Die Linke - Tendenz sinkend

Gespalten wie nie geht die Linke in den Bundestagswahlkampf. Das Wahldebakel in Sachsen-Anhalt ist da ein weiteres schlechtes Vorzeichen. Doch manche sehen eine kommende Wahlschlappe als Chance.

Erschienen in Ausgabe
Janine Wissler und Dietmar Bartsch führen die Linke in den Bundestagswahlkampf / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Es sollte Aufbruchsstimmung signalisieren. Anfang Mai kürte die Partei Dietmar Bartsch und Janine Wissler mit wenigen Gegenstimmen zu den Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl. „Für all diejenigen, die ungerecht behandelt werden, für die sind wir da“, schwor Bartsch seine Par­teifreunde in einem Livestream ein. Das werde man im Wahlkampf deutlich machen. „Selbstbewusst und zuversichtlich“ wolle man in den Wahlkampf gehen, sekundierte Amira Mohamed Ali, stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Hinter den Kulissen herrscht bei der Linken jedoch „blanke Angst“, wie es ein Mitarbeiter der Bundestagsfraktion beschreibt. Seinen Namen will er nicht gedruckt sehen, denn „die Inquisition hat ein wachsames Auge auf Zweifler und Kritiker“, wie er sagt.
In den Umfragen für die Bundestagswahl liegt die Linke zwischen 6 und 7 Prozent, Tendenz sinkend. Das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde ist für die Partei, die 2017 über 9 Prozent der Stimmen holte, inzwischen eine reale Möglichkeit. Es drohen nicht nur der Verlust vieler, meist gut dotierter Arbeitsplätze und finanzieller Ressourcen, sondern die bundespolitische Bedeutungslosigkeit.

Symbol- oder Realpolitik

Doch die Partei leistet sich weiter einen erbitterten Richtungskampf, der es den Wählern schwer macht zu wissen, wofür die Linke steht. Für sexuelle und kulturelle Diversität, offene Grenzen und antirassistische Symbolik? Oder für die sehr realen Sorgen und Nöte bis hin zu Existenzängsten der „einfachen Menschen“ in Stadt und Land? Für Identitäts- und Genderpolitik oder für ein klares, sozialpolitisches Profil, das nicht nur aus Worthülsen besteht, sondern mit finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischer Expertise unterfüttert ist? Für ein „rot-rot-grünes Reformbündnis“ oder für fundamentale Opposition? 

Das sei kein Widerspruch, sondern zeige die Vielfalt der Linken, heißt es gebetsmühlenartig aus der Parteiführung. Dietmar Bartsch sieht eine „gute Chance, einen Aufbruch hinzubekommen“. Die Corona-Krise habe „Verwerfungen angerichtet und sichtbar gemacht, auf die es entschlossene Antworten braucht. Die haben wir“, sagt er im Gespräch. Bartsch ist „überzeugt, dass wir im September zweistellig werden können“.

Zwischen Grünen und AfD

Doch die Wähler sehen das anders. Nur in Thüringen hat die Partei ihre Position halten können, was in erster Linie dem „Landesvater“ Bodo Ramelow geschuldet ist. Ansonsten hagelt es seit Jahren Wahlschlappen. Die umworbene „postmoderne“ Klientel wählt mehrheitlich das Original – die Grünen. In den traditionellen linken Klientelen, in der Arbeiterschaft und bei Erwerbslosen, gab es herbe Verluste in Richtung AfD, besonders im Osten. Bei der Bundestagswahl 2017 verlor die Linke 430 000 Stimmen an die AfD, bei der Landtagswahl in Sachsen 2019 waren es 27 000.

In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung wurde die seit 1990 als PDS firmierende Partei vor allem als „authentische Stimme des Ostens“ wahrgenommen, mit spärlicher Resonanz in den alten Bundesländern, wo ihr das Stigma der „SED-Nachfolgepartei“ anhaftete. 

Lafontaine und Gysi

Das änderte sich ab 2003, als sich angesichts der Agenda 2010 enttäuschte Sozialdemokraten und Gewerkschafter von der SPD abwandten und die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) gründeten, getragen von einer Protestwelle gegen Hartz IV.

%paywall%

2005 gingen beide Parteien unter Führung der populären Politiker Gregor Gysi und Oskar Lafontaine ein erfolgreiches Wahlbündnis ein, 2007 kam es schließlich zur Vereinigung zur neuen Partei Die Linke, die 2009 mit 11,9 Prozent ihr mit Abstand bestes Wahlergebnis erzielte.

Bestehende Gräben

Doch schnell taten sich tiefe Gräben zwischen ostdeutschen Realpolitikern und westdeutschen Fundamentalisten auf. Das Zerwürfnis entlud sich auf dem Göttinger Parteitag 2012 in einem furiosen Rededuell der beiden Alpha-Politiker Gysi und Lafontaine. Letzterer zog sich anschließend aus der ersten Reihe zurück. Der im Osten populäre Strippenzieher und heutige Spitzenkandidat Bartsch wurde damals bei den Vorstandswahlen gedemütigt, die Spaltung schien greifbar nah. Zur Rettung wurde ein in den Grabenkämpfen unbelastetes gemischtes Duo aus dem Hut gezaubert: die postmoderne junge sächsische Abgeordnete Katja Kipping und der gestandene schwäbische Gewerkschaftsfunktionär Bernd Riexinger.

Mit Beginn der Flüchtlingskrise rissen die notdürftig zugeschütteten Gräben wieder auf: Sahra Wagenknecht, die mit Abstand populärste Linke-Politikerin, forderte die erstarkte postmoderne Strömung um die Parteivorsitzende Kipping heraus. Wagenknecht bezog Stellung gegen das Mantra der „offenen Grenzen und Bleiberecht für alle“, mahnte eine Rückbesinnung auf traditionelle linke Politik für die sozialen Interessen der Schwachen und Abgehängten in der Gesellschaft auf Grundlage des Nationalstaats an.
Diesen Kampf haben Wagenknecht und ihre Unterstützer verloren. Die maßgeblich von ihr im Herbst 2018 initiierte überparteiliche linke Sammlungsbewegung Aufstehen scheiterte kläglich, im März 2019 kündigte Wagenknecht ihren Rückzug aus der Fraktionsspitze an. Sie blieb allerdings Abgeordnete und wird wohl auch dem nächsten Bundestag angehören, da sie in Nordrhein-Westfalen trotz heftiger Schmutzkampagnen ihrer Gegner („Rassistin“, „AfD-Nähe“) erneut als Spitzenkandidatin nominiert wurde.

Am Gefüge der Partei ändert das jedoch nichts. Dort hat ein tief greifender Generationswechsel stattgefunden: Viele Protagonisten mit SED-Vergangenheit sind längst aus der Politik ausgeschieden oder spielen – wie etwa Gysi – kaum noch eine Rolle. Das gilt auch für die alte Führungsriege der westdeutschen WASG. 

Junge Akademiker geben Ton an

An der Basis ist dieser Umbruch noch deutlicher. Viele ältere Genossen sind nicht mehr dabei, etliche Ortsgruppen – gerade im Osten das Rückgrat der „Kümmererpartei“ – existieren nicht mehr oder nur noch auf dem Papier. Neu dazugekommen sind jüngere, meist akademisch gebildete Leute aus den urbanen Milieus der neuen Mittelschichten. Diese neue Generation prägt heute auch die Funktionsapparate der Linken, in der Partei, in den Parlamenten und in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In einigen West-Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen ist die Linke ein Sammelbecken für trotzkistische Strömungen und Netzwerke, von der Sozialistischen Alternative (SAV) über Marx21 bis zur Bewegungslinken. Was sie bei aller Feindschaft eint, ist eine Betonung postmoderner, universeller Werte wie Genderpolitik, Diversität und Migrationsunterstützung – und eine an Hass grenzende Gegnerschaft zu Wagenknecht und ihren Unterstützern.

Manche Genossen geben angesichts dieser Gemengelage auf: Im Frühjahr kündigte der aus Hamburg stammende Fabio De Masi, der sich als finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion weit über Parteigrenzen hinaus einen Ruf als kompetenter Fachpolitiker erwarb, seinen Rückzug aus der Bundespolitik an. In den parlamentarischen Befragungen und Untersuchungsausschüssen zu der Wirecard-Pleite und den Cum-Ex-Geschäften einiger Banken war es De Masi, der beharrlich auf der Aufklärung der Rollen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) und Finanzminister Olaf ­Scholz (SPD) insistierte und der immer wieder Widersprüche offenlegte, in die sich die Protagonisten verstrickten.

Zu den Umständen seines Rückzugs will er sich nicht mehr äußern, es sei „bereits alles gesagt“. Alles gesagt hatte De Masi in einem offenen Brief im Februar, in dem er bekannt gab, nicht erneut für den Bundestag zu kandidieren. 

Weckruf verstummt

Es sind bittere Worte. Sein Ziel sei es gewesen, schreibt er da, „den Beweis zu erbringen, dass es die Linke auch selbst in der Hand hat, ob sie bei ökonomischen Debatten, die nun angesichts der Corona-­Krise das ganze Land bewegen, eine Rolle spielt“. Denn es werden „die Parteien gewählt, denen man zutraut, Existenzen in der Corona-Krise zu sichern, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu verhindern, dass Kinder aus ärmeren Stadtteilen ihr Recht auf Bildung einbüßen“. Stattdessen gehe es bei seiner Partei oft nur noch um die „richtige Haltung“, um „Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen“ und um Identitätsfragen, wovon sich nur noch „woke Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen“. 

In seiner Partei hätte dieser Brandbrief eigentlich Betroffenheit und Entsetzen auslösen und als Weckruf verstanden werden müssen. Doch dort war De Masi zu diesem Zeitpunkt längst kaltgestellt. Fundierte Finanz- und Wirtschaftspolitik gehört nicht zu den Prioritäten, zudem hat De Masi einen unauslöschbaren Makel: Er hatte sich im Richtungsstreit auf die Seite von Wagenknecht gestellt.

Die Vernünftigen werden herausgeekelt

De Masi ist kein Einzelfall. Anfang 2020 kündigte der versierte Außenpolitiker Stefan Liebich seinen Rückzug aus der Bundespolitik an. Und bei den jüngsten Wahlen zum 44-köpfigen Parteivorstand gab es eine regelrechte Säuberungsaktion gegen Unterstützer von Wagenknecht, die oftmals durch Bewegungslinke ersetzt wurden, die sich mit Bekenntnissen und Tätigkeitsnachweisen in den Politikfeldern Antirassismus, Antifaschismus und queerer Diversity empfohlen hatten. Diese Tendenz setzte sich bei den Nominierungen für die Bundestagswahlen fort.

Nicht wieder aufgestellt wurde mit Sabine Zimmermann eine ausgewiesene Expertin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. 2005 zog das ehemalige SPD-Mitglied zunächst als Parteilose über die offene Landesliste der PDS in Sachsen in den Bundestag ein. Nach der Vereinigung von PDS und WASG trat sie der Linken bei. Seit 2009 ist die gelernte Anlagentechnikerin und Bau­stofftechnologin arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion und leitet auch deren Arbeitskreis für Soziales, Gesundheit, Pflege und Rente. „Als Gewerkschafterin habe ich immer die Interessen der abhängig Beschäftigten und sozial Benachteiligten vertreten. Doch die Schröder-Regierung hat Arbeitnehmerrechte geschleift und die soziale Absicherung verschlechtert. Das wollte ich nicht länger mittragen. Seitdem ist Die Linke meine politische Heimat“, erläutert Zimmermann ihren politischen Werdegang. Im Parlament trat sie immer wieder mit Anträgen und pointierten Reden in Erscheinung. Auch Mittelstandspolitik, insbesondere das Handwerk, gehört zu ihren Themen. Damit ist sie in der Fraktion eine Exotin. In Sachsen ist sie bestens in Gewerkschaften und Arbeitsloseninitiativen vernetzt, aber auch bei der Industrie- und Handelskammer. 

Doch beim Nominierungsparteitag der sächsischen Linken im April wurde Zimmermann abgestraft. Im Reich der früheren Parteivorsitzenden Kipping, die auf Platz eins der Landesliste gewählt wurde, ist kein Platz für Traditionslinke, die sich als Vertreter der „einfachen Leute“ verstehen und deren Lebenswelt in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Bei der Kampfabstimmung um die aussichtsreichen Listenplätze fünf und sieben verlor Zimmermann gegen Clara Anne Bünger, die sich vor allem für die Initiative Seebrücke engagiert, die für globale „Bewegungsfreiheit für alle Menschen“ eintritt. Anschließend unterlag sie auch der Klimaaktivistin Nina Treu.

Von der grünen Welle getrieben

Die Delegierten hätten „auf Jugend und nicht auf Erfahrung gesetzt“, sagt sie. Aber natürlich haben auch ihre „politischen Schwerpunkte und parteiinterne Verortung eine Rolle gespielt“, sagt Zimmermann. Denn auch sie teilt Wagenknechts Kritik an der postmodernen, ökolibertären Ausrichtung der Partei: „Manche glauben, wir müssten auf der grünen Welle mitschwimmen, um Wählerinnen und Wähler abzubekommen. Das ist zu kurz gedacht. Die Themen, bei denen der Linken Kompetenz zugeschrieben wird, sind der Arbeitsmarkt und die soziale Frage. Davon haben wir uns leider wegbewegt. Darauf müsste die Linke setzen.“ 

In vielen wichtigen Politikfeldern, wie etwa beim Umgang mit der Corona-­Krise und ihrer Bewältigung, ist die Partei faktisch nicht erkennbar. Wie auch, wenn Genosse A No Covid und den totalen Lockdown propagiert und Genosse B die Grundrechtseinschränkungen kritisiert. Ähnlich ist es bei der Klimapolitik. Einig ist man sich nur, dass irgendwie „die Reichen“ alles zahlen sollen. Wie genau, bleibt meist im Nebel. Kohärente Industrie- und Finanzpolitik – Fehlanzeige.

Ein wirres Wahlprogramm

Auch der Entwurf des Wahlprogramms, der auf einem Parteitag im Juni wohl wenig verändert verabschiedet wird, hilft kaum weiter. Im Gegenteil: Neben Worthülsen und Leerformeln enthält er auch jede Menge Widersprüche. So soll die Industriestruktur „unabhängiger vom Export werden“. Andererseits sollen viele Milliarden Euro in neue Industrien gepumpt werden, etwa in die Umwelttechnologie, die eindeutig export­orientiert sind.

Ein Austritt aus der Nato wird nicht explizit gefordert, aber jegliche Beteiligung an Auslandseinsätzen abgelehnt, auch bei Ausbildungsmissionen oder Stationierungen in EU-Ländern wie Litauen. Ferner will man die Bundeswehr „schrittweise abrüsten“ und unter anderem die Cyberabwehr „auflösen“. Gleichzeitig sollen auch Einsätze der Bundeswehr im Inneren, etwa beim Katastrophenschutz, verboten werden.

Ähnlich krude sind die Passagen zur EU. Einerseits fordert die Linke eine Stärkung der EU als Institution mit einem Riesenetat und weitreichenden Kompetenzen, etwa für „ein europäisches Investitions- und Ausgabenprogramm“ von zwei Billionen Euro. Andererseits sollen viele Entscheidungen wieder nationalen und regionalen Parlamenten übertragen werden.

Migrationspolitik

Besonders am Kapitel zur Migration wird deutlich, welche Strömungen in der Partei das Sagen haben. Die Linke stehe für „globale Bewegungsfreiheit“ und „offene Grenzen für alle Menschen“ und „gegen Abschottung und Abschiebungen, für das Recht, zu gehen, zu kommen und zu bleiben“. Denn: „Platz und Ressourcen sind genug vorhanden.“ 

Die Linke verteidigt „das Selbstbestimmungsrecht von muslimischen Frauen“ und spricht sich gegen ein „Verbot religiös motivierter Bekleidung aus“, etwa in Schulen oder im Justizdienst. Auch der Kampfbegriff des proislamistischen Flügels der Partei, der „antimuslimische Rassismus“, taucht im Programm auf. Probleme mit bestimmten Zuwanderergruppen und daraus entstehenden Parallelgesellschaften werden nur angedeutet – als Folge der mangelnden Bereitschaft, die Zuwanderer zu fördern.
Und da gibt es vor der Verabschiedung keinen Diskussionsbedarf? Ein Parteitagsdelegierter winkt nur müde ab: „Die Schlachten sind doch alle längst geschlagen. Niemand hat mehr Lust und Kraft, diese Fässer aufzumachen, weil es ohnehin nichts nutzen würde.“

Das Spitzenpersonal

Bei Wahlen spielt weniger das Wahlprogramm, dafür aber das Spitzenpersonal eine wichtige Rolle. Der aus Stralsund stammende 63-jährige Bartsch ist ein Partei-, Bundestags- und Talkshow-erfahrener, bundesweit bekannter Pragmatiker aus dem Reformerlager. Ihm ist zu verdanken, dass die Bundestagsfraktion im Streit um Wagenknecht Anfang 2019 nicht auseinanderbrach. Er vermied eindeutige Parteinahmen und fädelte in beharrlichen Gesprächen mit allen Flügelprotagonisten einen Kompromiss ein. 

Die „Neue“, Janine Wissler, sitzt seit 2008 im hessischen Parlament und gehörte bis zu ihrem Aufstieg an die Parteispitze zum trotzkistischen, proislamistischen Netzwerk Marx 21. Lange lehnte sie eine „rot-rot-grüne“ Koalition mit schmerzlichen Kompromissen ab. Inzwischen schlägt sie moderatere Töne an. 

Personelle Alternativen gibt es nicht. Amira Mohamed Ali, Wagenknechts Nachfolgerin als Co-Fraktionsvorsitzende, blieb blass. Und Wisslers Co-Parteivorsitzende, die thüringische Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow, fällt in ihrer bisherigen Amtszeit vor allem dadurch auf, dass sie von einem Fettnäpfchen ins nächste taumelt. So bekräftigte sie in einem Interview mit dem Youtuber Tilo Jung die Forderung nach Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, konnte aber auf Nachfrage keinen einzigen konkret benennen.

Scheitern als Chance

Die weit über die Partei hinaus populäre Wagenknecht wird von großen Teilen der Linken eher als politische Gegnerin denn als Genossin gesehen. Ständig hagelt es Distanzierungen von ihren Thesen und ihrer Person – nebst Aufforderungen, die Partei doch bitte zu verlassen.

Der gewiefte Parteistratege Bartsch versucht, den Ball flach zu halten. „Sahra Wagenknecht ist Spitzenkandidatin der Linken in NRW. Diese Entscheidung hat die Partei demokratisch getroffen. Das wäre kaum passiert, wenn es die Schärfe geben würde, die Sie annehmen. Sahra Wagenknecht wird in diesem Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen“, sagt er.

Keine guten Voraussetzungen für einen Wahlkampf, der von der Klimapolitik sowie der Corona-Krise und der Bewältigung ihrer Folgen geprägt sein wird. Angesichts des sich anbahnenden Zweikampfs zwischen Annalena Baerbock und Armin Laschet droht einer kleinen Partei, die mit sich selbst beschäftigt ist, das Verschwinden vom Wahrnehmungsradar, vor allem, wenn sie kein erkennbares Profil hat. An der Basis hört man derweil Stimmen, die ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde nicht als Tragödie sehen. Sondern als Chance begreifen, „um linke Politik wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen“.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

Anzeige