Sicherheitspolitische Unbedarftheit - Ein Kanzler, der Lambrecht zur Verteidigungsministerin machte

Der Ruf nach mehr Sicherheitspolitik in Deutschland ist zu einem Dogma geworden. Doch wie soll ein Zeitenwende-Kanzler hier glaubwürdig sein, der sein Desinteresse an der Bundeswehr noch 2021 mit der Personalie Christine Lambrecht bewies?

Bundeskanzler Olaf Scholz und Christine Lambrecht (2.v.r.) / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Die Schlussfolgerung aus solchen Runden wie gestern Abend bei Caren Miosga ist immer dieselbe, sofern es um im weiteren Sinne kriegerische beziehungsweise sicherheitspolitische Themen geht. Angesichts der bedrohlichen Ereignisse in der Ukraine, im Nahen Osten und angesichts des abnehmenden globalen Ordnungswiederherstellungswillens und -könnens der USA und zunehmender Ambitionen Chinas, Russlands und anderer nicht-westlicher Mächte müsse Deutschland mehr „Verantwortung“ für seine eigene Sicherheit und die Europas übernehmen.  

Spätestens seit der „Zeitenwende“-Ankündigung des Bundeskanzlers ist das auch innerhalb des politischen Establishments zu einer Art Dogma geworden, das bei jeder Gelegenheit wiederholt wird. Oder besser: Es ist ein Pseudo-Dogma. Denn ihm stehen eben kaum glaubwürdige Taten in der harten Wirklichkeit der Bundeswehr gegenüber. Die Zeitenwende findet womöglich nur in Worten statt. Noch wichtiger aber sind die Defizite der politischen Kultur und Mentalität – sowohl im politisch-medialen Establishment als auch in der breiten Bevölkerung. Ein Wort wie Pistorius‘ „Kriegstauglichkeit“ klingt im real existierenden Ampel-Deutschland wie eine anachronistische Farce.  

Wie Scholz den Kriegsdienst verweigerte

Wenn diese Bundesregierung eines nicht ausstrahlt, dann ist es so etwas wie Wehrwillen. Auch den ersten und obersten Propheten der Zeitenwende, nämlich den Kanzler, sollte man nicht nach seinen Worten, sondern gemäß Jesu Ratschlag nach „seinen Früchten“ beurteilen. Dass Scholz in jungen Jahren, als es darum gegangen wäre, ganz persönlich ein paar eigene Lebensmonate zur Bundeswehr beizutragen, dies nicht tat, muss man ihm vielleicht heute, vier Jahrzehnte später nicht mehr vorwerfen. Aber man kann durchaus seine Schlüsse daraus ziehen, wenn der Kanzler noch vor kurzem schmunzelnd in einem Funk-Podcast berichtet, wie er den Kriegsdienst verweigerte. 

Neben den Kriegserfahrungen seiner Eltern und seiner Bewunderung für Martin Luther King hat er in der Begründung auch behauptet, er habe alle Bücher von Karl May gelesen, und die jeweiligen Helden hätten niemals jemanden getötet. Das habe ihn moralisch sehr geprägt. „Irgendwie“, sagte er in dem Interview, „bin ich mit dem Witz durchgekommen“. Diesen Verweigerungswitz erzählte er übrigens nach seiner „Zeitenwende“-Rede, in der er von der „Entschlossenheit“ spricht, „jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes zu verteidigen“. Wie ernst kann man also den verkündeten Willen zur Kriegstauglichkeit nehmen, wenn der Mann, der im Kriegsfall der Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte wäre, heute noch so unernst über das eigene Nicht-Soldat-Sein-Wollen redet? 

Viel wichtiger aber: Scholz hat durch eine politische Tat bewiesen, dass ihm die Kriegstauglichkeit der deutschen Streitkräfte – und damit offenkundig Sicherheitspolitik generell – weitestgehend wurscht ist. Nämlich indem er als eine seiner ersten wichtigen Amtshandlungen seine Parteifreundin Christine Lambrecht zur Verteidigungsministerin machte, die er dann erst nach kommunikativen Desastern auswechselte. Dass Lambrecht buchstäblich nicht die geringste Ahnung vom Militär hatte, kann selbst dem verteidigungspolitisch unerfahrenen Scholz nicht unbekannt gewesen sein. Er hielt es ganz offensichtlich für egal, dass die Bundeswehr von einer Ahnungslosen geführt wurde. 

Die Relevanz anderer Themen

Scholz war übrigens in dieser (wie in vielerlei anderer) Hinsicht ein gelehriger Schüler seiner Vorgängerin Angela Merkel. Auch sie hatte mit der Berufung von Ursula von der Leyen und dann von Annegret Kramp-Karrenbauer überdeutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihr die Kriegstauglichkeit der Bundeswehr völlig egal war. Dass aber auch fast allen anderen politisch Mächtigen in Deutschland das Schicksal der deutschen Streitkräfte und damit die Möglichkeit Deutschlands, eine einigermaßen ernsthafte sicherheitspolitische Rolle zu übernehmen, überhaupt nicht als politisch relevant galt, bewies dann der phänomenale Aufstieg ausgerechnet von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin – nach dem Willen Emmanuel Macrons und Merkels. Die Bundeswehr verkommen zu lassen, qualifizierte von der Leyen offenbar für das höchste Amt der EU.
 

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Auch unfähige oder unwillige Politiker und diejenigen, die sie auf ihre Ministerposten befördern, haben – davon sollte man bei allen Politikern ausgehen – nachvollziehbare Motive. Die sind von zweierlei Art. Wobei das erste bei allen gleich sein dürfte, denn, wie Max Weber so schön knapp feststellte: „Politik ist Kampf um und Benutzung von Macht.“ An die Macht kommen und sie behalten, das will jeder Politiker. Unterschiedlich sind nur die Motive zur Benutzung von Macht, also was man eigentlich erreichen, verändern oder bewahren will. Es soll auch Politiker geben, deren Motiv der Machtnutzung sich ganz in der Bewahrung und Mehrung von Macht erschöpft. Scholz und Merkel könnten zu diesen gehören. 

Jedenfalls beweisen die Verteidigungsministerinnenkarrieren von der Leyens, Kramp-Karrenbauers und Lambrechts, dass es in dieser Epoche nicht von Relevanz war, eine vernünftige, an „Kriegstauglichkeit“ und sicherheitspolitischen Erwägungen orientierte Verteidigungspolitik zu machen. Nicht für die Karrieren der Politiker und nicht für die Wahlentscheidungen der Masse der Bürger. Wenn sich letzteres ändert, dürfte sich vielleicht auch ersteres ändern. Aber da das Interesse der meisten Bürger und wohl auch ihre Kompetenz in militärischen und außen- wie sicherheitspolitischen Fragen wohl trotz Ukrainekriegs immer noch gering ist, und die Relevanz anderer Themen für die meisten unmittelbarer und pressierender, ist das eine vage Aussicht. Die Popularität von Boris Pistorius, des ersten Verteidigungsministers seit über einem Jahrzehnt, dem man ein echtes Interesse an seinem Ressort unterstellen kann, ist aber ein Indiz dafür, dass sich hier wirklich etwas verändert.

Aufbauschung eines Schmalspurstudiums

Die Motivlage der Politiker ist vermutlich eine Funktion des Interesses der Bevölkerung oder jedenfalls gesellschaftlich dominierender Milieus. Der erst unter dem Eindruck des Ukrainekrieges notdürftig korrigierte sicherheitspolitische Unernst des Kanzler und seiner Bundesregierung hat dessen Wahlerfolg 2021 nicht merklich gebremst –  und gehört wohl auch heute noch zu den geringeren Vorwürfen, die enttäuschte Ex-Ampel-Wähler ihr machen. Auch eine Außenministerin, die mit der Aufbauschung eines Schmalspurstudiums („komme aus dem Völkerrecht“) und einem plagiierten Plattheitenbuch ihre Unbedarftheit und Nichtqualifikation belegte, bringt die Ampel noch verhältnismäßig wenig in die Bredouille.

Die eingangs genannten Aufrufe zu mehr sicherheitspolitischer Verantwortung werden oft garniert durch die bescheuerte Phrase, Deutschland müsse außenpolitisch „erwachsen“ werden. Diejenigen, die so reden, zeigen aber nicht ihre analytische Reife, sondern sie belegen dadurch nur, wie verkorkst die (außen- und sicherheits)politische Kultur hierzulande ist. Denn die Metapher ist in einem Land mit rund 1000-jähriger Geschichte und einer alternden Bevölkerung offenkundig abwegig.  

„Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen“

Deutschland ist eben nicht, wie ein Kind, einfach unreif. Es will sicherheitspolitisch unbedarft sein. Das heute politische dominierende Milieu hat nach dem Zivilisationsbruch der Nazi-Verbrechen die Maxime „Nie wieder Täter!“ als obersten Handlungsgrundsatz (der Sicherheitspolitik) verinnerlicht und auf eine mittlerweile zum Teil verhängnisvolle Weise verabsolutiert. Das Ergebnis war, dass sich die Deutschen auch nach der Wiedervereinigung aktive Sicherheitspolitik weitestgehend selbst verboten und sich dazu auserkoren sahen, nur humanitär zu handeln – in jüngerer Zeit vor allem als passives Aufnahmeland für Einwanderer aus jenen Regionen, in denen andere Akteure aktiv handeln.  

Dazu gehörte für viele – auch Politiker – eine Art moralisches Gebot, sich nicht für ihre eigenen Streitkräfte zu interessieren. Mindestens! Die heute dominierenden gesellschaftlichen Milieus, und wohl vor allem die meisten Anhänger der Grünen, begegnen der Bundeswehr sogar mit einer Art von moralischem Ekel, den Grünenpolitiker wie Anton Hofreiter nun erst seit dem Ukrainekrieg mühsam zu überwinden trachten. Doch noch immer reißen sich Ampelpolitiker nicht darum, Manöver oder Gelöbnisse zu besuchen. 

In einem Staat, der das Recht auf „Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen“ als Grundrecht in seiner Verfassung hat und dieses auch zu Zeiten durchaus vorhandener äußerer Bedrohung jahrzehntelang großzügig gewährte, und dessen Bildungseinrichtungen seit vielen Jahrzehnten diesen Ekel kultivieren, etwa indem Universitäten die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ablehnen und Schulen Jugendoffiziere nicht einlassen, kann das eigentlich niemanden überraschen.

 

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