Die FDP und ihre roten Linien - Die Schuldenbremse strikt beachten? Von wegen!

Finanzminister Christian Lindner leitet 60 Milliarden Euro an nicht genutzten Kreditermächtigungen, die eigentlich für die Bewältigung der Corona-Krise vorgesehen waren, in einen Klimafonds um. Mit dieser Umgehung der Schuldenbremse drückt sich die FDP um ein zentrales Wahlversprechen.

Mit einem Taschenspielertrick wird das Klima prima: Finanzminister Christian Lindner / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Steht die Ampel etwa schon vor dem Scheitern? Bereitet die FDP ihren Ausstieg aus? Eigentlich müssten die Freien Demokraten dies tun. Schließlich hat Christian Lindner, ihr Vorsitzender und Bundesfinanzminister, erst vor zwei Monaten in einem Beitrag für die FAZ verkündet: „Einer Regierung könnten wir deshalb nicht beitreten, die Steuern erhöht oder die Schuldenbremse missachtet.“

So lautete das Credo des Ober-Liberalen kurz nach der Unterzeichnung des Sondierungspapiers der Ampel-Parteien. Festhalten an der Schuldenbremse und keine höheren Steuern, das waren die roten, besser: die gelben Linien, die die FDP im Wahlkampf gezogen hatte. Mit dem doppelten Ziel der eigenen Profilierung als Partei finanzpolitischer Seriosität und zur Gewinnung mit der CDU/CSU unzufriedener Wähler. Folglich war das Urteil nach Abschluss der Sondierungen einhellig: Die FDP hält Kurs – und die „Big Spender“ in den Reihen ihrer roten und grünen Partner in Schach.

Vergangen, vergessen, vorüber: Die FDP hält das Prinzip Schuldenbremse so hoch, dass ihr Finanzminister mit seinem Nachtragshaushalt für 2021 bequem drunter durchschlüpfen kann. Ja, das Grundgesetz erlaubt in außergewöhnlichen Notsituationen die Aussetzung der Regel, dass die Kreditaufnahme nicht 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten darf; das wären 12 Milliarden Euro. Und Corona ist zweifellos ein solcher Notfall. Deshalb hatte die Große Koalition gut daran getan, kräftig Kredite aufzunehmen, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie zumindest abzumildern.

Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität

Nur: Die GroKo hat in diesem Jahr Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden nicht in Anspruch genommen, nicht in Anspruch nehmen müssen. Diese Ermächtigungen würden Ende des Jahres verfallen. Um genau das zu verhindern, wandert dieser Freibrief zur höheren Verschuldung in einen Nebenhaushalt mit dem wohlklingenden Namen „Fonds für Klima und Transformation“. Mit anderen Worten: Die Ampel verschafft sich finanziellen Spielraum für einen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität.

Klimaneutralität ist zweifellos ein vernünftiges Ziel. Doch mit einer seriösen Finanzierung ihrer Klimapolitik hat diese Umgehung der Schuldenbremse nichts zu tun. Seriös wäre es, wenn die Ampel-Parteien das Geld für die angestrebte Transformation durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch Steuererhöhungen finanzierten. Letzteres will die FDP nicht, Ersteres kommt für SPD und Grüne nicht in Frage.

Dass Kreditermächtigungen von einem Haushaltsjahr aufs nächste übertragen werden, ist gängige Praxis. Die GroKo leitete 2020 nicht genutzte Ermächtigungen in Höhe von 26 Milliarden in den Klimafonds um. Nur sprach der damalige Oppositionspolitiker Lindner von einem „Taschenspielertrick“ und warf der schwarz-roten Regierung ein verfassungswidriges Manöver vor. Jetzt verweist derselbe Christian Lindner auf ein „bewährtes“ Verfahren. Aber „verfassungswidrig“ und „bewährt“ schließen sich eigentlich aus, sofern man sich nicht mit verfassungswidrigen Haushaltstricks abfinden will.

Schattenhaushalt außerhalb der Leitplanken

Es war eine Woche nach der Rückkehr der Freien Demokraten auf die Regierungsbank keine Sternstunde, als Lindner seinen Nachtragshaushalt mit der windigen Umgehung der Schuldenbremse auf den Weg brachte. Man darf getrost davon ausgehen, dass dies bereits in den Koalitionsverhandlungen so besprochen worden ist. Wohl nur unter der Prämisse der Schuldenaufnahme über Nebenhaushalte wie den Klimafonds dürften SPD und Grüne bereit gewesen sein, das FDP-Diktum „Festhalten an der Schuldenbremse“ und „keine Steuererhöhungen“ zu akzeptieren. So gesehen muss man den Koalitionsvertrag unter diesem Aspekt als Mogelpackung oder Taschenspielertricks bezeichnen, sofern man sich sprachlich bei Lindner bedienen will.

Als die Große Koalition 2009 die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufnahm, sollten Parlament und Regierung daran gehindert werden, finanzielle Lasten via Kreditaufnahme auf künftige Generationen zu verlagern. Die Schuldenbremse sollte die Regierenden vor die Alternative stellen, höhere Ausgaben in erster Linie durch Einsparungen oder Steuererhöhungen zu finanzieren. Genau gegen diese Prinzipien verstößt der neue Finanzminister.

In dem erwähnten FAZ-Beitrag Lindners heißt es unter anderem, im Sondierungspapier sei „klar verankert“, dass sich eine künftige Regierung „zwingend innerhalb dieser Leitplanken bewegen muss“. Gemeint waren das Festhalten an der Schuldenbreme und der Verzicht auf Steuererhöhungen. Formal tut der Finanzminister das – und platziert seine Schattenhaushalte eben außerhalb der Leitplanken. So weit, so klar. So weit, so unglaubwürdig.

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