En passant - Burn, Warehouse burn!

In der Demokratie läuft alles im Schneckentempo ab. Unsere Kolumnistin Sophie Dannenberg bewundert daher den Tatendrang der „Letzten Generation“, wenn er nur nicht in Zerstörungswille umschwingen würde.

Vielleicht ist die Gewalt der „Letzten Generation“ gerade ihr Salz in der Suppe
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Immerhin habe ich in meinem linken Kinderladen gelernt, warum das N-Wort unverzeihlich ist. Trotzdem trällerten wir damals voller Inbrunst das Lied von den zehn kleinen N**lein, die nach und nach auf äußerst üble Weise umkommen. 
Wir mochten halt, wie alle kleinen Kinder, das Zählen bis Zehn. Und waren nicht die Einzigen. Auch der kommunistische Liedermacher Dieter Süverkrüp hat das Lied gesungen, wenn auch mit verfremdetem Text. 

Bei ihm ist es ein rotes Kleberlein, das immer mehr Leute einsammelt, bis endlich zehn rote Kleberlein über Nacht das ganze Viertel vollkleben. Damals noch mit Plakaten, nicht mit echten Menschen. Ob Süverkrüp ironisch oder rassistisch oder bescheuert war oder alles auf einmal – keine Ahnung. 

Die Gewalt ist zurück

Für mich erzählt diese Episode von der Widersprüchlichkeit politischer Bewegungen. Mein persönliches Erwachsenwerden bestand in der Erkenntnis, dass es im Politischen nichts Richtiges und nichts Falsches gibt, aber viel Falsches im Richtigen, gelegentlich auch Richtiges im Falschen. Und nichts daran ist glorios, demokratisches Handeln passiert fast immer aus der öden Mittelmäßigkeit heraus. 

Vielleicht ist es ja das stete Versacken des demokratischen Furors in der unvermeidlichen Gewöhnlichkeit, das uns immer müder macht. Je länger ich mir die Berliner Wahlplakate ansehe, auf denen die Kandidaten so goldig in die Kamera lächeln, dass ich sie am liebsten allesamt ins nächste Poesiealbum klatschen würde, umso mehr verstehe ich die „Letzte Generation“. Sie wollen „was tun“, endlich. Aber das wollten schon die 68er und endeten in Armani und Brioni, und Süverkrüp bei der „Sendung mit der Maus“. Als wäre nichts gewesen. 

 

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Dabei macht mich der Heroismus der „Letzten Generation“ durchaus misstrauisch, die sich zur Gewaltfreiheit in jeder Hinsicht bekennt und zugleich in die Museen zieht, um die berühmtesten Bilder der Welt zu attackieren. 
Auch die 68er planten erst mal nur Puddingattentate, bevor sie Kaufhäuser anzündeten und schließlich Menschen umbrachten. Trotzdem finden wir sie cool, womöglich insgeheim nicht trotz, sondern wegen ihrer Gewalt – die ja eine Form der totalen Selbstermächtigung ist, ein Versprechen höchster Effektivität.
Natürlich lehnen wir die Gewalt energisch ab. Aber ganz zaghaft, fast unbemerkt, flackert ihr unheimlicher Nimbus doch wieder auf.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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