Gibt es einen Weg aus der Pandemie? - „Das politische Versagen bringt uns an den Rand des Ertrinkens“

Welcher Weg führt aus der Coronakrise? Der angeordnete Impfstopp für AstraZeneca und die ansteigenden Infektionszahlen fordern schnelle Lösungen. Aber der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann kann keine klare Strategie der Regierung erkennen.

Ob Impfstop oder Schulöffnungen: Spahn und Merkel stehen schon lange in der Kritik / dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Andrew Ullmann ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages für die FDP und Facharzt für Innere Medizin. Er war von 2013 bis 2015 stellvertretender Vorsitzender der FDP Würzburg-Stadt und ist seit 2015 Vorsitzender. 

Herr Ullmann, die Bundesregierung hat sich vorerst dazu entschieden, den AstraZeneca Impfstoff nicht weiter zu verimpfen. Ist diese Entscheidung nachvollziehbar?

Dies kann ich nicht abschließend beurteilen. Aus den mir am Montag vorliegenden Daten konnte ich die Entscheidung nicht nachvollziehen. Es wäre zumindest eine andere Entscheidung möglich gewesen. Seitdem habe ich jedoch weitere Informationen erhalten, die das Aussetzen der Impfung durchaus begründen, aber viele medizinisch-fachliche Fragen bleiben unbeantwortet. Die transparente Darstellung der Datenlage ist auch weiterhin unzureichend, um einen kausalen Zusammenhang herzustellen, obwohl eine zeitliche Korrelation zu erkennen ist. Das habe ich in der heutigen Sondersitzung im Ausschuss für Gesundheit auch klar gemacht. Jens Spahn kann nicht Zustimmung zu seiner Linie einfordern, wenn er uns wichtige Informationen vorenthält. Uns allen geht es um die Sicherheit der Patienten.

Bis jetzt sind ja auch nur knapp drei Millionen Menschen vollständig geimpft. Wie soll das weitergehen, wenn jetzt auch noch ein weiterer Impfstoff wegfällt?

Sollte AstraZeneca für die Impfkampagne ausfallen, wäre das eine Katastrophe. Ich hoffe, dass es nicht so kommt und die EMA den Impfstoff weiterhin als nützlich erachtet. In der Impfkampagne gibt es ein großes Management-Versagen. Zu viele Impfdosen liegen noch in den Kühlschränken. Sie werden nicht verimpft. Da müssen wir schneller werden. Geschwindigkeit ist jetzt entscheidend um diese Pandemie zu kontrollieren. In Abhängigkeit von den noch zu erwartenden Daten und Auswertungen bedarf es einer Ergänzung der Abklärung beziehungsweise des Waschzettels mit einem Warnhinweis. Es muss endlich allen bewusst werden, dass wir gegen die Dritte Welle impfen und dass uns das politische Versagen an den Rand des Ertrinkens bringt.

Ist denn dann überhaupt noch eine schlüssige Strategie der Bundesregierung im Umgang mit dem Virus erkennbar?

Ich kann jedenfalls keine Strategie erkennen. Das ein oder andere taktische Geplänkel gibt es. Aber ich kann nicht mal mehr erkennen, was Wahlkampf und was das Ringen um eine politische Lösung ist. Die Kanzlerin hat sich ja großenteils aus der Tagespolitik verabschiedet, und die einzig sinnvollen Hinweise kommen aus den nachgeordneten Behörden. Immerhin impfen wir in Deutschland großenteils nach einer Priorisierung, die die Ständige Impfkommission festgelegt hat. Dabei ist das übergeordnete Ziel, Tote zu vermeiden. Diese Priorisierung funktioniert meines Erachtens gut, wenn denn die Impfungen stattfinden. Man erkennt dies nur häufig nicht, weil immer wieder Diskussionen eröffnet werden, wie die Priorisierung noch schneller aufgelöst werden kann. Der bayerische Ministerpräsident leistet einen erheblichen Beitrag dazu.

Manche behaupten, die sogenannte „dritte Welle“ sei schon da. Und was heißt das wiederum für das öffentliche und soziale Leben der Menschen, besonders im Hinblick auf die Osterferien?

Wir sehen steigende Infektionszahlen. Ich gehe davon aus, dass die Mobilität der Bevölkerung wieder angestiegen ist. Vermutlich haben sich die Bürgerinnen und Bürger aufgrund sinkender Zahlen und der Versprechen aus der Politik in ihrer persönlichen Risikoabwägung für mehr Mobilität und private Kontakte entschieden. Mit den Versprechen meine ich vor allem Schnell- und Selbsttests. Aber da gab es leider mal wieder erst die Versprechen und dann die Vertröstungen. So darf man die Bürgerinnen und Bürger aber nicht hinters Licht führen. Ich kann nicht an einem Tag sagen: Morgen habt ihr alles, um ein bisschen Normalität zurückzubekommen. Und am nächsten Tag sage ich dann: Ihr müsst euch doch noch ein bisschen gedulden. Die Geduld der Menschen ist aufgebraucht. Leider haben wir weder genügend Impfungen noch genügend niederschwellige Testangebote, sodass wir uns mehr zutrauen könnten.

Jetzt sind auch noch Urlaubsflüge nach Mallorca wieder möglich, aber in Deutschland bleiben die Gaststätten geschlossen. Kann man das den Menschen erklären?

Für den Einzelnen wird dies nicht nachzuvollziehen sein. Wenn in Deutschland nicht einmal der Einzelhandel flächendeckend öffnen darf, scheint ein Mallorca-Urlaub unangebracht zu sein. Wir dürfen jedoch auch nicht vergessen, dass wir in einer Europäischen Union leben, in der es Personenfreizügigkeit gibt. Wenn jemand sein Home Office von Hamburg auf eine Finca nach Mallorca verlegt, dann muss uns das nicht gefallen, aber dann kann er es machen.

Die Schulen dürfen wieder öffnen. Einige gehen über in den Wechselunterricht, die Abiturjahrgänge gehen wie üblich in den Unterricht. War die Öffnung der Schulen der richtige Schritt?

Die Öffnung der Schulen ist eine der entscheidenden Fragen in der Pandemie. Grundsätzlich sollte das Risiko im Klassenraum gering gehalten werden, zum Beispiel durch einzuhaltende Hygienekonzepte und niederschwellige Schnelltestangebote. Die Verbreitung außerhalb des Klassenraumes halte ich für durchaus weit gefährlicher. Schließlich fehlen dort häufig Abstand und Schutzmasken. Wir dürfen halt nicht vergessen, dass die Schülerinnen und Schüler sich nicht von zu Hause aus in den Klassenraum beamen. Sie gehen dorthin, fahren mit Bus und Bahn. Das beste Konzept in der Schule ist nichts wert, wenn im Schulbus alle eng an eng sitzen.

Dennoch ist das Recht auf Bildung fundamental. Fehlende Bildungschancen heute werden den Bildungsweg einer ganzen Generation beeinflussen. Es ist zu vermuten, dass der Bildungserfolg noch mehr vom Elternhaus abhängen wird, als das bereits schon jetzt der Fall ist. Für uns Liberale, die das Aufstiegsversprechen erneuern wollen, ist dies eine schwere Abwägung.

Experten befürchten eine Zunahme der Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die britische Coronavirus-Mutation soll sich vornehmlich bei dem jüngeren Teil der Bevölkerung, insbesondere in Kitas und Schulen, ausbreiten. Wie soll die Regierung reagieren? Mit Schulschließungen?

Schulschließungen müssen immer das letzte Mittel sein, und dabei muss ganz genau das Geschehen vor Ort beobachtet werden. Bei guten Belüftungskonzepten, Hygienemaßnahmen und regelmäßigen Schnelltests für Schülerinnen und Schüler kann das Infektionsgeschehen innerhalb der Schulen begrenzt werden. In Kitas ist das schon schwieriger. Aber auch da gibt es gute Konzepte, und durch die Impfpriorisierung des Kita-Personals sind wir einen Schritt weiter. Aber das Virus ist leider schnell. Deshalb ist es dringlich, dass die Impfstoffe auch für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen geprüft werden. Denn wenn wir diese Gruppe nicht schnell genug ebenfalls aus dem Infektionsgeschehen nehmen, bleibt eine große Population empfänglich für das Virus, und auch die Möglichkeit für weitere Mutationen steigt. Dann könnte es zur Immunevasion kommen. Die Mutanten würden also die Immunabwehr der Geimpften unterlaufen, und alles würde von vorne anfangen.

Die Stadt Dortmund fordert hingegen aufgrund einer hohen Anzahl an Infektionen Schulschließungen. Dem wurde von der Landesregierung nicht zugestimmt. Wieso sollte nicht jede Stadt für sich selber entscheiden können, ob sie die Schulen und andere öffentliche Einrichtungen zukünftig schließen oder öffnen?

Die Entscheidung der Schulöffnung ist eine ganz schwierige. In NRW hat man sich dazu entschieden, die Bildungsgerechtigkeit zu priorisieren. Dabei darf der Schutz der Kinder natürlich nicht vernachlässigt werden. Abstand und Masken helfen, genauso wie Luftfilter und Lüftungen. Zudem sollte die Schule gemeinsam mit den Eltern schauen, wie Infektionen außerhalb des Klassenzimmers vermieden werden können. Wenn das alles sichergestellt ist, dann kann man auch Schulen verantwortungsvoll öffnen.

Ist dann gerade der Föderalismus in der Pandemiebekämpfung ein Hemmschuh?

Beim Föderalismus sind die Zuständigkeiten das Problem. Bei der Diskussion um die Schnell- und Selbsttests haben wir das ja erlebt. Spahn hat vollmundig angekündigt, dass es zum 1. März genügend Testmöglichkeiten gibt. Als es diese Testmöglichkeiten dann nicht gab, waren plötzlich die Länder schuld. Der Föderalismus hat seine Vor- und Nachteile. Wir sehen an anderen Ländern, dass der Föderalismus kein Nachteil sein muss und dass ein Zentralismus kein Garant für eine gute Pandemieeindämmung ist. Für das Resultat sind jedoch die handelnden Personen verantwortlich. Und da sehe ich einen viel größeren Hemmschuh. 

Obwohl die Zahlen der Coronavirus-Infektionen wieder steigen, nimmt die Anzahl der Todesfälle weiterhin ab. Wenn das so ist, sollte das öffentliche Leben nicht wieder hochgefahren werden? Insbesondere da die Risikogruppen bald vollständig geimpft sein werden.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es einen nachlaufenden Effekt gibt. Die jetzt steigenden Infektionszahlen führen erst in Wochen zu einer steigenden Zahl an Todesfällen. Wir sehen bereits jetzt, dass der Altersdurchschnitt auf den Intensivstationen sinkt. Aber wir sehen auch, dass insbesondere in der Hochrisikogruppe der Über-80-Jährigen die Todeszahlen rückläufig sind. Das ist auch ein Erfolg der Impfpriorisierung. Die Zahl der Risikopatienten ist jedoch weitaus höher als die der Über-80-Jährigen. Den Pandemie- beziehungsweise Infektionsschutz sollten wir daher nicht voreilig aufgeben. Dennoch ist von Beginn an unser Ziel, die Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Wenn die Auslastung der intensivmedizinischen Betreuung deutlich rückläufig ist, ist eine Verweigerung für weitere Öffnungsschritte mit Hygienekonzepten schwer zu begründen.

Ihr Fraktionschef Wolfgang Kubicki fordert im RND-Interview Angela Merkel dazu auf, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zu entlassen. Kämen wir in der Bekämpfung der Pandemie mit der Entlassung von Jens Spahn in irgendeiner Weise weiter?

Jens Spahn hat viele Fehler gemacht. Je mehr er unter Druck kommt, desto fehleranfälliger wird er. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, wird er zu einer unerträglichen Belastung für die Bundesregierung und zum Risiko für die Bevölkerung. Dann muss die Bundeskanzlerin zumindest Alternativen prüfen. Die Ersetzung des Gesundheitsministers sollte jedoch nur mit einer erfahrenen und eingearbeiteten Person erfolgen. Die Rücktrittsforderungen an Peter Altmaier sind ja bekannt und schon lange gut begründet. Von Seiten der Wirtschaft wurden solche bereits vor der Pandemie laut. Auch Markus Söder hat noch im Januar 2020 von einer Kabinettsumbildung gesprochen. Diese wäre überfällig.

Die Fragen stellte Sina Schiffer 

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