Kooperation zwischen CDU und Linken - Im Osten was Neues

Mike Mohring wusste schon in der Wahlnacht: Er muss mit Bodo Ramelow und der Linkspartei reden. Jetzt kommt es tatsächlich zu einer vorübergehenden Kooperation zwischen CDU und Linken. Das ist historisch und dafür ist es höchste Zeit, schreibt die einstige DDR-Bürgerrechtlerin Kathrin Mahler Walther.

Freund und Feind: Mike Mohring und Bodo Ramelow in der Thüringer Wahlnacht 2019 / dpa
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Kathrin Mahler Walther, geboren 1970 in Leipzig, gehörte zu den jüngsten Bürgerrechtlerinnen der früheren DDR. Für ihr Engagement erhielt sie im Oktober 2019 das Bundesverdienstkreuz von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Die Sozialwissenschaftlerin ist heute geschäftsführendes Vorstandsmitglied der EAF Berlin, einem Forschungs- und Beratungsinstitut zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit. (Foto: Verena Brüning)

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Erstmals in Deutschland wollen CDU und Linke in Thüringen zusammenarbeiten. In einem als „Stabilitätspakt“ bezeichneten Übergang soll Bodo Ramelow zuerst mit Hilfe der CDU zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Danach soll bis April 2021 der Haushalt und weitere Projekte unter einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung unter Mithilfe der CDU verabschiedet werden. Erst dann soll es Neuwahlen geben. Die CDU spricht von „konstruktiver Opposition“. Doch dieses Wording kann nicht davon ablenken, dass sich CDU Thüringen mit diesem Kompromiss gegen den Beschluss des CDU-Bundesparteitags stellt. Der besagt, dass eine Zusammenarbeit mit der Linken ausdrücklich untersagt ist. Aber warum eigentlich? Es ist an der Zeit, das besser zu verstehen.

Das Dilemma von Erfurt hat seine Ursache auch im kulturell tief verwurzelten Antikommunismus der Bundesrepublik. Die alte Angst vor der Zerschlagung der liberalen westlichen Ordnung durch den Kommunismus aus dem Osten sitzt tief. Sie ist eng verwoben mit der Gründungsgeschichte der Bundesrepublik. Aus gutem Grund: Unter dem Terror Lenins, Stalins und ihrer Genossen wurden Millionen Menschen vernichtet. „In unseren Tagen ist Frieden und Freiheit bedroht, zutiefst gefährdet. […] Jene barbarischen, jene grausamen Zeiten sind von neuem, von Osten her über Europa und uns hereingebrochen“, so warnte Konrad Adenauer in seiner Neujahrsansprache 1952.

Der Antikommunismus hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange Geschichte. Er war in der Weimarer Republik äußerst wirkmächtig, die Nationalsozialisten hatten den „Bolschewismus“ dämonisiert und dieser tief verwurzelte Hass wirkte auch nach 1945 in Ost- und Westdeutschland weiter. Auch in personeller Kontinuität wie beim Aufbau des Bundesnachrichtendienstes: dessen erster Präsident, Generalmajor a.D. Reinhard Gehlen, leitete unter Hitler im Generalstab die „Abteilung Fremde Heere Ost“ und verfügte aus dieser Zeit über nachrichtendienstliche Expertise über die Sowjetunion. Er sorgte dafür, dass mit ihm viele weitere Mitarbeiter dieser Abteilung beim BND tätig wurden.

Feindbild und Angst wurden verstärkt

Seit ihrer Gründung bis zur Friedlichen Revolution 1989 befand sich die Bundesrepublik mit den Westmächten im Kalten Krieg gegen die nukleare Bedrohung aus dem Osten. Auch nach innen wurde intensiv gegen den Feind gekämpft: In den 50er und 60er Jahren gab es in der Bundesrepublik zwischen 125.000 und 200.000 Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten – mehr als gegen NS-Täter.

Der Kampf gegen den Terrorismus der RAF, die berüchtigten K-Gruppen und andere linksextreme Gruppierungen haben dann in den 70er und 80er Jahren das Feindbild und die Angst zusätzlich verstärkt. „Der Antikommunismus wurde zu einem grundlegenden Integrationsfaktor für die Entwicklung des politischen Selbstverständnisses der westdeutschen Gesellschaft“, schreibt Rüdiger Thomas für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Ein sozialistisches Teildeutschland

Und dann kam er, der Osten. Mit der Friedlichen Revolution im Oktober 1989 befreiten sich DDR-Bürger von der SED-Diktatur und durchbrachen am 9. November schließlich auch die Mauer. Die Sowjetunion unter Gorbatschow war nicht eingeschritten und hatte das Land vorerst freigegeben aus dem Klammergriff der sozialistischen Brudergemeinschaft. Ein Machtvakuum entstand.

In Ostdeutschland diskutierte man über Reformen, zunächst wollten viele die DDR anders, vor allem demokratisch gestalten. Dass ein solcher Versuch schon allein wegen des ökonomischen Bankrotts nicht hätte gelingen können, wissen wir heute. Damals war das kaum jemand so klar, weder im Westen noch im Osten. Plötzlich gab es die Möglichkeit, dass ein sozialistisches Teildeutschland entsteht, das von Menschen als demokratisches System gestaltet wird.

Heimat für eine Menge „Blockflöten“

Dem sollte schnell entgegengesteuert werden: Schon am 11. November titelte die Bild-Zeitung: „Wir sind das Volk“ rufen sie heute – „Wir sind ein Volk“ rufen sie morgen! mit dem Untertitel Die Wiedervereinigung Deutschlands – Das ist unser Auftrag! Nach Recherchen des Deutschlandradios war es in diesen Tagen das Ziel der Bundes-CDU, die Meinungsführerschaft zu übernehmen und das Thema Wiedervereinigung zu besetzen. Sie ließ Plakate und Aufkleber in Massen drucken und verteilte sie auf den Leipziger Montagsdemos. Ich war damals jeden Montag auf den Demos und sehe die Aufkleber noch vor mir: Abgebildet war die Deutschlandflagge mit dem Slogan Wir sind ein Volk!. Der Weg in Richtung Wiedervereinigung wurde damit in den Köpfen schnell geebnet.

Die erste freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 gewann die Allianz für Deutschland mit dem Slogan „Wir sind das Volk“. Das Bündnis aus Ost-CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch war auf Vermittlung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl hin zustande gekommen. Am 2. Oktober 1990 vereinigte sich die Ost-CDU mit der West-CDU. Natürlich nahm sie ihr Vermögen mit in die Vereinigung. Die gesamtdeutsche CDU wurde damit zur neuen Heimat für eine Menge „Blockflöten“ – Menschen, die in der DDR Mitglieder der CDU gewesen waren. Die Ost-CDU gehörte zum gleichgeschalteten Parteiensystem der DDR, organisiert in der Nationalen Front – eine Art Steigbügelhalter der SED.

Misstrauen gegen den Erfolg der PDS

Für mich als DDR-Bürgerrechtlerin war die Übernahme dieser Ost-Mitglieder ein Grund, die CDU nicht zu wählen. Ebenso wenig wie die FDP, der sich die Blockpartei Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LPD) anschloss. Erst recht nicht die PDS, die als Nachfolgepartei der SED für mich absolut unwählbar war. Mit Verachtung und Misstrauen sah ich auf die hohen Stimmanteile, die die PDS in den 1990er Jahren in weiten Teilen Ostdeutschlands erzielte.

Damals, im schnellen Beitrittsprozess, glaubte man noch, dass alle froh sein müssen, die Diktatur hinter sich zu lassen. Und gegen ein Leben in der Bundesrepublik eintauschen zu können. Dass „gleichwertige Lebensverhältnisse“- um die wir noch heute ringen – Ankommen und Integration schaffen würden. Doch das Leben in der DDR hat Menschen kulturell, sozial und auch politisch geprägt. Vieles davon hat bis heute Bestand und wird im Miteinander verstärkt.

Ich war befremdet

2002 weilte ich zum Studienaufenthalt in den USA, als mich die Nachricht erreichte, dass Berlin, inzwischen meine Heimatstadt geworden, nicht nur den ersten offen schwulen Bürgermeister bekommen hatte, sondern auch eine Regierungskoalition mit der PDS. Ich war befremdet. Zugleich war Berlin eben Berlin, Schmelztiegel aus Ost und West, die PDS nicht mehr nur aus ehemaligen DDR-Kadern bestehend und ein winzig kleines bisschen fand ich es auch gut, dass der Osten damit mehr Sichtbarkeit kriegte in der ehemals geteilten Stadt.

Wo immer es ging, wurde die PDS in den 90er Jahren ignoriert und ausgegrenzt. Dass CDU und FDP selbst zum Teil Nachfolgeparteien von Ost-Parteien waren, schien egal zu sein. Dem permanenten Ausschluss begegnete die PDS mit beharrlicher Facharbeit in Parlamenten – sie zog nicht lautstark pöbelnd durch das Land und verbreitete nicht Angst und Schrecken. 2007 fusionierte sie mit der kleinen WASG zur Partei Die Linke. Als solche ist sie mittlerweile in vielen (überwiegend ostdeutschen) Kommunen und Ländern auch in der Regierungsverantwortung. Ihre Vertreter haben bisher keine Anstalten unternommen, das System zu stürzen. Sie haben Kita-Beiträge abgeschafft, Lehrer verbeamtet, Straßenausbaubeiträge gestrichen.

Aufarbeitung des Unrechts

Die Linke in Thüringen hat um die Aufarbeitung des Unrechts in der SED-Diktatur ehrlich gerungen und dazu im letzten Koalitionsvertrag sehr klare Aussagen getroffen. Unter der Ministerpräsidentschaft Bodo Ramelows sind - 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution und etliche CDU-Regierungsperioden später – wichtige Projekte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ins Leben gerufen wurden. Und wer sich darauf versteift, ihm vorzuwerfen, dass er nicht vom „Unrechtsstaat“ spricht, der hat entweder seine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit dem Begriff nicht gelesen oder will im reinen Bekenntniszwang stecken bleiben.

Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland und in der westlichen Welt, angesichts großer geopolitischer Umwälzungen müssen wir heute alte Gewissheiten in Frage stellen. Es ist an der Zeit, sich den Osten nicht mehr durch die alte bundesdeutsche Brille anzusehen. Der Antikommunismus der alten Bundesrepublik verstellt den Blick auf die aktuellen Zustände in Deutschland. Wenn wir auf Dauer Die Linke mit großen Stimmanteilen im Osten ignorieren, dann verliert die Demokratie im Osten, dann verliert Deutschland den Osten.

Die Hufeisen-Theorie hat ausgedient

Ganz im Gegenteil zur Linken, die sich als Partei an die demokratischen Spielregeln hält, steht die AfD. Sie will mit absurden Wahlslogans wie „Die Wende vollenden“ ein Gefühl mangelnder Wertschätzung und Sichtbarkeit im Osten für sich vereinnahmen. Sie versucht die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie auszuhöhlen. Sie provoziert das Chaos, damit sich Menschen in ihren einfachen Scheinbar-Antworten verfangen. Dazu treibt sie Verwaltungen mit massenhaften Anfragen in die Arbeitsunfähigkeit. Sie schürt Angst und Hass durch Aufhetzung und Bedrohung, sie spaltet und tritt gegen alles ein, was eine sozial gerechte und vielfältige chancengerechte Gesellschaft ausmacht. Sie bereitet den geistigen Boden für rassistische Anschläge wie in Halle und Hanau. Sie ist es, die das System der freiheitlich demokratischen Grundordnung stürzen will - wie es die Akteure der Partei immer wieder deutlich sagen.

Das gilt es, zu erkennen und mit allen Mitteln zu verhindern. Gelingen kann das nur, wenn sich jede demokratische Partei einschließlich Die Linke um Möglichkeiten der Zusammenarbeit bemüht – anstatt diese kategorisch auszuschließen. Die Hufeisen-Theorie hat ausgedient. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss zur Zusammenarbeit mit der Linken ist nicht mehr zeitgemäß. Im Gegenteil – er kann eine toxische Wirkung entfalten. Und ja, vielleicht müssen die Mutigen in der CDU, die diese Zeichen der Zeit erkannt haben, erst einmal einiges aushalten. Aber es geht schließlich um sehr viel: Die Zukunftsfähigkeit unserer gemeinsamen gesamtdeutschen Demokratie.

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