Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern - „Man ist dabei, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verlieren“

Am Mittwoch fand wieder die Ministerpräsidentenkonferenz statt. Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Infektiologe Andrew Ullmann erklärt im Interview, warum sich seine niedrigen Erwartungen an das Treffen bestätigt haben.

Müller, Merkel, Söder: „Ich befürchte, dass die nächsten Management-Desaster bereits vor der Tür stehen“ / dpa
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Autoreninfo

Jakob Arnold hospitierte bei Cicero. Er ist freier Journalist und studiert an der Universität Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften. 

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Andrew Ullmann ist Professor für Infektiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, internistische Onkologie und Infektiologie. Seit 2017 vertritt er die FDP im Bundestag.

Herr Ullmann, gestern war wieder die Ministerpräsidentenkonferenz. Sie wurde mit viel Spannung erwartet. War die Spannung gerechtfertigt?

Das Ergebnis war sehr dünn, wenn man betrachtet, wie lange es gedauert hat. Meine Erwartungen waren niedrig angesetzt, aber zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung wurde umgesetzt.

Was meinen Sie?

Ein Vorgehen nach einem Stufenplan

Das fordern Sie als FDP schon lange. Sind Sie stolz, dass sich die Bundesregierung bei Ihnen orientiert hat?

Das hat weniger mit Stolz als mit Verantwortung zu tun. Uns geht es darum, was wir für unser Land, für Europa und die globale Gesundheit erreichen können. Wenn die Regierung gute Ideen aus der Opposition übernimmt, ist das ein gutes Zeichen. Leider kommt das zu selten vor.

Insgesamt sagen Sie jedoch auch, dass das Ergebnis dünn war. Der Lockdown wurde bis mindestens 28. März verlängert. Ist das alternativlos?

Natürlich nicht. Die vorgestellten Pläne sind unübersichtlich und lückenhaft. Über Themen wie Tests, die Gastronomie oder Schulen und Kitas wissen wir fast nichts. Dass das alles außen vorgelassen wurde, zeigt, wie zerstritten die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin sind. Das ist das Hauptproblem der MPK: Sie ist eher wie das Orakel von Delphi und weniger wie eine demokratische Meinungsbildung. Diese Ideen und damit auch die Gesetzgebung gehören in die Parlamente hinein. Diese Debatte müssen in den Bundestag. Wir werden aber immer nur nachträglich mit einer Regierungserklärung abgespeist. Und selbst die blieb dieses Mal aus.

Und Sie als FDP-Bundestagsfraktion können daran nichts ändern?

Wir haben unseren Stufenplan, unsere Teststrategie und ein Gesetz zur Impfpriorisierung in den Bundestag eingebracht. Wir haben unsere Aufgaben erfüllt und teilweise die der Regierung übernommen. Aber die Große Koalition im Bundestag und die Regierung haben kein Interesse an solchen demokratischen Verfahren. Dabei müsste der Bundestag eigentlich die Regierung kontrollieren.

Sie haben angesprochen, worüber nicht gesprochen wurde. Dafür wurden Gartenmärkte und Blumenläden thematisiert. Sie sollen wieder öffnen können. Wie sinnvoll sind diese Öffnungsprioritäten?

Das ist genau der Punkt. Gartenmärkte und Friseure scheinen für die Regierung besonders bedeutsam zu sein, aber die Schulen und Kitas werden nicht wahrgenommen. Wir wollen nicht Bildung gegen Gesundheit ausspielen, sondern beides berücksichtigen. Wir haben Konzepte vorgelegt, die die Sicherheit in den Schulen erhöhen können; etwa mit Schnelltests zur Selbstanwendung. Die wären ein wichtiger Baustein, um schnell aus der Pandemie herauszukommen.

Andrew Ullmann / privat

Bisher ist der einzige Weg aus der Pandemie über die Inzidenz. Öffnungen sollen bereits ab einer 100er-Inzidenz möglich sein. Sind Sie auch so verwirrt wegen des Hin und Hers bei der Inzidenz?

Als Basiswert spielt die Inzidenz eine große Rolle. Mich irritiert es nicht, da ich als Infektiologe weiß, dass ein pandemisches Geschehen dynamisch ist. Deswegen haben wir dafür plädiert, dass neben der Inzidenz dynamische Faktoren eine Rolle spielen.

Welche Faktoren wären das?

Wie ist die Durchimpfung der vulnerablen Gruppen? Wie viele Testkapazitäten haben wir? Haben wir es mit einem Cluster-Ausbruch zu tun oder ist das Infektionsgeschehen diffus in der Bevölkerung? Diese Punkte müssen zusätzlich zum Inzidenzwert betrachtet werden. Unwichtiger hingegen empfinde ich den Fokus auf den R-Wert. 

Vor kurzem sagte der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz iCicero, der R-Wert sei äußerst wichtig, da nur er Auskunft darüber gibt, ob die Infektionszahlen exponentiell steigen oder sinken.

Wenn man sich nur diese Frage stellt, hat er recht. Aber wir wollen auch wissen, ob wir langsam öffnen können, ohne die Bevölkerung zu gefährden. Dafür sind die dynamischen Faktoren wesentlich.

Sie haben Impfungen und Schnelltests bereits angesprochen. Auch in den Plänen der Bundesregierung spielen sie eine wichtige Rolle: Impfungen sollen ab Ende März von Hausarztpraxen durchgeführt werden, und ab nächster Woche will der Bund jedem Bürger einen Schnelltest pro Woche zur Verfügung stellen. Das sind doch gute Nachrichten, oder nicht?

Wenn die Versprechen eingehalten werden, sind das tolle Nachrichten. Wir haben 80 Millionen Einwohner; pro Monat brauchen wir also circa 320 Millionen Schnelltests. Überlegungen, wie genau wir all diese Tests in Deutschland bekommen, habe ich noch nicht gehört. Ohnehin könnte ein Test pro Woche zu wenig sein; der bessere Weg wäre nach unserer Sicht, zwei Tests pro Woche durchzuführen. Dass auch niedergelassene Hausärzte bei den Impfungen mit einbezogen werden, halte ich für eine sehr gute Idee. Aber auch hier die Frage: Was ist mit den niedergelassenen Fachärzten oder den Betriebsärzten? Das ist eine große Gruppe ärztlichen Personals, das auch helfen könnte.

Um die Schnelltests soll sich eine „Task-Force“ kümmern. Haben Sie kein Vertrauen in diese?

Dadurch, dass ihr auch Andreas Scheuer angehört, habe ich so meine Zweifel (lacht). Management-Probleme ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Pandemie. Ich befürchte, dass die nächsten Management-Desaster bereits vor der Tür stehen. 

Woran könnte die Regierung noch scheitern?

Man ist dabei, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verlieren. Das ist die größte Gefahr. Mir hat gerade ein Kollege ein Video geschickt von einem Impfzentrum in Dortmund, vor dem etwa 100 Menschen in der Warteschlange im Regen stehen. Was ist das für ein Impfmanagement? Auf der anderen Seite haben wir die Diskussion über AstraZeneca, deren Impfstoff ohne echte Grundlage schlechtgeredet wird. Wo ist da die Bundesregierung, die eine Informations- und Aufklärungskampagne startet, damit die Menschen transparent und ausgewogen erfahren, wie gut die Impfstoffe sind?

Sie sprechen sich auch für mehr Tests aus. Führen mehr Tests nicht zu mehr positiven Fällen, das heißt zu einer höheren Inzidenz, die den Lockdown begründet? Führen mehr Tests dann nicht in den endlosen Lockdown?

Deswegen sprechen wir von den dynamischen Faktoren. Mehr Tests führen auch zu einer niedrigeren Dunkelziffer. Eine 120er-Inzidenz bei 100 Prozent Durchtestung ist das gleiche wie eine 60er-Inzidenz bei 50-prozentiger Durchtestung. Die Inzidenzzahl selbst ist einfach zu eindimensional. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Jakob Arnold.

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