Corona-Infektionen in Schlachthöfen - Heils Aufräumaktion in der Fleischindustrie wird ausgebremst

Der Ruf der Fleischindustrie ist schon lange ramponiert, doch die Corona-Krise macht besonders deutlich, unter welch schlechten Bedingungen dort gearbeitet wird. Arbeitsminister Heil wollte in der Branche aufräumen. Doch so leicht macht es ihm der Koalitionspartner nicht.

Schlachthöfe wie hier im niedersächsischen Dissen werden immer wieder zu Corona-Hotspots / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Inmitten von allgemein rückläufigen Infektionszahlen hat sich in Deutschland ein neuer Hotspot der Corona-Pandemie herauskristallisiert. In immer mehr Schlachthöfen und Zerlegebetrieben haben sich größere Gruppen von Arbeitern mit dem Virus angesteckt. Betroffen sind vor allem Schwergewichte der Branche wie Vion, Westfleisch, Danish Crown und in kleinerem Umfang auch Tönnies, die zusammen fast zwei Drittel des Schweineschlachtmarktes abdecken, aber auch kleinere Betriebe.

Einige Betriebsstätten wurden bereits geschlossen, weitere könnten folgen, da nunmehr in die Wege geleitete Testreihen noch nicht ausgewertet sind. Am Sonntag kam ein weiterer spektakulärer Fall dazu. 92 Mitarbeiter eines „Westfleisch“-Schlachthofs im niedersächsischen Dissen wurden positiv getestet, wie der Landkreis Osnabrück mitteilte.

Miserable Arbeitsbedingungen

Damit gerät erneut eine Branche in den Fokus der Öffentlichkeit, deren Ruf schon seit längerer Zeit deutlich ramponiert ist. Um die Massenproduktion von extrem billigem Schweinefleisch – davon fast 50 Prozent für den Export – profitabel realisieren zu können, setzen die Betriebe auf prekäre Arbeitsverhältnisse, geringe Entlohnung sowie miserable Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Beschäftigten. Von Belangen des Tierschutzes ganz zu schweigen.

Nach Schätzung von Karin Vladimirow, der Sprecherin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), gibt es im Kernbereich der Schlacht- und Zerlegeindustrie (Rinder und Schweine) rund 70.000 Arbeitskräfte, davon fast die Hälfte über Subunternehmen und Werkverträge beschäftigt. Größtenteils stammen sie aus Rumänien und Bulgarien. Von den in einigen Großbetrieben geltenden Tarifverträgen werden sie nicht erfasst, sie erhalten lediglich den gesetzlichen Mindestlohn, und selbst der werde mit zahlreichen Tricks oftmals ausgehebelt, so Vladimirov gegenüber Cicero.

Ideale Brutstätte

Untergebracht werden diese Arbeitskräfte meistens in einfachen Sammelunterkünften mit Mehrbettzimmern, die natürlich eine ideale Brutstätte für die Ausbreitung von Viruserkrankungen sind. In einigen Betrieben wurden auch die Hygieneschutzauflagen an den Arbeitsstätten teilweise sträflich missachtet, bei den zuständigen Kontrollbehörden habe es oftmals „eine Kultur gegeben, hier wegzugucken“, beklagte der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Deutschlandfunk.

Von Missständen, gegen die es in der Schlachtbranche anzugehen gelte, ist in der Politik seit Jahren die Rede. Doch passiert ist vergleichsweise wenig, sowohl die Kontrolldichte als auch die prekären Arbeits- und Unterbringungsverhältnisse betreffend. Die Branche ist gut vernetzt und in vielen Landkreisen und einigen Bundesländern ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Offen drohen Verbandsvertreter mit der Verlagerung von Betrieben ins Ausland, wenn durch strengere Auflagen und Eingriffe in die Arbeitsvertragsgestaltung die „Wettbewerbsfähigkeit“ gefährdet würde.

So eilig hat man es nicht

Durch die Häufung von Corona-Fällen in Schlachtbetrieben ist jetzt allerdings unmittelbarer Handlungsdruck entstanden, zumal die Ausbrüche regional das ganze Lockerungskonzept gefährden, das Bund und Länder am 6.Mai vereinbart haben. Denn dieser Beschluss sieht als eine Art Notbremse auch vor, dass jetzt gelockerte Restriktionen, etwa für Hotels, Gaststätten und den öffentlichen Raum, wieder in Kraft gesetzt werden können, wenn die Zahl von Neuinfektionen in einzelnen Landkreisen oder kreisfreien Städten die Marke von 50 binnen sieben Tagen übersteigt.

Doch ganz so eilig hat man es dann doch nicht. Am heutigen Montag wollte das „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung über eine Vorlage von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) beraten und erste Beschlüsse fassen. Heil fordert vor allem effiziente Kontrollen und strengere Regeln für den Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten. „Wir brauchen verbindliche Quoten für die Kontrollen, schmerzhafte Bußgelder bei Verstößen und klare, unmissverständliche Verantwortung eines Arbeitgebers für seine Betriebsabläufe“, sagte der Minister am Freitag dem Spiegel.

Deutlich verschnupft

In der Beschlussvorlage, die unter anderem dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, ist ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen vorgesehen. Künftig solle das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft „nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein“. Bei den Lobbyverbänden den Branche rief dies erwartungsgemäß einen Sturm der Entrüstung hervor, der anscheinend auch in Teilen der Regierungskoalition und bei einigen Länderministern angekommen ist. Jedenfalls wurde das Thema kurzfristig von der Tagesordnung der Kabinettssitzung am Montag gestrichen und soll nun auf einer weiteren Sitzung am Mittwoch behandelt werden. Laut Tagesschau habe vor allem Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) erhebliche Bedenken gegen weitreichende Einschränkungen für Werkverträge in der Fleischindustrie angemeldet. 

In einem kurzfristig angesetzten Statement zeigte sich Heil heute mittag deutlich verschnupft über die Verschiebung. Die Vorschläge lägen beschlussreif auf dem Tisch, aber der Koalitionspartner habe noch „internen Beratungsbedarf angemeldet“. Er erwarte, dass die notwendigen Beschlüsse am Mittwoch gefasst werden. Bestehende Regelungen und auch Verschärfungen seien von „findigen Unternehmer mit hoher Energie immer wieder ausgetrickst worden“.

Setzt sich Heil gegen Klöckner durch?

Dabei gehe es um Überbelegung und Wuchermieten bei den Unterbringungen, Lohndumping, Arbeitsschutz- und Arbeitszeitverstöße und das ganze undurchsichtige System von Subunternehmen und weiteren Verzweigungen. „Wir werden aufräumen, um menschenwürdige Zustände in dieser Branche zu garantieren“, versprach der Minister. Zumal das unverantwortliche Verhalten von Teilen der Branche in der Corona-Krise „ein Gesundheitsrisiko für die ganze Bevölkerung“ sei und ganze „Landkreise quasi in Geiselhaft genommen werden“.

Man darf gespannt sein, ob sich Heil in diesen Fragen gegen die mächtige Lobby und ihren Vertretern in der Regierungskoalition – allen voran Julias Klöckner – durchsetzen kann. Aber es wird auch deutlich, dass es höchste Zeit für eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Wert und den Preis von Lebensmitteln ist. Die Zeiten, in denen ein Kilo Schweineschnitzel für 4,99 Euro als Indikator für Wirtschaftskraft und relativen Wohlstand gilt, müssen schleunigst überwunden werden. Denn den sehr hohen Preis für diese wahnwitzige Dumping-Produktion zahlen nicht nur die ausgebeuteten Arbeiter der Fleischindustrie, sondern wir alle. Und das nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie.  

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