Auf eine Currywurst mit Gerhard Schröder - „Ein Schritt in Richtung Fiskalunion“

Gerhard Schröder und Christoph Schwennicke treffen sich einmal im Monat auf eine Currywurst. Dieses Mal geht es um die EU-Corona-Hilfen. Ein Tabubruch, der laut dem Altkanzler genau richtig sei.

Gerhard Schröder: „Ich rechne fest mit einer europäischen Steuer“
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Herr Schröder, der jüngste EU-Gipfel war mit 90 Verhandlungsstunden an vier Tagen einer der härtesten der Geschichte. Sie haben so etwas in Nizza und Lissabon erlebt. Wie geht das: Schlafentzug, Stress, Streit, Anspannung – und dabei einen klaren Kopf behalten?
Das beansprucht enorm. Es gibt Menschen, die schlafen zwei Stunden und sind dann wieder fit. Andere müssen wach bleiben. Zu denen gehöre ich. Aber so oder so: Man braucht eine entsprechende Grundkondition. 

Entscheidet die schiere Physis darüber, wer sich durchsetzt? 
Es gibt Leute, die das nicht durchhalten. Und man kann sich ja nicht auswechseln lassen wie beim Fußball. Mein Eindruck ist aber, dass Frau Merkel kein Problem mit solchen Strapazen hat. Auch deswegen war der Gipfel am Ende ein Erfolg.

Herausgekommen ist der Corona-Wiederaufbaufonds: Schulden von 750 Milliarden Euro, 390 davon als Geldgeschenke. Ein Tabubruch – kein Vertrag sieht das vor. 
Das stimmt. Was dort in Richtung Transfers und Vergemeinschaftung von Schulden gemacht wurde, war vorher undenkbar – und ist trotzdem richtig und im deutschen Interesse. 

Warum? 
Rund 60 Prozent unserer Exporte gehen in die EU, vorwiegend nach Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Wir haben ein Interesse daran, dass diese Länder wirtschaftlich auf die Beine kommen und unsere Waren abnehmen.

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Also mal wieder fünfe gerade sein lassen?
Das wäre nicht meine Formulierung. Europa ist nicht nur ein ökonomisches und finanzpolitisches Projekt, sondern ein eminent politisches. Wir müssen in Ausnahmesituationen die Vergemeinschaftung von Schulden zulassen.

Ist das ein Schritt in die Fiskalunion? Wer die Schulden gemeinschaftlich aufnimmt, muss ja auch Instrumente finden, um das Geld wieder einzutreiben, sprich: gemeinsame Steuern. 
Das ist ein Schritt in diese Richtung, und er wird nicht mehr rückgängig zu machen sein. 

Es könnte dabei eine europäische Steuer herauskommen. 
Das könnte nicht nur so sein. Ich rechne fest damit. 

Es gab ja auch den Versuch, den Bezug der Gelder an die Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Richtig so?
Ich finde dieses Junktim völlig richtig. Es gibt da klare Defizite in Polen und in Ungarn. Am Ende ist das in den Ratsbeschlüssen zu schwammig geraten.

Auch deshalb, weil Ungarn und Polen am Ende immer blockieren können?
Das führt zur Kernfrage: Sollte man nicht darüber nachdenken, dass man solche Fragen auch mehrheitlich entscheiden kann? 

Also weg vom Einstimmigkeitsprinzip?
Ja. Das Einstimmigkeitsprinzip bringt Europa immer wieder in Schwierigkeiten.

Deutsches Geld darf in der EU nicht „verbraten“ werden, haben Sie einst gesagt. Jetzt muss Deutschland als etwaiger last man standing Schulden zurückzahlen, die für andere aufgenommen wurden. 
Da dramatisieren Sie. Es würde ja voraussetzen, dass alle übrigen Mitgliedsländer faktisch pleite sind. Prinzipiell müssen sie für die Rückzahlung der Kredite selber aufkommen. Und deswegen war es ja auch richtig zu sagen, wir halbieren das: Etwa die Hälfte sind Zuschüsse, die andere Hälfte rückzahlbare Kredite.

Und noch ein Wort zum Zitat? 
(Lacht) Das war zu Beginn meiner Zeit als Bundeskanzler und zählt nicht zu den klügsten Sätzen meines politischen Lebens. Jean-Claude Juncker hat mich damals zur Seite genommen und gesagt: „Gerhard, als Kanzler darfst du so was nie wieder sagen.“ Er hatte recht.

 Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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