Verfassungswidrige Vorgaben - Bundespräsidentenwahl: So wird das nichts 

In zwei Wochen soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wiedergewählt werden. Doch die strikten Coronatest-Regeln, die sich Parlamentschefin Bärbel Bas für die Bundesversammlung ausgedacht hat, gefährden das gesamte Prozedere. Verfassungsklagen sind zu erwarten.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) plant strenge Corona-Regeln für die Bundespräsidentenwahl / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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„Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden.“ Artikel 54 Abs. 3 Grundgesetz

Seit Freitagabend sickern nach und nach und erst auf Anfrage die Regeln und Bedingungen durch, nach denen gemäß den Entscheidungen von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in 14 Tagen die Wiederwahl von Frank-Walter Steinmeier stattfinden soll. Die Vorgaben lassen nur einen Schluss zu: Die 17. Bundesversammlung wird nach menschlichem Ermessen scheitern. So, wie die SPD-Politikerin im zweithöchsten Staatsamt sich das vorstellt, kann das am 13. Februar nicht einmal unter günstigen Bedingungen und mit viel Glück funktionieren. Vielmehr liegen Verfassungsklagen bereits in der Luft.

Bereits der Ausschluss eines einzigen Mitglieds von insgesamt 1.472 aus Bundestag und Landesparlamenten wegen eines positiven Corona-Tests würde den gesamten Wahlvorgang angreifbar machen, weil der Delegierte ohne auch nur annähernd erkennbare gesetzliche Grundlage von seinem Wahlrecht und auch von seinem Wahlvorschlagsrecht in späteren Wahlgängen abgeschnitten würde.

Desaster mit Ansage 

In praktischer und in verfassungsrechtlicher Hinsicht ist das von der Präsidentin des Deutschen Bundestages vorgesehene Prozedere abenteuerlich und ein schlechter Witz, von seiner Signalwirkung im Hinblick auf den Wert von Impfungen zu schweigen. Bleibt es dabei, bekommt die Präsidentin nicht ganz schnell noch irgendwie die Kurve, dann wäre Steinmeier am Ende vielleicht mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Seine Wahl wäre aber nach Lage der Dinge unter grundgesetzwidrigen Umständen zustande gekommen und damit als ungültig zu betrachten. Es wäre ein Desaster mit Ansage.        

Alleine ein schlagartiges Ende der Omikron-Infektionswelle, rechtzeitig vor dem Massenauflauf im Paul-Löbe-Haus, das als Ersatz-Plenarsaal dienen soll, könnte das Vorhaben noch retten. Und selbst das setzte voraus, dass die vorgesehenen Massentests dieses Ende auch halbwegs zuverlässig signalisieren mittels durchgehender Negativ-Ergebnisse, die dann hoffentlich auch zutreffend sind, was bekanntlich ebenfalls nicht gewährleistet ist, aber hier dann keine Rolle spielen würde.     

Impfstatus plötzlich egal

Aus bislang nicht kommunizierten Gründen hat Bärbel Bas das gegenwärtig von ihr für den Bundestag verfügte 2G-Plus-Modell für die Bundesversammlung verworfen, nach dem Geimpfte und Genesene Zugang haben und Ungeimpfte auf die Tribüne müssen. Am 13. Februar soll der Impfstatus demgegenüber keine Rolle mehr spielen. Zugang erhält nur, wer sich unmittelbar zuvor – frühestens ab 12. Februar, 15 Uhr – auf der Wiese vor dem Reichstag in einem eigens aufzubauenden Testzentrum mit 14 Teststrecken hat testen lassen und als unbedenklich erkannt wurde, was – ebenfalls zwingend – auf seinem Smartphone per QR-Code in der Corona-Warn-App vermerkt werden soll. Nur so glaubt man, alle anschließenden Zugangskontrollen in halbwegs angemessener Zeit absolvieren zu können. 

Laut Bundestagsverwaltung wird das Sondertestzentrum eine Kapazität von bis zu 650 Tests pro Stunde aufweisen. Dieses Verfahren gilt wohlgemerkt nicht nur für Gäste, Journalisten, Techniker und Personal, sondern auch für ausnahmslos alle Delegierten. Wer sich nicht testen lassen will oder wessen Test eine Infektion anzeigt, dem will Frau Bas den Zugang zur Bundesversammlung verweigern. Der Eklat wird spätestens Sonntagvormittag nicht lange auf sich warten lassen.

Alternative für Infizierte oder Testverweigerer nicht vorgesehen

Eine Alternativmöglichkeit zur Stimmabgabe für angeblich oder tatsächlich Infizierte und Testverweigerer, das Wahlrecht auszuüben, etwa in Form einer Holzhütte mit Wahlurne in sicherer Entfernung unter den Bäumen des Tiergartens, ist nicht vorgesehen. Da aber – so das Ausführungsgesetz zur Wahl des Bundespräsidenten – jedes Mitglied der Bundesversammlung auch noch im zweiten oder dritten Wahlgang Wahlvorschläge beim Präsidenten des Bundestages einreichen kann, wäre selbst eine Separation der von der Versammlung  ausgeschlossenen Mitglieder an einem Ort, an dem sie niemanden anstecken können, keine denkbare Notlösung. 

Die gesamte Regelung ist derart offensichtlich nicht verfassungskonform, dass die Frage naheliegt, von wem sich die SPD-Politikerin hier hat beraten lassen oder ob sie beratungsresistent ist. Immerhin hat sie die Gefahr des Ausfalls einer größeren Anzahl von Delegierten erkannt. Vorzubeugen glaubt sie mit dem Institut des „Ersatzdelegierten“. Hier wird ihr Erlass aber endgültig abenteuerlich: Für jedes Mitglied der Bundesversammlung, das wegen positiven oder fehlenden Testergebnisses unverrichteter Dinge heimgeschickt wird, soll eine Ersatzperson einspringen. Mindestens 99 von ihnen, so verlautet aus der Bundestagsverwaltung, seien vorsorglich von den Landtagen nominiert worden und stünden am Tag der Wahl vor Ort bereit, etwaige infektionsbedingte Lücken zu schliessen, um die gesetzliche Zahl der Mitglieder zu gewährleisten. 

„Ersatzdelegierte“ – Fiktion ohne Grundlage 

„Ersatzdelegierte“ zur Bundesversammlung sind eine originale Erfindung von Bärbel Bas. Sie finden in keinem Gesetz eine Grundlage, erst recht nicht in der Verfassung. Und selbst, wenn es anders wäre, liesse sich kein von der Bundesversammlung ausgeschlossenes Mitglied des Bundestages von einem Ländervertreter ersetzen, zumal die Wahl selbstverständlich geheim ist (und hoffentlich auch bleiben wird) und der ursprüngliche Delegierte nicht den geringsten Einfluss darauf haben kann, wie sein Ersatzmann oder seine Ersatzfrau – mit denen er oder sie selbstverständlich keinen Kontakt wird aufnehmen dürfen, dessen Namen er womöglich nicht einmal erfahren wird – dann drinnen im Paul-Löbe-Haus zu votieren gedenkt. Imperatives Mandat ist ohnehin auch hier nicht vorgesehen. Jeder „Ersatzdelegierte“ könnte sich genauso frei und geheim entscheiden wie jedes andere Mitglied der Versammlung und wäre spätestens in der Wahlkabine mit sich allein an keinerlei Vorgaben gebunden. 

Doch selbst wenn man Verfassung und Gesetze samt absurder Details der Bas’schen Verfügung komplett außer Acht ließe: Je nach Aussagekraft der vom Bundestag vorgesehenen Testmethode, zu der er noch keine Angaben gemacht hat, wäre das Ersatzdelegierten-Verfahren bereits statistisch angesichts der aktuellen Entwicklung höchstwahrscheinlich schon nach kurzer Zeit an sein Ende gekommen und die Bundesversammlung geplatzt. 

100 Ausfälle sind schnell zusammen

Schließlich steht der Wahlort mitten im Gebiet mit der höchsten Inzidenz des ganzen Landes: Stand jetzt 1.127, Tendenz weiter steigend. Nur zur Erinnerung: Es ist noch nicht lange her, da war es ab einer Inzidenz von 35 auch in der Hauptstadt bei Strafe verboten, zu zweit auf einer Parkbank zu sitzen. 100 Ausfälle sind da am übernächsten Sonntag, je nach Sensitivität des Tests, im Nu zusammen. Und dann? Will man in höchster Not auf Fake-Tests ausweichen? Doch wohl eher nicht.

Der ganze Plan geht offensichtlich von der Vorstellung aus, es komme dank der Wahlzusagen von SPD, FDP, Grünen, CDU und CSU zugunsten Steinmeiers im einzelnen gar nicht mehr darauf an, wer da am Ende nach Überwindung aller Kontrollen wie wählt – es werde schon irgendwie gut gehen, und zwar zugunsten des Amtsinhabers, weil seine beiden Gegenkandidaten von Linke und AfD nicht einmal Außenseiterchancen haben werden. 

Wenn es nun im Spiegel heißt, insgesamt werde auch „bei zahlreichen Ausfällen“ die Beschlussfähigkeit der Bundesversammlung „kaum berührt werden“, sei sie doch „gewährleistet, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sind“, dann ist das, freundlich formuliert, dummes Zeug, denn unfreiwillige Abwesenheit wird von dieser Klausel selbstverständlich nicht erfasst, will man nicht ausgerechnet bei diesem „feierlichen Ereignis“ (Tagesspiegel) Delegierte zwangsweise zu Kranken erklären und damit vollends ins bananenrepublikanische abdriften. 

Journalisten wird der Kontakt komplett verwehrt

Zwei Wochen vor dem Ereignis heisst das in der Gesamtschau: Die neue Präsidentin des Deutschen Bundestages, die – anders als etwa der Kanzler oder seine Innenministerin – bisher immerhin nicht negativ aufgefallen ist und keinen überforderten Eindruck machte, schickt sich an, ihr Gesellenstück gründlicher zu vermurksen, als das jemals einer Vorgängerin, einem Vorgänger in ihrem Amt gelungen ist. Da stimmt einfach nichts. Das kann unmöglich so bleiben. 

Journalisten soll der Zugang zur Bundesversammlung komplett verwehrt bleiben, geimpft, getestet – egal. Die nach entsprechendem Testergebnis geduldeten Delegierten sollen auf fünf Stockwerke verteilt und von einander separiert werden – ohne Gelegenheit, untereinander zu sprechen oder gar mit Pressevertretern. Diese sollen im benachbarten Reichstagsgebäude abgesondert und auf Videoübertragung verwiesen werden – und selbst das nur „in stark begrenzter Zahl“ (Pressereferat), also handverlesen, angeblich chronologisch nach Eingang des Akkreditierungsantrags, damit unüberprüfbar. 

Gruppendynamische Prozesse, die schon vielen Bundesversammlungen einen unerwarteten Drive verliehen und überraschende Ergebnisse erzeugt haben, werden mittels einer nie dagewesenen Kleingruppen-Käfighaltung mit fest zugewiesenen Sitzplätzen in vorgeschriebenen Räumen auf vorgeschriebenen Etagen unterbunden. Ein No Go in einer parlamentarischen Demokratie, denn die lebt vom Gespräch [parler (frz.): reden].  

Organklage liegt bereits in der Luft

Wenn die gesetzlich vorgesehenen Mitglieder der Bundesversammlung sich das gefallen lassen, sind sie selbst schuld. Das gleiche gilt im übrigen für die Medienvertreter, die freilich dann vor dem Problem stehen, für jeden auch nur zaghaften Protest ihre selbstgewählte Vorbildrolle in Frage stellen und ihre Distanzlosigkeit gegenüber noch absurdesten staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen überdenken und revidieren zu müssen. 

Dass der Deutsche Bundestag ausgerechnet die – wegen seiner gesetzeswidrigen Aufblähung mit mehr Mitgliedern als je zuvor – größte jemals hier gesehene parlamentarische Versammlung nutzen will, um die von ihm selbst geschaffene Bedeutung des Impfstatus mal eben kommentarlos in die Tonne zu treten und plötzlich alleine auf mehr oder weniger unzuverlässige Tests vertrauen will, vollendet das desaströse Bild. Der blanken Angst der Präsidentin, aus dem Ereignis einen Superspreader-Event zu machen, hatten sich alle anderen Aspekte unterzuordnen. 

Eines immerhin passt in dieses Bild bestens: Frank-Walter Steinmeier bekommt schon von den äußeren Umständen her die Wiederwahl, die er verdient. Wenn wenigstens er die Gefahr der Verfassungswidrigkeit ihres Zustandekommens erkennen sollte, wird es allerhöchste Zeit für ihn und sein Präsidialamt, energisch zu intervenieren. Darauf zu vertrauen, dass Karlsruhe wirklich alles durchwinken wird, etwa nach einer Organklage der AfD, solange es nur einem rot-grünen Zeitgeist entspricht und das Ergebnis stimmt, wäre leichtsinnig. Selbst unsere Demokratie ist – anders, als führende Sozialdemokraten zu glauben scheinen – nicht unzerstörbar.  

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