Endgültige Spaltung verschoben - Die Linke wird zur Beutegemeinschaft

Sahra Wagenknecht wird nicht aus der Bundestagsfraktion der Linken ausgeschlossen und erhält auch kein grundsätzliches Redeverbot, wie es einige Parteifreunde fordern. Doch die Gräben zwischen den verfeindeten Lagern sind tiefer denn je, und eine Spaltung scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Die Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag am 8.September sorgte in der Linksfraktion für Aufruhr / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Der große und von einigen fast ersehnte Knall ist am Dienstag ausgeblieben. Oder besser gesagt: verschoben worden. Der von einigen Abgeordneten und Parteifunktionären geforderte Ausschluss von Sahra Wagenknecht aus der Linksfraktion im deutschen Bundestag ist vorläufig vom Tisch, und auch ein Antrag, der unter Bezugnahme auf ihre Rede in der Haushaltsdebatte am 8. September ein faktisches Redeverbot für Wagenknecht als Vertreterin der Fraktion festlegen wollte, wurde von den acht Unterzeichnern zurückgezogen, nachdem sich abzeichnete, dass er nicht mehrheitsfähig sein würde. 

Das gilt auch für die Forderung nach Rücktritt der beiden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, denen vorgeworfen wurde, die Rede von Wagenknecht in der Debatte ermöglicht zu haben, obwohl ihre bekannten Positionen zum Ukraine-Krieg und zu den Sanktionen gegen Russland nicht mit der Mehrheitsmeinung in der Fraktion übereinstimmten.

In dem von der Fraktion angenommenen „Kompromissantrag“ des Fraktionsvorstandes  heißt es jetzt an einer Stelle zwar, „dass der Redner/die Rednerin grundsätzlich die Mehrheitsmeinung der Fraktion vorträgt“, allerdings auch den Hinweis, dass „die grundgesetzlich garantierte freie Mandatsausübung“ durch den Beschluss gewährleistet bleibe. Ein typischer Formelkompromiss also, mit dem beide Seiten zunächst leben können.

Die Fraktion steht auf wackligen Beinen

Bis zum nächsten großen Krach, muss man ergänzen, denn an der unerbittlichen Gegnerschaft der verfeindeten Lager in der Linken ändert der Beschluss nichts. Es scheint auch keine Brücken mehr zu geben, die seit Jahren mit wahrer Lust an der Selbstzerstörung  geschaufelten Gräben sind einfach zu tief.

Mit einer Ausnahme: Denn auch die erbittertsten Gegner Wagenknechts in der Fraktion, die sie am liebsten zum Teufel  jagen würden, haben längst realisiert, dass ein Ausschluss der ungeliebten Genossin oder sogar ein freiwilliger Austritt erhebliche Konsequenzen auch für sie selbst hätte. Politisch sowieso, aber das scheint in dieser Partei inzwischen zweitrangig zu sein.  

Doch die Fraktion steht auch formal auf sehr wackligen Beinen. Ohnehin konnte die eigentlich mit 4,9% bei der letzten Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte Partei nur aufgrund einiger Sonderbestimmungen im Wahlrecht erneut in den Bundestag einziehen – die  Direktmandatsklausel mit mindestens drei  gewonnenen Wahlkreisen und die Überhang- und Ausgleichsmandate, die ihr einen überproportionalen Anteil von etwas mehr als 5% der Mandate bescherten.

Verlöre die Linke aber mindestens drei ihrer 39 Mandatsträger, dann verlöre sie ihren Fraktionsstatus, was mit eingeschränkten parlamentarischen Rechten und dem Verlust beträchtlicher materieller Zuwendungen, etwa für Mitarbeiter der Fraktion, einher ginge. Und bei einem Rausschmiss von Wagenknecht oder ihrem durch noch massiveren Druck quasi erzwungenen Austritt, würden mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Abgeordneten aus ihrem Lager die Fraktion verlassen. 

Ursprünglich mal eine erfolgreiche Protestpartei

Bei der im freien Fall befindlichen Rest-Linken hat sich auf der Ebene der  bezahlten Funktionsträger längst eine Art „Beutegemeinschaft“ etabliert, und das nicht nur auf Bundes - sondern auch auf Länderebene. Die erreichten persönlichen Positionen in den aufgrund der schlechten Wahlergebnisse schmaler werdenden Apparaten der Fraktionen, der Partei und der parteinahen „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ werden mit allen Mitteln verteidigt, um jeden aussichtsreichen Platz auf den Wahllisten wird erbittert gekämpft und gekungelt.

 

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Eigentlich wurde die Linke als gesamtdeutsche politische Partei 2007 ja gegründet, um – getragen von einer starken sozialen Protestbewegung gegen die Hartz-IV-Reformen – eine politische Leerstelle im Parteienspektrum neu zu besetzen, die die SPD und die Grünen zuvor hinterlassen hatten. Das gelang anfangs auch recht gut, bei den Bundestagswahlen 2009 erreichte man 11,9 Prozent, es folgte der Einzug in fast alle Landesparlamente, auch der alten Bundesrepublik. Charismatische Führungsfiguren wie Oskar Lafontaine (der im März 2022 verbittert aus der Partei austrat) und seine spätere Ehefrau Sahra Wagenknecht hatten daran einen großen Anteil. 

Stammklientele wenden sich ab 

Doch einige Jahre später ist die Linke in politische Lager zerfallen, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen. „Rot-rot-grüne“ Seifenblasen auf Bundesebene zerplatzten schnell, und die später vollzogene Hinwendung zu „woken“ Mittelschichten in den urbanen Zentren und identitätspolitischen Themen kam die Partei vor allem in ihren Kernklientelen im Osten, aber auch bei Geringverdienern und  Armutsrentnern im Westen teuer zu stehen. Die lassen sich für gegenderte Sprache und offene Grenzen für Alle eben nicht so einfach begeistern.

Auch bei den aktuellen Sozialprotesten gegen die drohende Massenverarmung in Folge der Ukraine-Krise – die eigentlich eine Steilvorlage für eine linke Partei sein müssten – spielt die Linke kaum eine Rolle. Themen wie die Sanktionen gegen Russland will man tunlichst ausblenden, und wer sich nicht daran hält, muss auch innerparteilich mit einem heftigen Shitstorm rechnen – egal ob als prominente Bundestagsabgeordnete wie Sahra Wagenknecht oder als  Parteifunktionär, der auf einer Kundgebung in der Nähe irgendwelcher „Rechten“ zu sehen war. Und Basisarbeit im Sinne einer „Kümmerer-Partei“ gibt es bei den Linken nur noch rudimentär, auch weil immer mehr Genossen der Partei den Rücken kehren.

Höchste Zeit für etwas Neues

Bleibt eigentlich nur noch die Frage, wie lange das noch so weitergehen kann. Längst wird über Pläne gemunkelt, mittelfristig eine neue, linkspopulistische Organisation mit eindeutiger Fokussierung auf sozialpolitische Fragen zu schaffen. Das haben Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger bereits 2018 versucht, doch die überparteiliche Sammlungsbewegung „aufstehen“ scheiterte auf der ganzen Linie. Wenn man aus den vielen, seinerzeit gemachten Fehlern lernt, könnte ein neuer Anlauf durchaus funktionieren, denn das Potenzial ist vorhanden und die Erosion der Linken ist seitdem in rasendem Tempo fortgeschritten.  

Vielleicht sehen wir Sahra Wagenknecht und einige andere bekannte und weniger bekannte linke Politiker und viele neue Mitstreiter bereits 2024 bei den nächsten Europawahlen auf Kundgebungen und Wahlplakaten einer neuen Partei. Denn ihre Rolle als Buhfrau und Prügelmädchen des linken Partei-Mainstreams dürfte irgendwann ausgereizt sein.     

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