Bundesverfassungsgericht zu Wahlen in Berlin - Mildernde Umstände für die Pannenwahl

Das Urteil zur Teil-Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin wird keine akuten politischen Folgen haben. Nur die Ampel ist noch ein bißchen blamierter als ohnehin schon.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts: Peter Müller, Vizepräsidentin Doris König und Sibylle Kessal-Wulf / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

So erreichen Sie Ferdinand Knauß:

Anzeige

In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Urteil über die Wiederholung der Bundestagswahl in mehreren Hundert Berliner Wahlbezirken steht ein seltsamer, scheinbar deplatzierter Satz. Ein Satz, der eigentlich nichts mit dem Thema der Meldung zu tun hat. Der aber wohl kaum auf einem Versehen der Pressestelle in Karlsruhe beruht, sondern bewusst eingebaut wurde, weil er eine subtile Bedeutung trägt. 

Der Satz lautet: „Am Wahltag fand auch der Berlin-Marathon statt.“ Mehr steht da nicht über dieses Ereignis. Weil der Satz da aber so steht unter der Überschrift „Sachverhalt“, muss der Leser einen Sinnzusammenhang annehmen. Das Gericht legt also zumindest indirekt die Interpretation nahe, die auch in vielen Berichten über die Pannenwahl vom 26. September eine Hauptrolle spielte: Die Berliner Wahlleitung war überfordert, weil gleichzeitig in der Stadt eine Sport-Großveranstaltung stattfand. Der Satz in der Pressemitteilung soll also wohl eine Art mildernden Umstand geltend machen.

Dass die Richter das für nötig halten, kann man eigentlich nur peinlich berührt und mit Sarkasmus aufnehmen. Am Tag der Wiederholung der Bundestagswahl in 455 Wahlbezirken und den zugehörigen Briefwahlbezirken, dem 11. Februar 2024, wird jedenfalls mit absoluter Sicherheit kein Marathonlauf den Beamten und Helfern der Landeswahlleitung  in die Quere kommen. Womöglich lässt es sich ja einrichten, dass das geplante Heimspiel des Fußball-Bundesligisten Union Berlin am Samstag vor der Wahl und nicht am Sonntag stattfindet. 

 

Mehr zum Thema:

 

Apropos peinlich: Auch die Ampelparteien im Bundestag haben sich blamiert bei der Korrektur der fehlerhaften Wahl. Der Bundestag habe das Wahlgeschehen „unzureichend aufgeklärt, da er auf die gebotene Beiziehung und Auswertung der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet hat“, stellt das Bundesverfassungsgericht fest und korrigiert in seinem heutigen Urteil den Beschluss der Ampel-Parteien, die die Wahl nur in 327 der 2256 Berliner Wahlbezirke (sowie 104 der 1507 Briefwahlbezirke) wiederholen wollten (statt in den gesamten sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Wahlkreisen). Die CDU/CSU-Fraktion hatte dagegen in Karlsruhe geklagt und jetzt teilweise Recht bekommen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte nun die Wahl in zusätzlichen 31 Wahlbezirken für ungültig. Der Beschluss der Ampel-Parteien sei aber „materiell im Ergebnis überwiegend rechtmäßig“.  

Die großen Sieger des Tages sind vor allem die Abgeordneten der Partei Die Linke beziehungsweise die aus ihr mittlerweile ausgetretenen Abgeordneten um Sahra Wagenknecht. Sie waren damals nur wegen drei Direktmandaten in kompletter Stärke ins Parlament eingezogen. Zwei der drei Direktmandate betreffen Berlin. Es ist aber praktisch so gut wie unmöglich, dass diese nun verloren gehen, wenn nur rund ein Fünftel der Berliner Wahlberechtigten neu wählen darf. 

Nachgeschmack der Verunsicherung

Es bleibt nach diesem Urteil neben viel Peinlichkeit auch ein Nachgeschmack der Verunsicherung. Warum wurde die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die gleichzeitig, in denselben Wahllokalen, von denselben Organisatoren und mit ähnlichen, teilweise identischen Fehlern und Pannen verbockt wurde, komplett wiederholt (mit der Folge eines Regierungswechsels!), während die Bundestagswahl nur zu etwa einem Fünftel wiederholt wird? Gibt es da wirklich so entscheidende Unterschiede in der Schwere der Pannen, die den fundamentalen Unterschied zwischen den Urteilen des Berliner Verfassungsgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen? 

Diesen Unterschied erklärt die Vorsitzende Richterin Doris König laut dpa mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der Konstituierung verschiedener Parlamente. Bei der Berliner Landeswahl seien Wahlfehler wie die Verwendung kopierter Stimmzettel aufgetreten, die bei der Bundestagswahl nicht feststellbar gewesen seien. Juristen mit wahlrechtlicher Fachexpertise mag das möglicherweise zufriedenstellen. 

Anzeige