Cicero Jugend-Serie „Contra Woke” - Wenn woke Fachschaften die Ängste von Frauen ignorieren

Seitdem es nur noch „All-Gender-Toiletten“ an ihrem Institut an der Tübinger Universität gibt, traut sich unsere Gastautorin nicht mehr, diese zu benutzen. Die Sorgen der jungen Studentin werden seitens der Fachschaft allerdings schlichtweg ignoriert.

Beschilderung der „All-Gender-Toilette“ / FS-Politik Tübingen (Instagram)
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Autoreninfo

Meltem Seker studiert Politikwissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

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Die Medien sind in den vergangenen Jahren daran gescheitert, ein Bild der jungen Generation zu zeichnen, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wir möchten die Debatte über die Generation Z daher nicht länger identitätspolitisch motivierten Redaktionen überlassen. Denn junge Menschen bewegt mehr als Fridays for Future, Body Shaming und Black Lives Matter.

Die Cicero Jugend-Serie „Contra Woke“ möchte all jenen jungen Menschen eine Stimme geben, die dem vorherrschenden woken Zeitgeist nicht entsprechen, aber gehört werden müssen, um die echte Lebensrealität und die wahren Sorgen der jungen Generation zu verstehen. Sie möchten selbst einen Artikel einreichen? Gerne, schreiben Sie uns hierfür eine Mail an: redaktion@cicero.de.

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Seminare gefolgt von Seminaren, begleitet davon, gestresst von einem Gebäude zum nächsten zu hetzen. Und plötzlich drückt die Blase. Was vorher kein Problem war, mag nun an der Eberhard Karls Universität in Tübingen für einige Studentinnen eine Belastung darstellen. Denn im etwas außerhalb liegenden Institut für Politikwissenschaft findet sich für diese keine Toilette mehr.

Während das kleine Gebäude früher im Erdgeschoss mit einer Herren- und einer Damen-Kabinentoilette ausgestattet war, wurden diese vor wenigen Jahren mit dem neuen Siegel „genderneutral“ ausgeschildert, verziert mit einem Regenbogen. Parallel dazu wird an der Eingangstür des Gebäudes vor sexueller Belästigung gewarnt: Exhibitionisten seien am Campus gesichtet worden – man solle aufpassen:

Informationsschrift für Studenten

Auch Fälle von sogenannten „Spannern“ sind am Campus der Universität bekannt, denn dieser ist kein heiliger Raum der akademischen Unschuld, der frei von sexueller Belästigung wäre. Überhaupt wird auf dem Campus häufig über Sexismus, Frauenfeindlichkeit und sexuelle Belästigung diskutiert – es finden sich hierfür zahlreiche feministische Gruppen und linke Organisationen.

Fast schon zynisch also, dass gerade an solch einem Ort bei der Abschaffung einer Frauentoilette keiner wagt, seine Stimme zu erheben. Dabei zeigen verschiedene Statistiken, wie viele Frauen Erfahrung mit sexueller Belästigung haben und dass diese Belästigung mehrheitlich von Männern ausgeht. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben zwei von drei Frauen bereits sexuelle Gewalt erlebt. Jede siebte Frau werde demnach Opfer von schwerer sexueller Gewalt. Ist eine genderneutrale Toilette also modern und feministisch – oder schlichtweg naiv und fahrlässig?

Meine Aussagen seien „queerfeindlich“

Auf Anfrage wurde mir seitens der Fachschaft auf Instagram mitgeteilt, dass „All-Gender-Toiletten“ alle Menschen miteinschließen würden und die Fachschaft, die sich an erster Stelle für die Toiletten eingesetzt hatte, für die „Existenz- und Gleichberechtigung aller“ sei – diese Gleichberechtigung ist wohl nur durch genderneutrale Toiletten zu erreichen:

„Wir sind für Allgender-Toiletten, weil wir uns für alle Personen einsetzen wollen und jede Person Teil haben soll. Stereotype werden abgebaut und pragmatisch betrachtet gibt es dadurch seitdem keine Schlangenbildung mehr bei größerem Andrang.“

Meine Sorgen bezüglich der Erleichterung von sexueller Belästigung auf diesen Toiletten wurden größtenteils ignoriert, genau so wie die Betonung darauf, dass die Toiletten u.a. traumatisierte Frauen ausgrenzen würden, die solche Toiletten meiden oder nur verängstigt nutzen würden. Stattdessen weigerte man sich, mit mir ein Gespräch zu führen, und meine Aussagen wurden als „queerfeindlich“ abgestempelt (Rechtschreib- und Grammatikfehler im Original):

„Wir als Fachschaft sind für die Existenz- und Gleichberechtigung aller, egal wie stark sie in der Gesellschaft vertreten sind. Außerdem sind wir nicht daran interessiert persönlich mit dir darüber zu diskutieren. Vielleicht triffst du beim Institutsvorstand auf mehr Interesse an einer Auseinandersetzung, da auch die Mitarbeitenden des Instituts für All Gender Toiletten gestimmt haben. Wir finden es einfach schade, dass du nicht bereit bist gemeinsam mit uns eine Lösung zu finden, da wir nur versucht haben dir zu helfen.“

Als Frau, die sich in genderneutralen Kabinentoiletten unwohl fühlt, könne ich ja die Mitarbeitertoilette für Frauen nutzen – jedoch müsste ich für deren Nutzung nach einem Schlüssel fragen:

„[…] wir als Fachschaft halten an unserer Entscheidung fest, da wir diese aus einer intersektional-queerfeministischen Perspektive getroffen haben. […] Zudem könntest du dich auch mal an das Institutssekretariat wenden und nachfragen, ob sie dort eine Lösung für dein Problem wissen. Am Institut gibt es nämlich noch eine Frauentoilette soweit ich weiß, aber die ist nur für Mitarbeiter*innen und nur mit Schlüssel zugänglich. Sollte sich bei all dem nichts ergeben, kannst du dich ja nochmal melden.“

Ein Schlag ins Gesicht

Für mich war das ein klarer Schlag ins Gesicht. Als Frau, die, was Belästigung angeht, viel negative Erfahrung mit Männern gemacht hat, soll ich – geht es nach der Fachschaft – nun also vor jedem Toilettengang nach einem Schlüssel fragen, damit es Studenten, die sich als nicht-binär identifizieren, einfach haben – wohlgemerkt handelt es sich hierbei meist um männliche Studenten mit hipper Pronomen-Kombination.

Damit habe ich an der Universität gelernt, dass ich bei der Diskussion um Inklusion nicht mitgemeint bin, und damit auch viele andere Frauen, die sich in genderneutralen Kabinentoiletten unwohl fühlen. Denn die Diskussion um Inklusion wird geführt von privilegierten Studenten, die es in ihren Kulturkämpfen zwar gerne mal so aussehen lassen, als würden sie sich für marginalisierte Minderheiten einsetzen, wobei jedoch bei genauem Hinsehen auffällt, dass es sich lediglich um eine Performance handelt – für ein gutes Gewissen. Und wenn man sich dann doch mal für sogenannte marginalisierte Minderheiten einsetzt, dann sehr gerne auch auf dem Rücken von Frauen.

Besorgt kontaktierte ich also das sogenannte Diversitätsbüro, welches die Universität für eine auf Diversität und Chancengleichheit basierende Hochschulkultur unterstützt. Laut Website solle sich jeder – „unabhängig  von Geschlecht, ethnischer Abstammung, Alter, sozialem und religiösem Hintergrund, einer Behinderung oder der sexuellen Identität“ – „entfalten und einbringen“ können. Dass ich als Frau in meinem Institut vermeide, auf die Toilette zu gehen, würde hier sicherlich auf Gehör stoßen, dachte ich. Und auch den Widerspruch zwischen der Forderung nach Einbringung unabhängig von religiösem Hintergrund und der Einführung einer Toilette, die die meisten religiösen Frauen, beispielsweise muslimische Frauen, gar nicht nutzen würden oder könnten, sprach ich an.

Man bedankte sich bei mir für mein Vertrauen in das Diversitätsbüro, und ich wurde darüber informiert, dass die Fachschaft bereits selber nach einer Lösung für das Problem suche. Das Diversitätsbüro stimme mir darin zu, dass sich etwas ändern müsse.

Es hat sich immer noch nichts getan

Mittlerweile ist das alles sieben Monate her – und nichts hat sich getan. Von der Fachschaft wurde mir zwar vorgeschlagen, die Frauentoilette zu einer „FLINTA-Toilette“ und die Männertoilette zu einer „All-Gender-Toilette“ umzuändern, jedoch gab ich mich damit nicht zufrieden, denn das leicht widersprüchliche Akronym FLINTA, das momentan im universitären Umfeld sehr beliebt ist, steht für Frauen, Lesben, Intersex, Non-Binär, Trans und Agender. Ich argumentierte, dass jeder Mann Zugriff auf eine FLINTA-Toilette hätte, indem er sich als nicht-binär identifiziert. Laut Fachschaft sei das aber gar nicht möglich, denn:

„Es gibt keine männlichen heterosexuellen Männer die non-binär sind – das schließt sich ja aus.“

Auch könne laut Fachschaft jede Person, unabhängig von Geschlecht, übergriffig sein. Das ist theoretisch nicht falsch, aber in der Praxis erweist sich, dass sexuelle Übergriffe – wie vorher erwähnt – vermehrt von Männern ausgehen. Mein Lösungsvorschlag, die Frauentoilette zu behalten und die Männertoilette zu einer „All-Gender-Toilette“ umzuändern, wurde leider trotz mehrmaligem Nachhaken meinerseits ignoriert.

Klassische Frauentoiletten bieten Schutz

Ein weiterer, fast schon auswendig gelernter Punkt meiner Kommilitonen ist, dass Männer auch auf Frauentoiletten übergriffig sein können, da Frauentoiletten nicht geschützt werden. Zwar werden Frauentoiletten tatsächlich nicht von einer Art Security geschützt, aber einen gewissen Schutz bieten sie dennoch. Denn versucht ein Mann, in eine Frauentoilette einzudringen, ist das höchst verdächtig. Blicke landen auf ihm, eventuell wird eingeschritten, und im schlimmsten Fall wird er gemeldet. Ebenso, wenn ein Mann in einer Frauentoilette gesichtet wird. Es handelt sich um eine verdächtige Abnormalität und wird nicht einfach so hingenommen. Damit können mögliche Übergriffe besser verhindert werden.

 

Zuletzt in der Jugend-Serie „Contra Woke“ erschienen:

 

Bei einer „All-Gender-Toilette“ sieht das anders aus: Es gibt nichts zum Eingreifen, nichts, was man melden könnte, keine Abnormalität. Egal, wie unwohl frau sich fühlt, sie ist der Situation machtlos ausgeliefert und kann erst etwas dagegen unternehmen, wenn es zu spät ist – nämlich dann, wenn es bereits zu einem sexuellen Übergriff gekommen ist. Ebenso häufig höre ich den Satz, dass es in der Bahn auch genderneutrale Toiletten gebe und sich keiner darüber beschwere. Doch während es sich in der Bahn um eine einzelne Kabine mit Waschbecken handelt, unter dessen Wänden hindurch man nicht mit einer Kamera Fotos schießen kann oder sonstige Horror-Szenarien stattfinden können, sieht es bei genderneutralen Kabinentoiletten anders aus.

Meine Ängste werden nicht gehört

Doch meine logischen Argumente kommen nicht an, und meine Ängste und Sorgen werden nicht gehört. Dabei sind Gefühle an der Uni doch so wichtig, heißt es. Also sitze ich mit voller Blase in meinen Seminaren, neben Personen, die sich mit dem Feminismus-Begriff schmücken, aber Frauen aktiv in Gefahr bringen und ihre Sorgen ignorieren. Ich fühle mich von den linken Stimmen meiner Universität ungehört – dabei war ich selber Mal ein Teil ihrer Kulturkämpfe und identifiziere mich als Feministin noch heute mit vielen linken Werten – kein Rassismus, kein Sexismus, keine Armut. Wer will das nicht?

Jedoch muss ich wohl die Ausgabe der rosaroten Brille verpasst haben, die den Blick vor jeglicher Logik schützt und von der Realität abschottet. Denn wer sich für genderneutrale (Kabinen-)Toiletten einsetzt, während gleichzeitig fast jede Frau eine persönliche Geschichte zu sexueller Belästigung und Gewalt erzählen kann, hat jeglichen Bezug zur Realität verloren. 

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