Christine Lambrecht und die Bundeswehr - Deutschland braucht eine neue Verteidigungsministerin

Wer die Wehrfähigkeit der Bundeswehr sichern will, muss der Truppe vor allem eines erweisen: Ehre und öffentliche Anerkennung. Christine Lambrecht ist dazu erkennbar nicht in der Lage. Es ist deshalb höchste Zeit, parteipolitische Interessen hintan und an die Spitze des Verteidigungsministeriums eine Person zu stellen, die dem Amt gewachsen ist: Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht am 10. April auf dem Lufttransportstützpunkt in Niamey / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Soldat zu sein ist, jedenfalls in einer Berufsarmee, letztlich nichts anderes als die praktizierte Bereitschaft, im Notfall für das Ganze zu sterben. Derartige Banalitäten kitzeln nicht unbedingt die Gehörgänge des postheroischen Deutschen, aber sie bleiben dennoch wahr. Es ist daher auch keine Überraschung, dass Armeen unter gewöhnlichen Umständen politisch im Durchschnitt eher konservativ denken und auch für Rechtsextreme mitunter attraktiv sind. Armeen ziehen eben eher Patrioten als Frutarier und Hippies an. Und das liegt in der Natur der Sache.

Eine gewisse Rechtsdrift der Truppe ist daher zumindest in der Regel die unvermeidliche Bedingung ihrer eigenen Wehrhaftigkeit. Seit vielen Jahren schon müssen sich dabei alle Verteidigungsminister mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass es „mehr Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus“ in der Bundeswehr gebe als früher. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen ging sogar so weit, sich nicht schützend vor die Truppe zu stellen, sondern ihr öffentlich und ihrer Gesamtheit ein „Haltungsproblem“ zu bescheinigen.

Dabei hängt die Zahl der „Verdachtsfälle“ von zwei Faktoren ganz entscheidend ab. Zunächst vom Verdächtiger. An der Sache selbst muss sich ja gar nichts geändert haben. Es reicht schon, dass der Verdächtiger seine Maßstäbe verschiebt, um bei gleicher Lage ein anderes Ergebnis zu erzeugen. Und sodann dürften die politischen Parteien des Bundestages selbst schuld sein, dass die Bundeswehr mutmaßlich weiter nach rechts gerückt ist, als dies früher der Fall war: Sich darüber zu echauffieren erscheint daher mehr als nur wohlfeil.

Es war ja der Bundestag höchst selbst, der auf Vorschlag des damaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg (CSU) im Jahre 2011 die Wehrpflicht aussetzte. Aus der sozial und politisch durchmischten Bürgerarmee wurde ein Berufsheer mit entsprechenden zentripetalen Wirkungen. Wer das kritisiert, sollte daher nicht auf die Truppe einschlagen, sondern sich für die Wiederbelebung der allgemeinen Wehrpflicht engagieren oder sich selbst zum Dienst an der Waffe verpflichten.

Öffentliche Anerkennung

Dass eine jede Armee im Normalfall nicht ohne Restbestände patriotischen Denkens zu haben ist, hat eine wichtige Konsequenz. Gerade eine Gesellschaft mit Berufsarmee steht vor dem Problem, seinen Bürgern einen besonderen Grund geben zu müssen, im Notfall das eigene Leben für das Ganze zur Disposition zu stellen. Und dieser Grund heißt: Ehre. Es sind öffentliche Anerkennung und Dankbarkeit, die Menschen motivieren können, in einer Freiwilligenarmee zu dienen. Es ist daher auf erstaunliche Weise grotesk, wie Deutschlands Politik die Aussetzung der Wehrpflicht mit einer schleichenden öffentlichen Verachtung für das Militär kombinierte und diese Verachtung in einer schrittweisen materiellen Auszehrung der Truppe für alle sichtbar dokumentierte.

Die nun mit der „Zeitenwende“ (Olaf Scholz, SPD) angekündigte Kursänderung kann sich daher nicht darin erschöpfen, mittels Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro die größten Ausstattungsmängel zu mindern oder gar zu beseitigen. Das ist nicht mehr als die bloß notwendige Bedingung einer funktionierenden Armee. Solange Politik und Öffentlichkeit nicht damit aufhören, die Truppe unter Generalverdacht zu stellen und im Grunde abzulehnen, wird man den wichtigsten Lohn des Soldaten nicht garantieren können.

Wer die Wehrfähigkeit der Bundeswehr sichern will, wird daher vor allem eines organisieren müssen: Ehre und öffentliche Anerkennung für die Truppe. Die Ehre hat es aber nun einmal so an sich, dass sie nicht im Geehrten, sondern in den Ehrenden liegt. Sie kann vom militärischen Apparat nicht ex nihilo selbst erzeugt, sondern muss ihm vom Rest der Gesellschaft geschenkt werden. Der Verteidigungsminister ist daher auch nicht der Produzent der militärischen Ehre, sondern so etwas wie die Poststelle, bei der die Päckchen der Absender abgegeben werden, auf dass er sie gerecht unter den Empfängern verteile.

Und da hätten wir schon das Problem: Damit ein Verteidigungsminister als „Hermes der Ehre“ in Erscheinung treten kann, muss er selbst authentisch verkörpern, was der Grund der Ehrbezeugung ist. Nicht allein die Truppe, er selbst muss zuvörderst über die dafür nötige „Haltung“ verfügen. Dafür ist es nicht entscheidend, ob man Männlein oder Weiblein ist, ob man gedient hat oder nicht. Man muss nur ein Mindestmaß an soldatischem Ethos ausstrahlen, andernfalls findet die Ehre nicht vom Absender zum Empfänger. Peter Struck (SPD) war so einer.

Praktischer Akt von Gesinnungsethik 

Nun muss man nicht lange darüber diskutieren, ob die derzeitige Amtsinhaberin Christine Lambrecht (SPD) über diese erforderliche soldatische Haltung verfügt. Schon die vor Wochen groß angekündigte Lieferung von 5000 Helmen an die ukrainischen Soldaten war bloß ein praktischer Akt von Gesinnungsethik. Er hat symbolisch nicht nur ihr, sondern auch der Bundeswehr und international dem gesamten Land geschadet. Dabei heißt das ganz und gar nicht, dass Lambrecht als Ministerin gänzlich ungeeignet wäre. Die Juristin hat als Justizministerin einen passablen Job gemacht. Das Zaudern und Zögern, das sorgfältige Prüfen und Abwägen sind für einen Justizminister keine Mängel, sondern Eignungsvoraussetzungen für das Amt. Aber dieselben Eigenschaften sind in einer Armee das glatte Gegenteil, zumal im Krisenfall.

Wer daran auch nur irgendwelche Zweifel hat, schaue sich ein Interview an, das der Spiegel vor wenigen Tagen mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland und der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages geführt hat. Andrij Melnyk und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) stellen dort sechs Wochen nach Kriegsbeginn fest, dass die Kommunikation zwischen der Ukraine und der Bundesregierung noch immer „megaschlecht“ sei und „zwar generell“. Bis heute soll es demnach nicht gelungen sein, den Bedarf an Kriegsgerät mit den materiellen wie politischen Möglichkeiten der Bundeswehr in geordneten Prozessen abzugleichen. Der ukrainische Botschafter flehte daher verzweifelt um ein „Krisentreffen“.

Während Melnyk in dieser Frage vor allem auf das Bundesverteidigungsministerium blickt, liegt die Verantwortung hierfür nach Strack-Zimmermann eher beim Bundeskanzler persönlich. Nur er könne mit seiner Richtlinienkompetenz die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium im Falle von Waffenlieferungen bündeln und schnelle Entscheidungen auch zugunsten „schwerer Waffen“ herbeiführen. Mittlerweile schließt sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen der Auffassung an, der diesbezüglichen Bitte der Ukraine zu entsprechen. Und selbst zwei Drittel der SPD-Anhänger sehen hierzu keine Alternative mehr.

Dem Kanzler attestiert die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in dieser Frage indes eine „Ladehemmung“, zeigt aber durchaus auch Verständnis für dessen Lage. Schließlich müsse er sich in einer Partei bewegen, die sowohl aus Gesinnungs- als auch Verantwortungsethikern besteht. Aus seiner übergeordneten Verantwortung will sie ihn dennoch nicht entlassen: „Jetzt muss auch die Führung einsetzen“, die Scholz vor der Wahl versprochen habe.

Rolf Mützenich liegt falsch

Strack-Zimmermann hatte ihrerseits schon Tage vor ihrem Besuch mit Michael Roth (SPD) und Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) in der Ukraine ein klares Bekenntnis zur Lieferung schwerer Waffen durch Deutschland abgegeben. Ohne diese, ist Strack-Zimmermann ebenso wie die Außenministerin und der Wirtschaftsminister überzeugt, kann die Ukraine den Krieg gegen Russland nicht gewinnen. Die Antwort des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich, diese Forderung sei „verantwortungslos“, weil sie die Möglichkeiten „einfacher Antworten“ suggeriere, ist daher ebenso sachlich falsch wie sein Hinweis, offenbar hätte sich Strack-Zimmermann erst durch den Vor-Ort-Besuch zu einer emotionalen Entscheidung hinreißen lassen. Der Besuch hat ihren Entschluss nicht geboren, sondern vielmehr bekräftigt.

Wir Nachgeborenen müssen dem Herrgott daher im Grunde dankbar dafür sein, dass die internationale Gemeinschaft in den Jahren 1939 bis 1945 nicht so dachte wie Rolf Mützenich oder Sahra Wagenknecht heute. Andernfalls hätte Hitler wohl Europa und vielleicht die ganze Welt überrollt. Man darf daran erinnern, dass Amerikaner und Briten seinerzeit selbst den Russen umfangreich Kriegsmaterial zur Verfügung stellten, um gegen Hitler und die Wehrmacht bestehen zu können. Und es ist ausgerechnet jene Frage – die Unterstützung eines angegriffenen Landes mit schweren Waffen zu dessen Selbstverteidigung –, mit der sich die politische Linke heute schwer tut.

Der Grund hierfür ist der gute alte Gegensatz zwischen „Gesinnungs- und Verantwortungsethik“ (Max Weber). Während die Gesinnungsethik eine politische Drift nach links aufweist, strebt die Verantwortungsethik politisch eher nach rechts. Der Gesinnungsethiker lebt als Frutarier der Politik dabei von der Illusion, durch bloßes Nichthandeln die eigene Unschuld verbürgen zu können. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Auch durch bloßes Nichtstun kann man moralische wie politische Schuld auf sich laden. Man nennt das unterlassene Hilfeleistung.

Auch die entschlossenste Wahrnehmung der Richtlinienkompetenz durch den Bundeskanzler könnte indes nichts daran ändern, dass an der Spitze der Truppe eine Frau steht, die nicht für das Amt gemacht ist. Entscheidungen müssen ja nicht nur getroffen, sondern von den Zuständigen auch professionell und schnell umgesetzt werden. Dass Christine Lambrecht dies gelingen kann, darf getrost bezweifelt werden.

Der Peter Struck der FDP

In Zeiten des Friedens und des Wohlstands ist es für eine Gesellschaft zumindest verkraftbar, parteipolitischen Interessen einen größeren Stellenwert zu geben, als es in der Sache erforderlich oder ihr gar dienlich wäre. In Zeiten der Krise und Not liegen die Dinge freilich anders. Gerade eine ernst gemeinte „Zeitenwende“ braucht nicht nur konsequente und vor allem die richtigen Entscheidungen, sondern auch das Personal, das diese Entscheidungen umsetzt. Die SPD als stärkste Regierungspartei wirkt dabei derzeit von zwei Seiten in die Zange genommen: von den grünen Ministern Habeck und Baerbock einerseits und andererseits von Parlamentariern wie Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Michael Roth (SPD) und vor allem Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Die zackige Liberale scheint nicht nur entschlossen, sondern versteht es, der Öffentlichkeit die Funktionsweise und Operationsbedingungen eines Panzers ebenso verständlich zu erklären wie komplizierte geopolitische Zusammenhänge. Sie ist der Peter Struck der FDP.

Es wäre daher wohl an der Zeit, dieser Tage parteipolitische Interessen hintan und an die Spitze des Verteidigungsministeriums eine Person zu stellen, die dem Amt und den Herausforderungen der Zeit gewachsen ist. Die derzeitige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wäre dafür nicht die schlechteste Wahl. Die Entscheidung sollte dem Kanzler auch jenseits der sonst üblichen parteipolitischen Arithmetik bei der Verteilung hoher Ämter nicht allzu schwer fallen, denn politisch hat die SPD mit dem Verteidigungsministerium ohnehin nichts zu gewinnen.

Aufgrund des koalitionsinternen Drucks hat der Bundeskanzler nun einen ersten Schritt auf seine Kritiker zugemacht. Mehr als eine Milliarde Euro an Militärhilfe will er der Ukraine zeitnah zur Verfügung stellen, damit diese mehr Waffen kaufen kann. Die direkte Lieferung schwerer Waffen aus Beständen der Bundeswehr soll so offenbar weiterhin vermieden werden. Indes kann man mit Geld nicht schießen. Es bleibt daher fraglich, ob das benötigte Gerät die Ukraine überhaupt noch rechtzeitig erreichen kann. Bevor es zu spät ist.

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