Lindner-Hochzeit trifft auf Habeck-Interview - Die letzte Party

Ein Wochenende in Deutschland: Während der Bundeswirtschaftsminister die Bürger auf künftige Verarmung vorbereitet, zeigt sein Kollege aus dem Finanzressort, was man sich in diesem Land bald nicht mehr wird leisten können. Das Ergebnis ist eine verheerende Symbolik, mit der jene gesellschaftliche Spaltung befördert wird, die die Ampel-Regierung eigentlich bekämpfen wollte. Wir erleben einen Ground Zero der politischen Kultur.

Christian Lindner und Franca Lehfeldt vor ihrer Trauung auf Sylt / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Nach einem solchen Wochenende stellen sich auch den unbedarftesten Bürgern ein paar Fragen. Insbesondere diese: Was will uns die Bundesregierung eigentlich vermitteln? Oder besser gesagt: Ist denen klar, was in diesem Land gerade los ist und wie vor diesem Hintergrund bestimmte Worte und bestimmte Bilder auf die Bevölkerung wirken? Das Ganze kommt einem inzwischen vor wie ein großangelegtes psychologisches Experiment nach dem Motto: Mal schauen, wann die Grenze des Erträglichen erreicht ist. Es wirkt in der Gesamtschau beinahe wie eine gezielte Provokation.

Denn tatsächlich müssen die Dinge nebeneinandergelegt werden, die da von einzelnen Bundesministern unter dem billigenden Blick (beziehungsweise mit aktiver Teilnahme) des Kanzlers unters Volk gebracht werden. Da wäre beispielsweise jenes Interview, das Robert Habeck als Verantwortlicher für das bundesdeutsche Wirtschaftsressort dem Deutschlandfunk gab. Es zeugt von einer Rat- und Hilflosigkeit, die wohl nur noch in der Grünen-Hardcorefanbase ob ihrer unverstellten Ehrlichkeit als kommunikative Großtat gefeiert werden kann. Was Habeck hier abliefert, hätte in Zeiten politischer Normalität den Begriff „Bankrotterklärung“ verdient – und zwar völlig zu Recht.

Die von Tag zu Tag an Dramatik gewinnende Gas-Mangellage in Deutschland nennt er „für die Gegenwart beherrschbar“, aber im Winter werde es „dann ernst, wenn es nicht gelingt, über den Sommer die Speicher vollzubekommen und weitere Versorgungszuwege, also LNG-Terminals als vorläufig erst einmal über Schiffe geführt zu installieren“. Doch selbst für dieses Best-Case-Szenario würde die Lage „immer noch angespannt“ sein: „Möglicherweise aber so, dass wir dann durchkommen, wenn wir die Verbräuche knapphalten, wenn die anderen Länder uns mit Gas versorgen, wenn wir es schaffen, den Gasverbrauch bei der Stromerzeugung zu reduzieren.“ Nochmal zum langsamen Mitlesen für Begriffsstutzige oder professionelle Schönredner: Eine heruntergedimmte Industrienation künftiger Kaltduscher wie die Bundesrepublik kann sich freuen, wenn andere Länder ihr dabei helfen, den nächsten Winter zu überstehen. Möglicherweise.

Der irre deutsche Sonderweg

Der ganze energiepolitische Wahnsinn, der seit einer flutbedingten Reaktorkatastrophe in Japan und flankiert von irgendwelchen „Ethik-Kommissionen“ in die Wege geleitet wurde, entfaltet jetzt seine Wirkung in voller Pracht. Die Abhängigkeit von russischem Erdgas als „Überbrückungslösung“ war der ethisch-moralische und vor allem geopolitische Kollateralschaden einer irren Hybris, die schon damals zu Stirnrunzeln bei jenen europäischen Nachbarn geführt hat, die uns jetzt durch kalte Monate und eine Konjunktur der Minusgrade helfen sollen. Dass der deutsche Wohlstand auf einmal von einer in Kanada zu wartenden Pipeline-Turbine abzuhängen scheint, ist eine der irrwitzigsten Folgeerscheinungen des deutschen Sonderwegs, der geradewegs in den Abgrund führt. 

Mit einer gewissen Entrüstung nennt Habeck das Turbinenproblem einen von Wladimir Putin „vorgeschobenen Grund“ für das Abdrehen des Gashahns. Aber eine auch nur halbwegs vorausschauende Politik hätte solche Szenarien nicht nur antizipieren können, sondern auch müssen. Oder glaubt man im Berliner Regierungsviertel ernsthaft, dass die Russen ihr sorgsam angesammeltes Erpressungspotential ausgerechnet dann nicht ausspielen, wenn es ernst wird? Der Bundeswirtschaftsminister jedenfalls teilt der Bevölkerung via Deutschlandfunk folgendes mit: „Alles kann passieren. Es kann sein, dass das Gas wieder fließt, auch mehr als davor. Es kann sein, dass gar nichts mehr kommt. Und wir müssen uns ehrlicherweise immer auf das Schlimmste einstellen und ein bisschen für das Beste arbeiten.“ Das klingt doch ungemein beruhigend. Gut zu wissen jedenfalls, dass unsere Regierung „ein bisschen für das Beste arbeiten“ will.

Und um so richtig Schwung in die Angelegenheit zu bringen, werden dem Kreml die Anreize für einen Gas-Lieferstopp von Robert Habeck auch noch auf dem Silbertablett serviert. Denn wenn es richtig hart auf hart kommt, „da mache ich mir auch keine Illusion, was dann an Debatten passieren wird, auch über mein Ministerium, über meine Person. Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten.“ Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass Robert Habeck unangenehme „Debatten“ über sich selbst und sein Ministerium offenbar mindestens als genauso bedrohlich erachtet wie eine gesellschaftliche Zerreißprobe: Putin will genau Letzteres erreichen, nämlich chaotische Zustände. Warum also einlenken, wenn der deutsche Vizekanzler das Moskauer Wunschszenario öffentlich an die Wand malt? Sollten die Äußerungen des Wirtschaftsministers von irgendwelchen spieltheoretischen Überlegungen geleitet sein, wirkt das zumindest auf den laienhaften Beobachter reichlich um die Ecke gedacht. Zumal man dieser Bundesregierung in Sachen Taktik und Strategie inzwischen noch weniger zutraut als dem Hauptstadtfußballverein Herta BSC.

Rezession und Trüffel

Während Habeck also über eine „tiefe Rezession“ philosophiert, über „Preisanpassungen“, die für die Verbraucher „hart werden und für einige Menschen auch zu hart“ – und insgesamt den kaum noch abwendbaren Niedergang dieses Landes anmoderiert, gefällt sich sein Kabinettskollege Christian Lindner mit der öffentlichen Zelebration seiner Hochzeit auf der Nordseeinsel Sylt. Was da am Wochenende für eine Schmierenkomödie aufgeführt wurde, ist tatsächlich präzendenzlos und zeugt von einer politischen Instinktlosigkeit sondergleichen. Denn es war gerade keine Feierlichkeit in privatem Kreise: Ohne freudiges Mittun der Brautleute würden die bunten Gazetten heute eben nicht überlaufen von champagnerseligen Trauungsbildern, Porsche-Defilees und der ehrfürchtigen Kolportage des Menüs („als Hauptgang folgten wahlweise Nordsee-Steinbuttfilet auf Champagner-Traubenkraut oder Rinderfilet mit Spinat, Pürree und Trüffel“, wie der Bild-Zeitung zu entnehmen ist).

Auch hochrangige Politiker haben selbstverständlich – wie alle Bürger – ein gutes Recht darauf, zu feiern, wie und mit wem sie wollen. Aber wenn selbst Spiegel online irgendwelche Hochzeitsreporter nach Sylt entsendet und Bild-TV live von der St.-Severin-Kirche in Keitum berichtet, ist etwas völlig aus dem Ruder gelaufen: Diese Inszenierung nach Art einer Royals-Soap ist in Zeiten wie diesen nicht nur frivol, sondern schlicht geschmacklos. Habeck gibt den Märtyrer im russischen Gaskrieg und schreibt das erste Kapitel des Drehbuchs „Stilvoll Verarmen“; gleichzeitig lässt es der Bundesminister der Finanzen ordentlich krachen – und zwar in Begleitung des Bundeskanzlers der Generation „Unterhaken“. Das sind die verheerenden Eindrücke eines Sommerwochenendes in Deutschland anno 2022.

Keine „Neiddebatte“

Die Dinge so zu benennen, wie sie sind, bedeutet übrigens nicht, eine „Neiddebatte“ zu führen, wie von interessierter Seite bereits präemptiv behauptet wurde, als sich abzuzeichnen begann, dass die Aktion „Lindner und Lehfeldt in Love“ (so das von Bild eigens in Herzform entworfene Logo) möglicherweise zur Unzeit über die Bühne gehen könnte. Denn wer hier von „Neid“ spricht, lässt mehr über seinen eigenen Wahrnehmungshorizont erkennen als über die gesellschaftliche Stimmung in diesem Land. Es geht nämlich nicht darum, sich nichts dringlicher zu wünschen als einander mit Rosé-Champagner in der Sansibar zuzuprosten. Sondern darum, ob etwa ein FDP-wählender Mittelständler, dem gerade inflationsbedingt das Geschäftsmodell wegbricht, sich mit einer zumindest nicht ungewollten öffentlichen Zurschaustellung feuchtfröhlicher Sausen des Polit-Establishments noch ernstgenommen fühlen kann.

Politik vermittelt sich stets auch über Symbole. Und eine Regierung, deren Mitglieder einerseits Spar-Duschköpfe propagieren, andererseits aber vor den versammelten Kameras feiern, als gäbe es kein Morgen – das zeugt von einer verheerenden Selbstgefälligkeit und einem komplett erodierten Gespür für die Sorgen der Deutschen. Vielleicht geht es am Ende ja sogar genau um diese Symbolik: dass es für dieses Land kein Morgen gibt. Der Hochzeitstanz als danse macabre.

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