Daniel Günther für AfD-Verbot - „Wir dürfen nicht tolerieren, dass Menschen eine solche Partei wählen“

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) fordert eine härtere Gangart gegen die AfD. Er habe große Sympathien für ein Verbotsverfahren, sagt er im Cicero-Interview. Man habe viel zu lange akzeptiert, dass Wähler aus Protest für diese Partei stimmen.

Der christdemokratische Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, fordert eine härtere Gangart gegen die AfD / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Daniel Günther (CDU) ist seit 2017 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Er regiert dort zusammen mit den Grünen.

Herr Ministerpräsident, die Bauernproteste bewegen die Republik. Gerade bei Ihnen im Norden sind viele Landwirte wütend auf die Bundesregierung. Können Sie das verstehen?

Dafür habe ich in der Tat Verständnis. Wenn ein Berufsstand ohne Vorwarnung so über Gebühr belastet wird, wie das mit den Bauern jetzt geschehen soll, kann ich das nachvollziehen. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass das ein tiefergehender Protest ist, der mittlerweile auch von Mittelstand, Handwerk und anderen Wirtschaftsbereichen unterstützt wird. Es geht nicht nur um die Kürzungen beim Agrardiesel, sondern um eine gewachsene Unzufriedenheit. Auch um das Gefühl, dass Politik es Unternehmerinnen und Unternehmern schwermacht, weil die sich mehr mit ihren Dokumenten und Unterlagen befassen müssen als mit ihren Tätigkeiten. Wir haben zu viel Bürokratie, zu viele Vorschriften und zu wenig Freiraum. Ich glaube, das ist eher das, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Und damit müssen wir uns dringend auseinandersetzen. Darauf müssen wir als Politik richtig reagieren. Insofern können die Proteste, die jetzt in ganz Deutschland stattgefunden haben, eine positive Wirkung auf die Politik entfalten.

Die Wut wegen zu viel Bürokratie und zu vielen Vorschriften richtet sich vor allem gegen die Grünen. Denn deren Politikverständnis ist es, dass der Staat möglichst genau alles vorschreibt und regelt. Nun sind Sie in Schleswig-Holstein mit den Grünen freiwillig eine Koalition eingegangen. Wie schwierig ist es für Sie, sich da abzugrenzen?

Wir kommen von unterschiedlichen Positionen und das verschweigen wir auch nicht. Wir sehen das aber als Stärke an und ziehen an einem Strang. Das halte ich für klug, wenn man zusammen regiert. Das ist ja eines der Kernprobleme der Bundesregierung: Man hat nicht das Gefühl, dass die drei Parteien gerne zusammen regieren. In Schleswig-Holstein funktioniert das anders und besser. Wir gehen bei uns in der Koalition mit den Grünen zum Beispiel den Bürokratieabbau an. Das Thema Bürokratie belastet die Menschen heute eher, als dass sie etwas Positives darin sehen. Dass wir Regeln in unserem Land haben, dass man Verlässlichkeit hat, dass man gleiche Chancen hat, weil wir ein verwaltungsmäßig gut organisiertes Land sind, ist eigentlich ein Standortvorteil. Ich glaube bloß, wir haben es in den vergangenen Jahren übertrieben, weil wir zu wenig Zutrauen gezeigt und zu wenig auf Eigenverantwortung gesetzt haben. Es ist jetzt ein starkes Zeichen, dass Menschen sagen: „Wir brauchen auch Eigenverantwortung. Wir wollen große gesellschaftliche Veränderungsprozesse mitgehen.“

Ihre Grünen in Schleswig-Holstein sind wirtschaftsfreundlicher und pragmatischer?

Sie sind auf jeden Fall pragmatisch. Das zeichnet unsere Koalition auch aus. Während in Berlin über Planungsbeschleunigung geredet wird, bringen wir sie schon voran. Das haben wir mit dem Bau des Flüssiggas-Terminals gezeigt – mit Anschlüssen, mit Gasleitungen, auch Wasserstoff-ready, also vorbereitet auf grüne Technologien. Und es war ein grüner Minister, Tobias Goldschmidt, der das in unserer Regierung zum großen Teil verantwortet hat. Diese Prozesse in einer Art und Weise zu beschleunigen und möglich zu machen, ist Ausdruck des Pragmatismus, der uns in Schleswig-Holstein so stark macht. Neun Monate Planung und Bau, bis das erste Flüssiggas geliefert wird, das ist schon Rekordgeschwindigkeit.

Wobei man von Unternehmen hört, dass dafür andere Anträge, die für sie sehr wichtig waren, bei den Behörden liegengeblieben sind.

Das will ich nicht bestreiten. Es waren auch die kommunalen Behörden, die da wahnsinnig viel mitgeholfen haben. Das war nur möglich, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Hochdruck und unter Verzicht auf Urlaub, auch über Weihnachten, das alles umgesetzt haben. Es ist aber ein Beispiel dafür, dass wir auch schnell handeln können in Deutschland. Wenn das für alle Bereiche gelten soll, dann müssen wir die Vorschriften vereinfachen und reduzieren. Deshalb bringen wir in Schleswig-Holstein den Beschleunigungspakt voran, den Bund und Länder geschlossen haben, und als erstes Bundesland auch ein Normenscreening, um Gesetze zu verschlanken.

Die Bauernproteste sind auch Ausdruck davon, dass die „große Transformation“ zur Klimaneutralität im Rekordtempo unser Land überfordert. Wäre es nicht an der Zeit, ehrlich zu sagen: Ja, wir wollen den CO2-Ausstoß reduzieren, aber langsamer, durchdachter und ökonomisch sinnvoller?

Die Proteste sind Ausdruck einer Erwartungshaltung, die von der Politik realistische Ziele und klare Perspektiven verlangt. Das Grundproblem ist die dauerhafte Verlässlichkeit von politischen Rahmenbedingungen. Für Investitionsentscheidungen, die getroffen werden, haben wir eine zu kurze Halbwertszeit politischer Entscheidungen. Wenn sich Rahmenbedingungen innerhalb weniger Jahre ändern und eine einmal getroffene Investitionsentscheidung im Nachhinein unrentabel machen, ist das eine sehr schwierige Situation. Dass wir klimaneutral werden müssen, stellt wohl kaum jemand in Frage. Nur: Wir brauchen langfristige Perspektiven. Wir müssen aufzeigen, was in den nächsten Jahren kommt, welche Förderungen es gibt, was der Staat regelt und wo der Verbraucher mit anpacken muss. Das klar zu kommunizieren und überhaupt mal mit Menschen zu reden, ist der Bundesregierung völlig abhanden gekommen. Dabei wäre das der Schlüssel, um wieder eine bessere Stimmung in unserem Land zu erreichen. Denn die Lage ist gar nicht so schlecht wie die Stimmung.

In den Wahlumfragen wird die AfD immer stärker und hat in ostdeutschen Ländern bereits die CDU überholt. Nun wird über ein Parteiverbotsverfahren diskutiert. Sie haben sich dafür offen gezeigt. Warum glauben Sie, dass das die richtige Lösung ist?

Die richtige Lösung ist, dass wir jetzt als Demokratinnen und Demokraten unsere Verantwortung wahrnehmen und den Kurs gegenüber der AfD verändern. Wir haben viel zu lange akzeptiert, dass ein nicht unerheblicher Teil unserer Bevölkerung mit der Wahl der AfD ihren Protest zum Ausdruck bringen möchte. Da brauchen wir eine völlig andere Gangart. Denn diese Partei ist gefährlich in ihren Strukturen, große Teile der AfD wollen unsere Demokratie beseitigen. Wir haben gesicherte Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, dass sie in mindestens drei Bundesländern rechtsextremistisch ist und damit verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Ich habe daher große Sympathien für ein Verbotsverfahren, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Das muss vom Bund geprüft und sorgsam vorbereitet werden. Dazu zählt auch, noch anstehende Gerichtsentscheidungen abzuwarten. Aber wehrhafte Demokratie bedeutet für mich, dass man Parteien, die verfassungsfeindlich sind, mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpft. Wir müssen klare Kante gegen die AfD zeigen. Das ist nicht nur Aufgabe der Union, sondern aller demokratischen Parteien.

Ist es demokratisch, wenn Regierungsparteien eine Oppositionspartei verbieten wollen, die in manchen Bundesländern laut Wahlumfragen auf über 30 Prozent kommt?

Wenn sich eine Partei verfassungsfeindlich orientiert, wenn sie extremistisch ist und damit unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt und diese Haltung aktiv-kämpferisch umsetzen will, halte ich eine Debatte über ein Verbotsverfahren für richtig. Dagegen darf und muss der Staat sich wehren. Auch und gerade wenn die reale Gefahr besteht, dass sie mehrheitsfähig wird und damit ihre Ziele umsetzen kann. Das ist ja das, was im NPD-Verbotsverfahren vom Bundesverfassungsgericht bemängelt wurde: Die NPD sei zwar verfassungsfeindlich, aber dadurch, dass sie so wenig Stimmen erhalte, könnte sie ihre Vorstellungen nicht umsetzen. Dies ist bei der AfD anders, denn sie hat im Moment das Potenzial, bei ostdeutschen Landtagswahlen in die Nähe einer absoluten Mehrheit zu kommen und dafür zu sorgen, dass gegen sie keine Regierung gebildet werden kann. Daher halte ich den Zeitpunkt für absolut richtig, dass man die Prüfung eines solchen Verfahrens auf jeden Fall in Betracht ziehen muss.

Aber Sie können doch die Wähler dieser Partei nicht verbieten. Selbst wenn Sie vor dem Verfassungsgericht Erfolg haben sollten, lässt sich das politisch nicht durchsetzen. Das gibt doch Bürgerkrieg in Sachsen und Thüringen.

Das sehe ich nicht, sondern vielmehr, dass es gut wäre, wenn Klarheit herrscht. Und wir dürfen nicht tolerieren, dass Menschen aus Protest eine solche Partei wählen, sondern wir müssen der AfD die Maske vom Gesicht ziehen. Wir müssen klar aufzeigen, was diese Partei im Sinn hat. Wenn einschlägige Kreise bei Geheimtreffen planen, deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus unserem Land zu vertreiben, müssen wir doch erkennen, dass es Parallelen zu den Entwicklungen in Deutschland vor 100 Jahren gibt. Das hat nichts mehr mit Protest zu tun. Und das ist der Grund, weshalb sich die Gangart meiner Ansicht nach im Jahr 2024 in Deutschland fundamental verändern muss.

Stark wurde die AfD durch Angela Merkels Migrationspolitik, die von allen etablierten Parteien unterstützt wurde. Dass dann eine neue Partei, die das deutlich kritisiert, ins Parlament kommt und dort die Meinung großer Teile der Bürger vertritt, ist doch erstmal keine Gefahr für die Demokratie, sondern zeigt, dass sie funktioniert.

Das Erstarken der AfD hat unterschiedliche Gründe. Sie ist aus einem Protest gegen bestimmte europäische Entscheidungen im Zuge der Euro-Rettung entstanden. Damals war sie noch eine andere Partei. Eine Hochphase hatte sie während des Flüchtlingszustroms in den Jahren 2015 und 2016 und jetzt hat sie nochmal deutlich Auftrieb bekommen, weil bestimmte politische Entscheidungen, Stichwort Heizungsgesetz, einfach in weiten Teilen der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreitet haben.

Aber auch, weil die Migrationskrise zurückgekehrt ist.

Deswegen müssen wir zwei Dinge tun. Zum einen müssen wir ganz klar sagen, was die AfD wirklich vorhat und dass sie keines der Probleme lösen wird, für die die Menschen sie wählen. Sie nutzt nur den Unmut darüber, um daraus politisches Kapital zu schlagen und dann Ziele umzusetzen, über die sie möglichst wenig redet. Das muss man öffentlich machen und brandmarken. Das Zweite ist, dass wir uns natürlich um die Probleme kümmern müssen, die zu einem Vertrauensverlust der Menschen in die Politik führen. Dazu gehört auch das Thema Migration. Ich glaube, dass immer noch eine breite Mehrheit dafür ist, den Menschen zu helfen, die aus Not hierher kommen, die vor politischer Verfolgung, Krieg und Terror fliehen. Aber wenn so viele Menschen nach Deutschland kommen, dass wir eine Integration nach unseren humanen Grundsätzen nicht mehr leisten können, funktioniert es einfach nicht. Auch in Schleswig-Holstein ist die Zahl derjenigen, die zu uns kommen, zu hoch. Wir müssen diese Krise wirklich in den Griff bekommen. Deswegen ärgert es mich, dass nach den zwei Gipfeln von Bund und Ländern im letzten Jahr auf Bundesebene viel zu wenig passiert. Es geht darum, dass der europäische Verteilungsmechanismus funktioniert, dass wir an den europäischen Außengrenzen die Verfahren für Menschen durchführen, die keine Bleibeperspektive haben, dass wir Abkommen mit anderen Ländern über Rückführungen schließen, dass möglichst auch in Ländern außerhalb der Europäischen Union schon Verfahren durchgeführt werden. Aber offenkundig hat die Bundesregierung wenig Interesse daran, diese Probleme zu regeln.

Aus der CSU kommt wieder die Forderung, die 2015/2016 zum großen Streit zwischen den Schwesterparteien geführt hat: Solange es an den Außengrenzen in Europa nicht funktioniert, muss Deutschland seine Grenzen kontrollieren und dort Migranten zurückweisen, die einen Asylantrag stellen.

Ich bin nicht gegen Kontrollen an den Binnengrenzen, wie sie jetzt ja auch ausgeweitet wurden. Auch um Schleusern das Handwerk zu legen. Aber wenn man dauerhaft die Zahlen reduzieren will, sind die Maßnahmen, über die ich gerade geredet habe, zielführender.

Deutschland macht im Süden und Osten bereits Grenzkontrollen, aber anders als Ihr Nachbarland Dänemark weist die deutsche Bundespolizei niemanden zurück, der das Wort Asyl ausspricht. Wer einen Asylantrag stellen will, kommt ins Land und hat selbst nach Ablehnung seines Antrags gute Chancen, für immer zu bleiben und mit Bürgergeld versorgt zu werden.

Genau deshalb müssen wir bei all den Regelungen konsequenter werden.

Also schließen Sie sich der CSU-Forderung nach Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen an?

Nein, das ist keine Forderung, der ich mich anschließe, die europarechtlich auch fragwürdig ist. Ich glaube, dass wir als größtes Land innerhalb der Europäischen Union und mit unserer zentralen Lage in einer anderen Situation als Dänemark sind. Trotzdem sehen wir, dass manche Maßnahme in Dänemark dazu geführt hat, dass die Zahlen sich deutlich reduzieren. Dass konsequentere Regelungen, etwa bei Menschen mit fehlender Bleibeperspektive oder bei Rückführungen, eine Wirkung haben. Deswegen glaube ich: Wenn wir die Dinge umsetzen, die wir zwischen Bund und Ländern miteinander verabredet haben, können wir die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, deutlich reduzieren.

Sie haben sich damals innerhalb der CDU sehr für Angela Merkels Kurs stark gemacht. Würden Sie rückblickend sagen, dass ihre Politik der offenen Grenzen vielleicht doch ein Fehler war?

Nein, Angela Merkel und wir in Deutschland insgesamt haben in der Sache damals richtig gehandelt. Das war unsere humanitäre Verantwortung. Irgendein Land musste in dieser Situation reagieren. Und wir als großes und starkes Land waren dazu am ehesten in der Lage. Aber ich glaube, dass wir uns in den Jahren danach um bestimmte Integrationsthemen zu wenig gekümmert haben. Deshalb merken wir heute, dass zu wenig Integration stattgefunden hat, dass bestimmte Grundwerte, die man in Deutschland zu vertreten hat, offenkundig nicht gut genug vermittelt worden sind. Das ist schon etwas, was in den vergangenen Jahren nicht gut gelaufen ist.

Die Migrationspolitik hat Ihre Partei zerrüttet. Konservative spalten sich jetzt mit der Werteunion ab oder sind gleich zur AfD übergelaufen. Wie groß ist die Gefahr, dass die CDU das Schicksal anderer christdemokratischer Parteien in Europa erleidet und zerfällt?

Ich plädiere dafür, dass man von dem Schicksal anderer christdemokratischer Parteien in Europa lernt und dadurch erkennt, was man nicht machen sollte. Dann wird klar, dass wir ein klares Bollwerk gegen Rechtsaußen bleiben müssen. Das war immer unser Kompass, der zu allen Zeiten gewirkt hat.

Auch Franz Josef Strauß hat sich als ein solches Bollwerk verstanden. Heute wäre er ein Fall für den Verfassungsschutz.

Dieser These widerspreche ich entschieden. Die Zeiten haben sich geändert und man muss in unterschiedlichen Zeiten auch auf unterschiedliche Art und Weise Verantwortung übernehmen. Aber die Grundausrichtung bleibt. Und der Werteunion weine ich überhaupt keine Träne nach. Deren Abspaltung ist eher ein Segen für unsere Partei. Wir brauchen eine ganz klare Trennlinie. Bei den Themen, die im Moment auf der Hand liegen, sind wir diejenigen, die eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter uns haben. Von daher sehe ich im Moment eine echte Chance, dass wir wieder deutlich über 30 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl erreichen. Wir als Union sind im Moment die einzige Kraft, die dieses Potenzial als Volkspartei aufbringt. Wenn wir das klug nutzen, bin ich sehr zuversichtlich.

Daniel Günther (CDU) mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der Handball-EM / dpa

 

Was halten Sie von der Idee, die in Teilen der Union vertreten wird, dass man sich nicht nur nach rechts scharf abgrenzen muss, sondern auch zu den Grünen?

Wenn man Abgrenzen so versteht, dass man als Partei inhaltliche Unterschiede deutlich macht, finde ich das richtig. Wir machen in unserer schwarz-grünen Koalition ja auch keinen Hehl daraus, dass wir unterschiedliche Parteien sind. Die Frage ist bloß, ob man das scharfzüngig oder sportlich macht und Unterschiede auch als etwas Bereicherndes sieht. Und vor allem darf die Regierungsarbeit darunter nicht leiden. Unser Grundproblem heute ist doch, dass politische Unterschiede wie ein Makel behandelt werden und man sich nur noch in Kreisen unterhält, die alle der gleichen Meinung sind.

Eine Koalition mit den Grünen auf Bundesebene auszuschließen und so in den Wahlkampf zu ziehen, wäre das richtig oder falsch?

Ich regiere ja mit den Grünen und es spricht überhaupt nichts dagegen, dass wir als Union mit pragmatischen Grünen weiterhin Koalitionen bilden. Wir arbeiten ja in unterschiedlichen Konstellationen ausgesprochen gut zusammen. Aber es wird zwischen CDU und Grünen nur dann funktionieren, wenn man eben pragmatisch ist, wenn beide Seiten bereit sind, auch Punkte des anderen umzusetzen und mitzumachen.

Wenn Sie auf die Grünen im Bund blicken, wie sie jetzt in der Ampelkoalition agieren: Kämen die als Koalitionspartner in Frage?

Keine der Ampel-Parteien profiliert sich im Moment für zukünftige Regierungsverantwortung. Die Zusammenarbeit in dieser Koalition ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie man Politik kommunikativ nicht macht. Eine Regierung bedingt schon, dass die Parteien, die sie stützen, den Leuten das Gefühl geben, dass man an einem Strang zieht, dass man Probleme gemeinsam löst. Und das, was die Ampel im Moment in Berlin betreibt, ist schlicht das Gegenteil.

In der Union werden Sie „Genosse Günther“ genannt. Ärgert Sie das?

Ich nehme solche Äußerungen sportlich, etwas Spott muss man in der Politik ertragen können. Aber der Behauptung, dass ich ein Linksaußen der Union wäre, trete ich selbstbewusst entgegen. Ich bin gesellschaftspolitisch sicherlich liberal, ich bin auch mit zunehmendem Alter liberaler geworden. Aber ich bin in vielen Fragen wie der Inneren Sicherheit und der Bildungspolitik konservativ. Von daher bin ich insgesamt in der Mitte verortet und vor allem pragmatisch. 

Das Gespräch führte Daniel Gräber.
 

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