„Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ - Erdogan-Jünger wollen bei uns Politik machen

Viele in Deutschland lebende Türken wollen auch politisch Einfluss nehmen. Diesem Zweck dient offensichtlich die Gründung einer türkisch-islamistischen Partei aus dem Erdogan-Umfeld. Das Einfallstor ist hausgemacht, das Entsetzen dennoch groß.

Erdogan mit Bundeskanzler Olaf Scholz / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2018 sorgten Fotos der Fußballstars Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Erdogan für heftige Kritik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versuchte die Öffentlichkeit zu beruhigen: Ein Mensch könne auch „zwei Heimaten“ haben. Mit Blick auf diese beiden Nationalspieler bedeutete das wohl: den deutschen Adler auf der Brust und den türkischen Halbmond im Herzen.

Viele in Deutschland lebende Türken nehmen das mit den „zwei Heimaten“ ernst: Sie sind ihrem Herkunftsland sehr verbunden, wollen aber auch in Deutschland politisch Einfluss nehmen. Diesem Zweck dient offensichtlich die Gründung einer „türkisch-islamistischen Partei“ mit der Bezeichnung „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA).

Laut Bild sollen die Spitzenkandidaten dieser Partei früher für die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan oder deren Vorfeldorganisationen tätig gewesen sein. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, die neue Partei wolle eine „starke Stimme der politisch Unterrepräsentierten“ sein.

Dass ausgerechnet Erdogan-Jünger für „Vielfalt und Aufbruch“ stehen wollen, klingt nach einem Scherz. Doch der Sultan vom Bosporus meint es bitterernst, wenn es darum geht, den Einfluss seiner Landsleute auf Politik und Gesellschaft anderer Länder auszuweiten. Dabei baut er besonders auf die Türken in Deutschland. Schließlich stimmen die bei Wahlen in viel stärkerem Umfang für ihn als die Türken in der Türkei.  

„Ihr solltet ein Teil dieser Parlamente sein“

Schon vor Jahren hat Erdogan „seine“ im Ausland lebenden Türken aufgefordert, den Pass ihrer Zweitheimat zusätzlich zum türkischen zu beantragen. Erdogans Appell war eindeutig: „Nehmt unbedingt die Staatsangehörigkeit der Länder an, in denen ihr lebt.“ Und: „Ich bitte euch, dass ihr eine aktive Rolle in den politischen Parteien in den Ländern übernehmt, in denen ihr lebt. Ihr solltet ein Teil dieser Parlamente sein, nicht diejenigen, die ihr Land verraten.“ Wen er mit Verrätern meinte, dürfte klar sein: türkischstämmige Politiker wie den Grünen Cem Özdemir, die Politik im Interesse Deutschlands machen und eben nicht im Interesse der Türkei und speziell Erdogans.
 

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Mit der DAVA könnte das anders werden. Dann würden türkischstämmige Menschen mit deutschem Pass im Europäischen Parlament im Interesse Erdogans und der Türkei abstimmen. Doch erst einmal müssen sie den Sprung nach Straßburg schaffen. Das könnte gelingen. Bei der Europawahl 2019 reichten ca. 400.000 Stimmen für einen der 99 deutschen Sitze. Bei etwa 1,4 Millionen türkischstämmigen Menschen mit deutschem Pass, darunter etwa 300.000 Doppelpass-Inhaber, erscheint das nicht als eine unlösbare Aufgabe.

„Eine weitere extreme Partei im Land“

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass ein Erfolg der DAVA die deutsche Erdogan-Partei beflügeln könnte, auch bei anderen Wahlen anzutreten. Dazu böten sich insbesondere Kommunalwahlen in Großstädten mit einem hohen Anteil türkischstämmiger Bewohner an. Dann könnten Erdogans Stellvertreter kräftig mitmischen, etwa in der Schulpolitik, beim Wohnungsbau oder der Errichtung von Moscheen. Mag sein, dass mancher Alt-Grüne diese Form von Multikulti als Verwirklichung seiner Träume betrachtet. Die Integration dieser Zuwanderer wird es dagegen nicht fördern – und das Verständnis der Einheimischen für diese Zugewanderten ebensowenig.

Die Gründung einer türkisch-islamistischen Partei stößt bei Regierung und Opposition bereits auf Skepsis und Ablehnung. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte dazu: „Ein Erdogan-Ableger, der hier zu Wahlen antritt, ist das Letzte, was wir brauchen.“ Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken mahnte, „die spalterischen Tendenzen eines Recep Tayyip Erdogan“ dürften in Deutschland keine Rolle spielen. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn sieht in einem Erdogan-AKP-Ableger sogar „eine weitere extreme Partei im Land“.

Auch wenn das Entsetzen groß ist: Die Gründung der DAVA unterstreicht, wie falsch es war, dass CDU/CSU und SPD bereits in der Großen Koalition mit der großzügigen Verteilung von deutschen Pässen begonnen haben. „Ein Türkischstämmiger mit Doppelpass kann ebenso loyal zu Deutschland stehen wie ein Türkischstämmiger, der nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt“, verteidigte Kanzlerin Angela Merkel ihre schwarz-rote Politik. Den Grünen hingegen war die schwarz-rote Einbürgerungspolitik sogar viel zu restriktiv.

Doppelpass für 1,5 Millionen?

Die „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP will es mit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht Zuwanderern noch einfacher machen, sich einbürgern zu lassen. War der Doppelpass bisher eher die Ausnahme, so dürfte er künftig zur Regel werden. Wer den deutschen Pass großzügig vergibt und die Bedeutung der Integration vernachlässigt, sollte sich über die Folgen nicht wundern. Mit einem deutschen Pass die europäische oder deutsche Politik im Sinne einer ausländischen Regierung beeinflussen zu wollen, widerlegt die hehren Reden von der Loyalität der Zuwanderer zu Deutschland.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, Gökay Sofuoglu, beschreibt, was er von den Ampel-Plänen zur Einbürgerung erwartet: „Ich gehe davon aus, dass auf Dauer alle 1,5 Millionen türkischstämmigen Bürger in Deutschland, die bisher keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, eine doppelte Staatsbürgerschaft erlangen werden.“ Das wird die türkisch-islamistische „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ erfreuen – und ihren Stichwortgeber und Finanzier Erdogan ebenfalls.

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