CDU-Basis rebelliert gegen ihre Führung - „Ein Flop folgt auf den nächsten“

In der CDU brodelt es. Dass der Parteivorstand Armin Laschet als Kanzlerkandidat nominiert hat, obwohl Markus Söder in Umfragen vorne lag, hat weite Teile der Basis nachhaltig verstimmt. Im Interview erklärt der Stuttgarter Christdemokrat Hendrik Wolff, woher das Unbehagen eigentlich rührt und wie die Partei ihren Markenkern retten kann.

Kein Kandidat der Herzen: Armin Laschet / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Hendrik Wolff ist Unternehmensberater und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bezirksgruppe Stuttgart-Sillenbuch. Er ist vor 40 Jahren in die Junge Union eingetreten. 

Herr Wolff, seit sich der Bundesvorstand der CDU für Armin Laschet als Kanzlerkandidat ausgesprochen hat, rumort es an der Basis. Ein niedersächsischer Landtagsabgeordneter, der namentlich nicht genannt werden will, sagt, der Vorstand habe die Basis „vergewaltigt“. Würden Sie das auch so formulieren?

Nein, so würde ich es nicht formulieren. Aber was der Vorstand entschieden hat, ist weit davon entfernt, was an der Basis gedacht und gesprochen wird. Und es zeigt eine gewisse Abgehobenheit des Funktionärsapparats.

Es waren Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier, die sich im Vorstand für Laschet stark gemacht hatten. Wie wäre das Ergebnis ausgefallen, wenn man den Vorschlag eines CDU-Abgeordneten aufgegriffen und das Votum der Kreisverbände eingeholt hätte?

Es kommt darauf an, wer für den Kreisverband spricht. Die Vorsitzenden der Kreisverbände sind zu einem großen Teil auch Landtags- oder Bundestagsabgeordnete, aber ich glaube, schon da hätte es eine Mehrheit für Söder gegeben. Bei den Mitgliedern wäre die Abstimmung noch deutlicher für ihn ausgefallen.

Warum?

Vor allem die Mitglieder merken, dass die CDU nach 16 Jahren mit Angela Merkel als Kanzlerin einen Neustart braucht. Wir müssen mit anderen Themen und anderen Personen in den Wahlkampf gehen.

Aber Armin Laschet ist ja nicht Angela Merkel.

Ja, aber vom Stil und von den Aussagen her knüpft er doch stark an das Bisherige an.

Wie sieht die Stimmung bei Ihnen im Kreisverband aus. War die Mehrheit für Söder?

Ja, und deshalb ist es für die Mitglieder schwer nachzuvollziehen, weil es schon die dritte Entscheidung innerhalb von zwei Jahren ist, die gegen die Mehrheit der Basis getroffen wird.

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Lassen Sie mich raten. Die Basis wollte davor lieber Friedrich Merz?

Genau. Als 2018 Annegret Kramp-Karrenbauer als neue Parteivorsitzende gewählt worden ist, hatte der Kreisverband Stuttgart ein Stimmungsbild erhoben: Da waren 72 Prozent für Friedrich Merz. Die Mehrzahl der Stuttgarter Delegierten stimmten allerdings für Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Frust an der Basis war groß. Es hieß: „Unsere Funktionäre nehmen uns gar nicht ernst.“

Und dann wollte die Basis Laschet weder als Parteivorsitzenden noch als Kanzlerkandidat?

Genau, man hatte den Eindruck, die Basis kann fordern, was sie will. Vorstände oder Delegierte stimmen nach eigener Wahrnehmung ab.

Was muss passieren, damit die Basis mehr Gehör findet?

Wir haben als Weckruf einen Katalog mit 15 Punkten verfasst. Der Tenor ist, dass man aus einer Funktionärspartei eine Mitglieder- und Mitmachpartei macht, die die Stimmung an der Basis immer wieder abfragt. Vor Bundesparteitagen müssen die Delegierten Abstimmungen in ihren Wahlkreisen machen.

Hendrik Wolff / privat 

Als Helmut Kohl noch Kanzler war, war das üblich. Er hat regelmäßig die Kreisverbandsvorsitzenden angerufen. Warum passiert das heute nicht mehr?

Wir beobachten schon seit einiger Zeit, dass sich die Führungsriege ziemlich abgeschottet hat. Das sieht man auch an der Bundesregierung. Es gibt kaum noch Mitglieder, die eine konträre Einstellung vertreten. Sie leben in einer Welt, die mit der Welt der CDU-Mitglieder gar nichts mehr zu tun hat. In kleiner Runde geben sie zu, dass einige CDU-Minister in der Bundesregierung wie Peter Altmaier und Anja Karliczek eine Fehlbesetzung sind und dass in der Großen Koalition kaum noch etwas funktioniert. Aber in der Fraktionssitzung verstummen die Stimmen.

Was schließen Sie daraus?

Die Kollegen haben Angst. Da sitzen 250 Mitglieder unter einer strengen Führung. Kaum jemand traut sich, auch mal was anderes zu artikulieren. Es wird wenig interaktiv kommuniziert – mehr von oben nach unten.

Weil die Partei so hierarchisch organisiert ist?

Genau, das ist der große Nachteil, den wir gegenüber den Grünen haben. In Stuttgart haben wir vom Ortsverband bis zum Bundesverband fünf Hierarchie-Ebenen. Ortsverband, Kreisverband, Bezirksverband, Landesverband, Bundesverband. Das heißt, viele unserer Funktionäre sind vor allem damit beschäftigt, bei Parteitagen wieder Delegierte für die nächst höhere Ebene zu wählen.

Aber woher kommt die Angst, von der Sie sprechen?

Diese Angst hat sich beschleunigt mit den Wahlkampf-Kampagnen, die auf diese asymmetrische Demobilisierung abgehoben haben. Es hieß, ja keinen falschen Ton anschlagen. Es stört viele an der Basis, dass wir uns ständig Sprüche anhören müssen wie #wegenmorgen oder #zusammenhalten. Das ist doch nicht typisch CDU. Das können sich alle auf die Fahnen schreiben, von der AfD bis zur Linkspartei.

Die  CDU hat ihren eigenen Markenkern beschädigt?

So ist es. Man weiß nicht mehr, wofür sie steht. Man versucht, alles zu vermeiden, was nach Aussage klingt oder womit man einen Wähler verärgern könnte.

Laschet wäre als Parteivorsitzender schwer beschädigt worden, wenn er nicht Kanzlerkandidat geworden wäre. Auch die CDU hätte nicht gut da gestanden. Um das Renommee der Partei nicht noch stärker zu beschädigen, hat der Bundesvorstand seine Kanzlerkandidatur bestätigt. Ist das der Preis, den die Parteiräson fordert?

Man kann es auch anders formulieren. Herr Laschet wurde erst im Januar gewählt. Er musste eine Chance bekommen. Dabei hat er aber schon in den ersten Wochen einen kompletten Fehlstart hingelegt.

Warum?

Er war in den Wahlkämpfen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz so gut wie gar nicht präsent. Als die Wahlen dann danebengingen, ist er wieder abgetaucht. Also, er hat den frustrierten Mitgliedern auch gar keine Führung angeboten. In schwierigen Zeiten brauchen wir aber jemanden, der voranmarschiert.

Verbreitet er als Kanzlerkandidat keine Aufbruchstimmung?

Nein, nachdem er nominiert wurde, ist wieder nichts passiert. Es kommt nichts Motivierendes an der Basis an. Die Basis ist mittlerweile an einem Punkt, wo die Appelle für Geschlossenheit nicht mehr ankommen. Ich bin seit 40 Jahren in der Partei aktiv und kenne viele Jüngere, die können mit diesen Appellen für Geschlossenheit nichts anfangen. Die sagen, wir sind loyal, aber wenn die Leistung grottenschlecht ist, können wir auch nicht jahrelang schweigen. Hauptsache, die Partei steht geschlossen da. Viele sind total traurig. Man kann das vergleichen mit den Fans von Schalke 04. Man denkt zurück an glorreiche Zeiten. Aber die Gegenwart ist ernüchternd. Ein Flop folgt auf den nächsten.

Die CDU in Baden-Württemberg wurde von den Grünen erfolgreich kleinregiert. Bei der letzten Landtagswahl ist sie nur noch auf 24,1 Prozent der Stimmen gekommen. Sollten Sie sich nicht erstmal an die eigene Nase fassen und fragen, warum die CDU im Ländle so abgestürzt ist, bevor Sie Stimmung gegen Armin Laschet machen?

Natürlich müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Die Landes-CDU hat in Baden-Württemberg Riesenfehler gemacht. Wir haben jahrelang an Personen festgehalten, die eine Niederlage nach der nächsten erlitten haben. 

Wen meinen Sie damit?

Unseren Landesvorsitzenden Thomas Strobl ...

... der pikanterweise der Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble ist.

Genau. Seit 2011 ist er Vorsitzender. Seither ist die Partei von 39 Prozent auf 24 Prozent runtergefallen. Jetzt ist er wieder stellvertretender Ministerpräsident. Wir finden, er könnte sich ein Vorbild an Susanne Eisenmann nehmen und die Verantwortung für das Scheitern der CDU übernehmen und sagen: „Ich stehe für Posten in der Regierung nicht mehr zur Verfügung.“

Aber auch Sie gehören ja zur CDU. Warum haben Sie das nicht vor der Wahl thematisiert?

Konflikte werden in der CDU gemieden. Wahlgremien werden so gelegt, dass sie knapp vor Wahlen sind, wo man dann niemanden brüskieren möchte.

Sind Sie konfliktscheu?

Ja, ich habe viel zu lange geschwiegen. Deswegen habe ich ja jetzt mit anderen zusammen diesen Weckruf verfasst. Der Zustand der CDU ist einfach sehr, sehr schwierig. Die Suche nach der Nachfolge von Frau Merkel ist ein komplettes Desaster. 

Ihr Weckruf ist ein Offenbarungseid. Eine veraltete Kommunikation, eine intransparenten Personalauswahl aus Klüngel, fehlendem Teamwork, inkompetenten Mitarbeitern. Herr Wolff, wer soll die CDU danach noch wählen?

Ich habe das nicht allein geschrieben. Wir sind eine Bezirksgruppe mit 200 Mitgliedern. Unsere zehn Vorstandsmitglieder haben das gemeinsam erarbeitet und mit den Mitgliedern abgestimmt. Das ist eine Analyse des Ist-Zustands. Vielen an der Basis geht es wie ihnen: Sie haben auch keine Lust mehr, CDU zu wählen.

Ihre eigenen Leute orientieren sich um?

Ja, das haben wir bei dieser Landtagswahl zum ersten Mal gemerkt.

Wie schwer ist es für Sie, Mitglieder für den Wahlkampf für einen Spitzenkandidaten zu mobilisieren, den kaum einer will?

Das ist extrem schwierig. Wir wissen noch nicht, wie wir das hinbekommen sollen. Und ich glaube, die Parteiführung weiß es auch noch nicht. Im Moment ist die Stimmung in etwa so: Es wird alles besser, wenn die Impfkampagne Erfolg hat und es ein paar Lockerungen gibt. Aber in meinen Augen ist das zu kurz gesprungen. Die Leute werden nicht mit Begeisterung die CDU wählen, nur weil sie geimpft sind. Die CDU sollte Peter Altmaier noch vor der Bundestagswahl durch Friedrich Merz, Carsten Linnemann oder eine Unternehmerpersönlichkeit ersetzen, gerne auch eine Frau. Die Partei muss sich neu erfinden. Sie muss sich fragen: Was ist ihr Markenkern? Und was ist die Strategie?

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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