Bundesparteitag - Die FDP lässt die Muskeln spielen

Auf ihrem Parteitag am Wochenende wollen die Liberalen ihr Konzept zur „Wirtschaftswende“ bekräftigen, das gerne mit dem Lambsdorff-Papier von 1982 verglichen wird. Lambsdorffs Vorschläge zeigten tatsächlich Wirkung – allerdings erst 20 Jahre später bei Gerhard Schröder.

FDP-Chef Christian Lindner / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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An diesem Wochenende lässt die FDP die Muskeln spielen. Der 75. Bundesparteitag in Berlin soll eigentlich der Auftakt für die Europawahl am 9. Juni sein. Doch angesichts der schlechten Wirtschaftslage wollen sich die Freien Demokraten zudem klar als Partei der Wirtschaftswende positionieren. Das soll der klaren Abgrenzung von SPD und Grünen dienen und zugleich der CDU zeigen, dass die Liberalen sich als die wahren Erben Ludwig Erhards sehen.

In der Veranstaltungshalle „Station“ wird der Geist Otto Graf Lambsdorffs über den Delegierten schweben. Der war von 1977 bis 1984 Bundeswirtschaftsminister unter den Kanzlern Helmut Schmidt (SPD) und von 1982 an unter Helmut Kohl (CDU). Denn in dem denkmalgeschützten ehemaligen Postbahnhof sollen „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ bekräftigt werden. Sie tragen die Handschrift von Bundesfinanzminister Christian Lindner und werden gerne mit dem „Konzept für eine Politik zur „Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ des „Marktgrafen“ vom September 1982 verglichen. 

Was Lambsdorff damals zu Papier gebracht hatte, war die Skizze für eine wirtschafts- und sozialpolitische Zeitenwende. Sie führte schließlich zum Ende der sozialliberalen Koalition und zum Sturz Schmidts durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Es war zugleich der Start einer 16 Jahre lang dauernden schwarz-gelben Ära unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Doch sind die Mehrheitsverhältnisse heute ganz andere. 1982 gab es im Bundestag nur drei Parteien. Und da reichte es für eine komfortable Mehrheit für Schwarz-Gelb. Heute käme es bei einem Ausscheiden der FDP aus der Regierung wohl recht bald zu Neuwahlen.

Kohl wollte die CDU nicht als Partei eiskalter Profitmaximierer erscheinen lassen

Lambsdorffs 20 Seiten umfassende Reformagenda führte zum Regierungswechsel, aber keineswegs zu dem von der FDP angestrebten grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. CDU/CSU und FDP waren sich grundsätzlich einig, stärker auf den Markt, die Eigeninitiative und solide Staatsfinanzen zu setzen, als dies mit der SPD denkbar war. Doch gegen eine echte marktwirtschaftliche Wende stemmten sich damals Arbeitsminister Norbert Blüm, der „Herz-Jesu-Sozialist“ von der CDU, und der damals noch viel einflussreichere Arbeitnehmerflügel der Partei. Zudem legte Kohl großen Wert darauf, die CDU nicht als Partei eiskalter Profitmaximierer erscheinen zu lassen.

 

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Auch zu schwarz-gelben Zeiten – erst mit Kohl und von 2009 bis 2013 mit der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) – musste die FDP erleben, dass der kleinere Koalitionspartner die größten Erfolge bei der Verhinderung mancher Pläne des größeren erzielte, nicht so sehr bei der Durchsetzung der eigenen Agenda. Das Lambsdorff-Papier erfüllte seinen Zweck als „Scheidungspapier“ von Rot-Gelb; eine Blaupause für Schwarz-Gelb wurde es nicht.

Die Kernforderungen Lambsdorffs lesen sich wie Auszüge aus den Agenda-Beschlüssen von Rot-Grün

Ironie der Geschichte: Lambsdorffs Forderungen setzte ausgerechnet Rot-Grün unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gute zwei Jahrzehnte später im Rahmen der „Agenda 2010“ durch. Denn die Kernforderungen Lambsdorffs von 1982 lesen sich heute wie Auszüge aus den Agenda-Beschlüssen von Rot-Grün: „Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf maximal 1 Jahr“, „Anhebung der Altersgrenze“ in der Rentenversicherung, „Berücksichtigung des steigenden Rentneranteils in der Rentenformel“, „Ausbau der Selbstbeteiligung im Krankenversicherungsbereich“ oder „strengere Regeln für die Zumutbarkeit einer dem Hilfesuchenden möglichen Arbeit“ in der Sozialhilfe. Das meiste davon setzte Schröder 20 Jahre später mit den Grünen durch. 

An die Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung wollte Schwarz-Gelb nicht so recht ran. Dafür führte Rot-Grün dann 2003 die Praxisgebühr ein, die 2014 von Schwarz-Gelb wieder abgeschafft wurde. Um den „steigenden Rentneranteil in der Rentenformel“ zu berücksichtigen, führte Schwarz-Gelb erst 1997 den „demografischen Faktor“ ein. Doch wurde diese Änderung von der rot-grünen Bundesregierung 1998 wieder zurückgenommen, noch ehe sie in Kraft getreten war. 2004 wurde dann der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, um den demografischen Änderungen Rechnung zu tragen. Auch Lambsdorffs Forderung, die Altersgrenze in der Rentenversicherung anzuheben, konnte die FDP in der Regierung Kohl nicht durchsetzen. Das schaffte dann Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) mehr oder weniger im Alleingang – 2007 in der ersten Großen Koalition unter Merkel.

Die politische Konstellation von heute ist nicht mit der von 1982 vergleichbar: Die Schlusssätze des Lambsdorff-Konzepts sind freilich so aktuell, dass sie der FDP-Parteitag sehr gut den „12 Punkten“ anfügen könnte: „Die Konsequenz eines Festklammerns an heute nicht mehr finanzierbaren Leistungen des Staates bedeutet nur die weitere Verschärfung der Wachstums- und Beschäftigungsprobleme sowie eine Eskalation in den Umverteilungsstaat, der Leistung und Eigenvorsorge zunehmend bestraft und das Anspruchsdenken weiter fördert – und an dessen Ende die Krise des politischen Systems steht.“

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