CDU/CSU büßt Vorsprung in Umfragen ein - SPD und Grüne profitieren von Putins Krieg

In Krisen schart sich die Bevölkerung um ihre Regierung. Das war schon in der Corona-Krise so und ist jetzt in der Ukraine-Krise nicht anders. SPD und Grüne legen in Umfragen weiter zu. Das könnte Auswirkungen auf die kommenden drei Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben - und schließlich auch auf die Bundespolitik.

In zwei Wochen wird im Saarland gewählt? Bleibt die CDU von Ministerpräsident Tobias Hans dann noch stärkste Kraft? / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Krisen sind die Stunde der Exekutive – und Kriege allemal. In sieben Umfragen seit der russischen Invasion in die Ukraine hat die Kanzlerpartei SPD den demoskopischen Rückstand zur CDU/CSU wieder wettgemacht. In zwei Erhebungen (Forschungsgruppe Wahlen und Forsa) liegt sie sogar wieder vor der Union. Und die Grünen, in der Krise sehr präsent durch ihre Außenministerin Annalena Baerbock sowie den Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, liegen konstant über ihrem Bundestagswahlergebnis.

In gewisser Weise wiederholt sich, was schon nach Ausbruch der Corona-Krise zu beobachten war. Auch damals, im Frühjahr 2020, scharten sich die Wähler um die führenden Regierungsparteien CDU und CSU. Damals wie heute hatten die Menschen das Gefühl, vom Kanzleramt aus werde alles getan, was man kann, um der Herausforderung gerecht zu werden. Dass die CDU/CSU ihre deutliche Führung im Wahljahr 2021 dann verspielte, hatte sie allein ihren eigenen strategischen Fehlern zuzuschreiben.

Das krisenbedingte Stimmungshoch hat der Union 2020 nichts genutzt, weil es nach Ausbruch der Pandemie keine einzige Landtagswahl gab. Das ist jetzt anders. In knapp zwei Wochen wird im Saarland gewählt, im Mai dann in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Falls der positive bundespolitische Trend für SPD und Grüne anhält, könnten drei CDU- Ministerpräsidenten abgewählt werden und drei neue Ampeln kräftig blinken – mit erheblichen Auswirkungen für die Bundespolitik und nicht zuletzt im Bundesrat.

Die Weichenstellungen erfolgten in der Ära Merkel

Durch Putins Überfall auf die Ukraine werden den Deutschen zwei bedrohliche Fehlentwicklungen bewusst: unsere fahrlässig herbeigeführte Abhängigkeit von Erdgas, Erdöl und Kraftwerkskohle aus Russland sowie die erschreckend geringe Abwehrbereitschaft der Bundeswehr. Die Weichenstellungen, die dazu geführt haben, erfolgten im Wesentlichen in der Ära von Angela Merkel. Allein diese Tatsache macht es der CDU/CSU in der Opposition sehr schwer, auf frühere Versäumnisse und alte Fehler zu verweisen.

In zwölf der 16 Jahre Merkel’scher Kanzlerschaft saßen die Sozialdemokraten mit am Kabinettstisch. Und sie haben unter dem Einfluss von „Gas-Gerd“, also ihrem Genossen Gerhard Schröder, alles befördert, was Russlands Stellung als unserem wichtigsten Energielieferanten genutzt hat. Tatsache ist auch, dass die Sozialdemokraten die deutsche Verpflichtung gegenüber der Nato, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, unter keinen Umständen einhalten wollten.

Gleichwohl kann die CDU/CSU das „Blame game“ nicht gewinnen. Die Merkel-Union hat Putins Lust am weltpolitischen Zündeln nach der Krim-Annexion scharf kritisiert und auch Sanktionen unterstützt. Aber die Gas- und Ölimporte aus Russland wurden nie in Frage gestellt. Im Gegenteil: Nord Stream 2 wurde noch vorangetrieben. Unter Merkel scheute die Union auch eine harte innenpolitische Auseinandersetzung über eine bessere Ausstattung der Bundeswehr. Merkels Strategie war die des Appeasements. Als Kompass dienten ihr die Meinungsumfragen. Deshalb bekamen die Deutschen, was ihnen gefiel: preiswertes Russengas und eine preiswerte Bundeswehr. Und Putin konnte sich ermuntert fühlen, seinen Traum vom neuen, größeren Russland weiter zu verfolgen.

SPD und Grüne profitieren von ihrer 180-Grad-Wende in der Verteidigungspolitik

Es gleicht einem Treppenwitz, dass SPD und Grüne heute in der politischen Stimmung von ihrer 180-Grad-Wende in der Verteidigungspolitik profitieren. Der SPD kommt obendrein die unverhoffte Eingebung zugute, bei Nord Stream 2 handle es sich doch nicht um ein „rein privatwirtschaftliches Projekt“, was Olaf Scholz noch im Dezember behauptet hatte.

Offenbar gilt auch auf Erden die biblische Weisheit, wonach im Himmel über einen zur Realpolitik Bekehrten mehr Freude herrscht als über 99, die schon immer Recht hatten. Insgeheim scheinen Wähler sogar zu goutieren, wenn sie feststellen, dass nicht nur sie falsch gelegen haben, sondern auch „die da oben“. Wer da behauptet, er habe es schon immer besser gewusst, hat schlechte Karten.

Falls der Trend der Freund der Sozialdemokraten bleibt, droht der CDU an der Saar ein Desaster. Mit Ministerpräsident Tobias Hans, innerparteilich stets fest an der Seite von Merkels Modernisierern, könnte die CDU zum ersten Mal seit 1999 wieder hinter die SPD zurückfallen – und das deutlich. Hans hat zwar schon angedeutet, die Große Koalition selbst unter diesen Umständen fortsetzen zu wollen, dann eben unter roter Führung. Fragt sich nur, ob die SPD nicht eher eine Ampel vorzieht.

Lieber ohne die CDU als mit ihr

In Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen hat die CDU dagegen gute Chancen, wenigstens stärkste Partei zu bleiben. Im hohen Norden könnte es für eine Fortsetzung der jetzigen Jamaika-Regierung reichen, aber auch eine Ampel ohne CDU wäre möglich. In Nordrhein-Westfalen wiederum hat Schwarz-Gelb so gut wie keine Chance auf eine eigene Mehrheit. Dann wäre, den jüngsten Umfragen zufolge, alles möglich: Große Koalition, Ampel oder Jamaika.

Die Marschroute der SPD dürfte klar sein: Jede Koalition ohne CDU ist besser als eine mit CDU. Die FDP hingegen müsste daran interessiert sein, nicht nur auf Ampel-Bündnisse zu setzen. Das käme bei dem Teil ihrer Wähler sicherlich nicht an, der eher mit Schwarz-Gelb liebäugelt als mit „Ampeleien“. Andererseits stabilisiert jede weitere Ampel in den Ländern das Bündnis in Berlin, woran der FDP-Spitze mit Blick auf die nächste Bundestagswahl gelegen sein muss.

Die Grünen hingegen geben sich zwar gern bürgerlich, sind im Kern aber eine linke Partei. Wenn der Preis für eine Regierungsbeteiligung darin besteht, sich mit der CDU zu arrangieren, dann tun die Grünen das notgedrungen. Doch fühlen sich die Grünen viel wohler, wenn es ohne die CDU geht. Das zeigte sich übrigens nach den hessischen Kommunalwahlen im vergangenen Jahr. In Frankfurt beispielsweise beendeten die Grünen abrupt die lange Zusammenarbeit mit der CDU, als rechnerisch eine Stadtregierung ohne die Union möglich war.

Bei den anstehenden Landtagswahlen wollte die CDU mit Friedrich Merz an der Spitze eigentlich demonstrieren, dass sie nach dem Debakel bei der Bundestagswahl wieder Fuß gefasst hat. Aber es könnte ganz anders kommen. Die SPD und Grüne als Profiteure von Putins Überfall auf die Ukraine? Es klingt geradezu grotesk; unwahrscheinlich ist es aber nicht.

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