Schwarz-Grüne Koalition in NRW steht - Heirat mit Exit-Option

Auf den ersten Blick scheint das neue schwarz-grüne Bündnis am Rhein mit viel Harmonie zu starten. Doch der Koalitionsvertrag, den Ministerpräsident Hendrik Wüst und die Grünen-Landeschefin Mona Neubaur heute präsentierten, kaschiert manche Differenz – und flüchtet sich bisweilen ins Windelweiche.

Ministerpräsident Hendrik Wüst und Mona Neubaur stellen den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün in NRW vor. /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Warum eigentlich immer so viel Harmonie? Das macht doch skeptisch! Die Bilder des Nordrhein-Westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und seiner neuen grünen „Partnerin“, der Grünen-Landeschefin Mona Neubaur, sehen immer fast nach Flitterwochen aus. Nach den Koalitionsverhandlungen traten sie gestern vor die Presse und präsentierten den Koalitionsvertrag, in dem es gelungen sei „vermeintliche Gegensätze zu versöhnen, um etwas Gutes zu schaffen“. In Wahrheit ist das doch eine zuckrige Präambel über einen hart ausgehandelten Ehevertrag, der fünf Regierungsjahre absichern soll, aber zugleich auch eine Exit-Strategie für beide Partner bereithält. So ist das bei Zweckbündnissen halt. 

Nach der schnellen und geräuschlosen Einigung – zumindest der öffentlichen Wahrnehmung nach – soll sich keiner täuschen lassen. In Wahrheit wurde hart und auch „hartleibig“ verhandelt, wie ein Unterhändler berichtete. Es bleibt bei manifesten Unterschieden zwischen CDU und Grünen vor allem in der Verkehrspolitik, in gesellschaftspolitischen Fragen und letztlich auch in der Wirtschaftspolitik. Der Unterschied zu früher ist, dass die junge Riege aus Christdemokraten und Grünen sich menschlich gut bis sehr gut versteht – und vielleicht sogar ganz gerne miteinander ringt. Aber gerungen wurde schon. Manchmal bis tief in die Nacht – was bedeutet, nicht vor 3 Uhr gingen die Lichter aus. 

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Schwierige Einigung bei Windkraft

Für die Parteiendemokratie ist dies auch ein durchaus wichtiges Signal. Wenn nun  allerorten, wie unlängst auch in Kiel, die schwarz-grüne Harmonie ausgerufen wird, dann kann das doch das Wahlvolk irritieren. Es braucht unterschiedliche politische Angebote, die auch nach dem Wahlkampf noch vertreten werden, sonst entsteht die berühmte Repräsentationslücke, die dann den Wähler bisweilen in die Extreme treiben kann. Insofern hätte man sich in dem vorliegenden Koalitionsvertrag auch vorstellen können, dass strittige Punkte deutlich „strittig“ genannt werden, statt sie nur in windelweiche Formulierungen zu hüllen, die die eigentlichen Intentionen dann doch kaschieren. Den langen Absätzen zur Windkraft sieht man das an, wie schwierig es war, eine Einigung zu bekommen. Aber zum Hochzeitsfest ist natürlich eine gewisse liebliche Rhetorik unabdingbar. Das beherzte „Ja, aber“ wird hier gepflegt. Die Windenergie musste auch abschließend von den beiden Spitzen geklärt werden, weil man sich vorher in den Kleingruppen nicht einig werden konnte. 

Grundsätzlich würden bei Schwarzen und Grünen immer noch andere Weltbilder aufeinander stoßen, sagte ein hochrangiger Verhandlungsteilnehmer nach den Düsseldorfer Nächten. Doch anders als früher gehe man sich deshalb nicht mehr an die Gurgel. Während für die CDU das grundsätzliche Bekenntnis zum Industrieland wichtig war, betonen die Grünen sozusagen die Adjektive. Man wolle NRW zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ machen. Dass dazu übergangsweise noch viel Gas verfeuert werden müsse, konstatierte die Unionsseite – was die Grünen dann mit schmerzverzerrtem Gesicht hinnahmen. 

Grüne fordern "Friedenserziehung"

Erstaunlich dann eben doch, wie viele „Wünsch-mir-was“-Formulierungen die Grünen in den 146-Seiten dicken Vertrag herein schreiben wollten. Tatsächlich feiert so auch ein Begriff aus der Gründungszeit der Grünen in den 1970er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts eine Auferstehung. Schülerinnen und Schüler zwischen Rhein und Weser sollen künftig die für „demokratisches Denken und Handeln notwendigen Kompetenzen“ erwerben, heißt es im Koalitionsvertrag. „Friedenserziehung“ sei dazu ein „wesentlicher Baustein“. Papier und auch PDF-Dokumente sind geduldig. Ähnlich bei Themen wie Abtreibung und Cannabis. Für manchen CDU-Verhandler verblüffend, wie wichtig den Grünen diese Code-Words sind. Trotz Bundeszuständigkeit mussten die Themen vorkommen, letztlich mit harmlosen Formulierungen ohne konkrete Maßnahmen.

Die für die CDU und auch ihren Ministerpräsidenten wichtigste Errungenschaft ist möglicherweise sowieso der Kabinettszuschnitt. Auch wenn die Namen hinter den Ressorts bislang nur gerüchteweise gehandelt werden, lässt sich schon jetzt sagen, dass Wüst die größten Erfolgsgaranten auch der Laschet-Zeit in sein neues Bündnis überführen kann. Die CDU behält das Innen-Ressort, der erfolgreiche Minister Herbert Reul kann im Amt bleiben. Und das Trigger-Thema „Bekämpfung der Clan-Kriminalität“ ist im Koalitionsvertrag verankert. Und tatsächlich passte den Grünen in der Innenpolitik durchaus manches auf der Reul-Agenda nicht, doch im Wesentlichen haben sie nachgegeben. Das Gleiche gilt für das Münsterländer CDA-Urgestein Karl-Josef Laumann. Auch er kann im Amt bleiben, was sogar manche Grüne als gewiss erkennen. „Eine Koalition nur mit der CDU wäre einfacher als mit der ganzen CDU“, sagte ein Grüner zum Abschluss der Verhandlungen. Aber umgekehrt hat Wüst es ja auch nicht nur mit Neubaur zu tun, sondern mit den ganzen Grünen. So ist das eben. Bei jeder Hochzeit heiratet man auch die Mischpoke mit.

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