Cicero-Buch zum Thema Migration - „Probleme, die wir nicht lösen, kommen wieder“

Der CDU-Fraktionsvize Jens Spahn warnt vor „Empörungsreflexen“ in der Migrationsdebatte. Er vermisse Sachlichkeit und das Suchen nach Lösungen. Diese Einengung der Debatte sei gefährlich, weil sie den Falschen nutze. Spahn äußerte sich heute bei der Vorstellung eines neuen Buches aus der Reihe Cicero Edition im Verlag Herder.

Konsens über Parteigrenzen hinweg: Jens Spahn (l.) und Mathias Brodkorb / Cicero
Anzeige

Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

So erreichen Sie Alexandre Kintzinger:

Anzeige

Das Buch „Der Selbstbetrug – Wenn Migrationspolitik die Realität ignoriert“ versammelt Beiträge prominenter Autoren, darunter Boris Palmer, Ruud Koopmans, Daniel Stelter, Thomas Mayer, Ilgin Seren Evisen und Ahmad Mansour. Heute wurde es im Berliner „Haus des Familienunternehmens“ präsentiert. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn lobte die Publikation als wichtigen Beitrag zur Versachlichung der politischen Debatte.
 
„Eigentlich bräuchte unser Land eine Pause von der ungeregelten Migration“, erklärte Spahn. Die Überlastungssituation und der Ernst der Lage zeigten sich ihm direkt vor Ort bei Gesprächen mit Bürgern und politischen Vertretern, sagte Spahn. Landräte und Bürgermeister berichteten von einer angespannten Stimmung, immer weiter angeheizt durch die seit Jahren ungeregelte Migration. Wenn es um die Bereiche wie Wohnen, Kitas, Schulen oder Sprachkurse gehe, gerieten zahlreiche Regionen an ihre Belastungsgrenzen, so der CDU-Politiker.
 
Kontraproduktiv sei, dass die Ampel-Regierung immer stärker die Grenzen zwischen Fachkräfteeinwanderung, die dringend notwendig sei, und irregulärer Migration verwische, so Spahn. Erschwert werde die Lage zusätzlich durch ein Wohlfahrtssystem, welches durch bestimmte Sozialleistungen Fehlanreize schaffe.

Von Empörungsreflexen geprägte Debatte

„Seit die AfD 2017 in den Bundestag eingezogen ist, herrscht Angst, sie zu bestätigen“, erklärte Spahn. Dies lähme die politisch Handelnden. Eine sachliche Debatte zu führen, beginne schon damit, bei Worten wie „Begrenzung“ und „Kontrolle“ nicht direkt in Empörung zu verfallen. Gerne werde dies von bestimmter politischer Seite manchmal absichtlich missverstanden. Diese Begriffe seien keine Synonyme für einen kompletten Einwanderungsstopp oder für weniger Humanität, sondern im Gegenteil: „Mit Kontrolle, verbunden mit Kontingenten, würde sich die Politik wieder auf den Ursprungsgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention besinnen.“

 

Passend zum Thema:

 

Spahn warb bei der Migrationsproblematik für eine überparteiliche Einigung und konkretes Handeln gegen die aktuelle Überlastungssituation. „Denn die Probleme, die wir nicht lösen, kommen an anderer Stelle wieder“, so Spahn. Eine solche Überparteiliche Einigung sei derzeit jedoch schwer umsetzbar, dies vor allem mit Blick auf mögliche schwarz-grüne Koalitionen.

Bei den Jamaika-Verhandlungen seinerzeit, so Spahn, gab es noch durchaus eine gewisse Kompromissbereitschaft. Doch heute sei mit den Grünen auf Bundesebene eine pragmatische Politik nicht mehr machbar. Die ideologischen Gräben seien zu tief, auch bei Themen wie Klima oder Selbstbestimmungsgesetz, so Spahn. Er halte „eine Koalition mit den Grünen nach dem heutigen Stand nicht für realistisch“.

Die Macht der Wirklichkeit wird entscheidend sein

Eine Art Konsens über Parteigrenzen hinweg gab es in der Podiumsdiskussion zwischen Spahn und Cicero-Autor Mathias Brodkorb. Brodkorb ist freier Publizist und war SPD-Politiker; unter anderem war er Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sowie dort auch Finanzminister. Kritisch äußerte sich Brodkorb zum EU-Asylkompromiss. Dieser werde kurzfristig nichts ändern. Es brauche eine deutlichere Wende in der europäischen Politik. „Die Macht der Wirklichkeit wird entscheidend sein“, so Brodkorb. „Wenn Europa als politischer Verbund überleben möchte, bedarf es zwingend einer Einigung bei der Migration.“

Die Politik müsse sich „geistig von der AfD befreien“, sagte Brodkob, sonst könne sie die Probleme nicht lösen. Nicht alle Menschen, die von der AfD angesprochen würden, seinen „total bescheuert“ oder „glaubten an Verschwörungstheorien“. Die Menschen wollten, dass die realen Probleme wahrgenommen werden. Was sich zeige, sei, „dass der alte Rahmen des Asylrechtssystem nicht mehr auf die derzeitige Wirklichkeit passt“. Die Alternative dazu müsste ein System sein, das humanistisch sei und zugleich auch „ein System der Hilfe der Selbsthilfe bereitstelle“.

Anzeige