschter Mob Politiker an deren Wohnort aufsucht oder wenn Regierende symbolisch an Galgen aufgehängt werden“, sagte Faeser. Natürlich sind das, wie sie sagt, Indizien einer Verrohung.  

Faeser droht Parteispendern

Allerdings zeigt sie selbst als Ministerin nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, wie etwa mit ihrem jüngsten Maßnahmenpaket „Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen“, einen Politikstil, der nicht nur in Worten kämpferisch ist. Da fiel zum Beispiel der Satz: „Niemand, der an eine rechtsextreme Organisation spendet, darf sich darauf verlassen können, dass er dabei unentdeckt bleibt.“ Da zugleich mehrere nicht verbotene Organisationen, Verlage und nicht zuletzt auch „erhebliche Teile der AfD“ als „rechtsextrem“ bezeichnet wurden, denen Geld zu spenden völlig legal ist, kann das nur als eine Drohung aufgefasst werden. 

Die Wirkung solcher Ankündigungen einer Ministerin wurde schon kurz darauf deutlich, als ein Mann, der Geld an die AfD spendete, von seiner Bank einen ablehnenden Brief erhielt mit dem Satz: „Stellen Sie bitte im eigenen Interesse solche Zahlungen ein“. Die Sparkasse nahm das zurück und entschuldigte sich für den „Fehler“. Aber dass so etwas passiert, zeigt, wie vergiftet die Stimmung im Lande ist.  

Eine Kultur des Respekts, die wir dringend brauchen

Faeser warf zudem Markus Söder (ohne ihn namentlich zu nennen) vor, ihre Ministerkollegin Steffi Lemke beim Politischen Aschermittwoch mit Margot Honecker verglichen zu haben. Auch der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, einst ein Mitglied des linksextremistischen „Kommunistischen Bundes“, sagte dem RND: „Wer mal eben Steffi Lemke als Margot Honecker der Grünen bezeichnet, der leistet der Enthemmung Vorschub.“ Politiker wie Söder und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger „schaffen damit eine Atmosphäre, in der sich dann ein gewalttätiger rechter Mob austobt“. Ein solcher Vergleich sei „Gift für eine politische Kultur des Respekts, die wir dringend brauchen“ sagte Faeser. 

Da ist etwas dran. Diese Aussagen kommen aber von Politikern, die zugleich keine Einwände dagegen haben, dass ein staatlich finanzierter Verlag namens Correctiv und in seinem Gefolge zahlreiche andere Medien und Tausende Demonstranten ein privates Treffen unter Beteiligung von AfD- und CDU-Mitgliedern mit Begriffen wie „Deportation“ und „Wannseekonferenz“ framen, die an das wohl größte Menschheitsverbrechen der Geschichte denken lassen. Wer seit Jahren immer öfter und immer weniger reflektiert und damit letztlich auch geschichtsvergessen mit Nazi-Gleichsetzungen um sich wirft, kann sich nicht wundern, wenn beim politischen Gegner die Hemmungen für andere unpassende historische Vergleiche fallen. 

Klima der Angst vor Bespitzelung und öffentlicher Diffamierung

Faeser hat recht: Politische Aggression fängt mit der Sprache an. Viele AfD-Politiker betreiben diese in unverantwortlicher Weise. Aber Eskalationen gehen meist nicht nur von einer Seite aus, sondern schaukeln sich gegenseitig hoch. Faesers Aufforderung – „Wer sich Radikalen verbal anbiedert, stärkt nur die Radikalen, die wir aus der politischen Mitte heraus gemeinsam bekämpfen müssen“ – sollte sie selbst eben auch beherzigen. Zum Beispiel durch einen sparsameren und reflektierten Gebrauch des Nazi- oder Faschismusvorwurfs (bezeichnenderweise wirft auch Putins Regime mit dem Begriff wild um sich, etwa gegen die Ukraine) und einer engen definitorischen Umgrenzung des Rechtsextremismus. Extremist ist laut eigener Definition des Bundesamts für Verfassungsschutz nur, wer den demokratischen Verfassungsstaat und die damit verbundenen Grundprinzipien beseitigen will. 

Doch Faeser und ihr Untergebener Thomas Haldenwang im Bundesamt für Verfassungsschutz erweitern den Extremismus-Begriff. Die Gewaltbereitschaft soll nach ihrem Willen nicht mehr das entscheidende Kriterium sein, sondern ein ominöses „Gefährdungspotenzial“, das den Behörden letztlich einen großen Ermessensspielraum einräumen wird, zum Beispiel Zahlungsverkehre ausspionieren zu lassen. Sie verbreitet dadurch ein Klima der Angst vor Bespitzelung und öffentlicher Diffamierung als rechtsextrem, das eben auch ein Nährboden der Entdemokratisierung des politischen Diskurses ist. 

Wenn jeder, der einer legalen, in allen Parlamenten des Landes vertretenen Partei Geld spenden will, von Bankangestellten dafür schief angesehen und womöglich vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist nicht nur das Bankgeheimnis in Gefahr. Das hat ähnliche Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen wie symbolische Galgen oder Hausbesuche von Demonstranten bei unliebsamen Politikern.  

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