Bürgerschaftswahl - Bremen wählt – aber wen und wie? 

An diesem Sonntag werden die Wähler in Bremen ihre Stimme bei der Bürgerschaftswahl abgeben. Die SPD geht mit dem amtierenden Bürgermeister Andreas Bovenschulte als Favorit ins Rennen. Das Bremische Wahlrecht könnte jedoch für Überraschungen sorgen.

Bürgermeister und Präsident des Bremer Senats: Andreas Bovenschulte (SPD) / picture alliance
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Joerg Helge Wagner ist Redakteur beim Weser Kurier in Bremen.

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Bremen tickt anders als weite Teile der Republik. Die SPD ist hier Platzhirsch, die Linke dank der soliden Arbeit ihrer beiden Senatorinnen stabil über der Fünfprozenthürde und die AfD krachend an sich selbst gescheitert: Da die beiden konkurrierenden Flügel sich nicht auf eine Liste verständigen konnten, darf die rechtsnationale Partei am Sonntag gar nicht erst antreten zur Bürgerschaftswahl.  

Die Scherben am rechten Rand sammelt nun vermutlich die stramm konservative Vereinigung „Bürger in Wut“ (BiW) ein. Sie hat gute Aussichten, sogar ein zweistellliges Ergebnis zu erzielen – sicher zum Verdruss von CDU und FDP. Die Christdemokraten werden – anders als vor vier Jahren – voraussichtlich nur zweiter Sieger, und die Liberalen müssen wieder einmal um ihren Einzug ins Landesparlament bangen.  

Bangen müssen auch die Grünen, denn nach allen Umfragen werden sie die stolzen 17,4 Prozent der letzten Wahl 2019 nicht mehr erreichen. Ihre Werte liegen jetzt bei 13 Prozent – das wäre das schlechteste Ergebnis seit 20 Jahren. Soweit die Ausgangslage nach den jüngsten Umfragen. 

Aber Umfragen sind keine Prognosen, sondern eben nur Momentaufnahmen – das betonen Demoskopen immer wieder, wenn am Wahlabend dann doch ganz andere Zahlen vorliegen. Wagen wir also einen Blick in die Kristallkugel. 

Rot-Grün-Rot oder Große Koalition? 

Im Grunde sind nur zwei wahrscheinlich: Rot-Grün-Rot, also ein „Weiter so“ an der Weser, oder eine Große Koalition unter Führung der SPD. Falls die CDU doch noch an der SPD vorbeiziehen sollte, würde diese sich mit Sicherheit für Option 1 entscheiden – trotz aller Reibereien, vor allem mit den Grünen.  

Deren umstrittene Spitzenkandidatin Maike Schaefer macht für Bürgermeister Andreas Bovenschulte aber auch eine Wiederbelebung der Großen Koalition attraktiv, die Bremen schon von 1995 bis 2007 regiert hat. Die amtierende grüne „Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau“ – so der offizielle Titel – nervt den Regierungschef und dessen Parteifreunde vor allem mit ihrer fundamentalistischen, autofeindlichen Verkehrspolitik. Zuletzt schaffte sie klammheimlich die sogenannte „Brötchentaste“ für Kurzparker ab, was den Einzelhandel auf die Palme brachte – und Bovenschulte umgehend zu einer Solidaritätsadresse an die Geschäftsleute veranlasste.  

Über die Bremer CDU lästern die Liberalen, sie sei wie eine Avocado: außen schwarz und innen grün. Da ist etwas dran: So war es ein Coup der Konservativen, eine überparteiliche Klima-Enquetekommission einzurichten und deren Vorsitzenden zu stellen. Die Liberalen wiederum haben keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung: Für eine schwarz-gelbe Mehrheit wird es nicht ansatzweise reichen, aber auch kaum für ein rechtes Dreierbündnis aus CDU, FDP und BiW. Abgesehen davon sind die Vorbehalte gegenüber den BiW einfach zu groß. „Jamaika“ schließlich würde wie schon 2019 an der eher linken Grünen-Basis scheitern, die vor allem die FDP als Partner ablehnt.  

Ausschlaggebende Themen: Bildung, Innere Sicherheit, Verkehr

Das Beispiel „Brötchentaste“ zeigt auch, dass die Bremer Wahl im Grunde eine bessere Kommunalwahl ist. Es geht um Themen wie das „aufgesetzte Parken“ in engen Straßen oder die drohende Fällung von knapp 130 alten Platanen, um den Hochwasserschutz für die Neustadt am linken Weserufer zu verbessern. 

Bei einer nicht-repräsentativen Leserbefragung der führenden Regionalzeitung „Weser-Kurier“ ergab sich folgendes Themen-Ranking: Bildung, Innere Sicherheit, Verkehr, Innenstadtentwicklung, Klima- und Umweltschutz. Für die ersten beiden sind SPD-geführte Ressorts zuständig, und beide haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Bei nahezu allen Ländervergleichen tragen Bremer Schulen die Rote Laterne. Tröstlich für die SPD: Die Universität hat längst einen sehr guten Ruf, und auch die Wissenschaftssenatorin ist Sozialdemokratin. 

 

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Innensenator Ulrich Mäurer gibt zwar gerne den harten Hund, wird aber oft vom linken Koalitionspartner gebremst – etwa, wenn es gilt, die ausgeuferte Drogen-, Dealer- und Trinkerszene rund um den Hauptbahnhof in den Griff zu bekommen oder den Berg von 20.000 unbearbeiteten Anzeigen abzutragen. Der „Rote Sheriff“ zeigt dann lieber gegenüber Wettbüro- und Bordellbetreibern Zähne. 

Im täglichen Straßenverkehr ärgert viele Bürger zunächst der allgemeine Zustand von Straßen und Radwegen. Senatorin Schaefer werkelt indes an „Fahrrad-Premiumrouten“, die neben bereits bestehenden Radwegen eingerichtet werden – zu Lasten des motorisierten Verkehrs. 

Der zunehmende Leerstand in der Bremer City schließlich besorgt alle. Bovenschulte, Schaefer, aber auch die über alle Parteigrenzen hinweg sehr angesehene linke Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt suchen hier noch gemeinsam mit der lokalen Wirtschaft nach dem Patentrezept. 

Geringe Wahlbeteiligung in den vergangenen Bürgerschaftswahlen

Natürlich gibt es auch in Bremen ein paar Faktoren, die Vorhersagen zusätzlich erschweren. Etwa die Wahlbeteiligung: In den vergangenen sechs Bürgerschaftswahlen lag sie immer unter 65 Prozent. Auch 2019 blieb ein gutes Drittel der Wahlberechtigten den Urnen fern, vor allem in den sozial schwächeren Stadtteilen und in Bremerhaven. Das heißt aber auch: Rege Beteiligung in den „besseren Gegenden“ garantiert keineswegs schon eine Mehrheit für die sogenannten bürgerlichen Parteien – auch hier tickt Bremen eben anders, siehe oben. 

Dann, eng damit verbunden, das Verhalten der 16- bis 20-jährigen Erstwähler. Sie wurden zwar von den meisten der größeren Parteien gezielt mit Mailing-Aktionen umworben, aber verfängt diese etwas altbackene Methode noch bei der Generation Z? Andererseits stellen die knapp 20.000 Erstwähler gerade einmal 4,3 Prozent der Wahlberechtigten. Ausschlaggebend dürfte ihr Votum oder Nichtvotum also kaum sein. Spannender ist schon, dass 17,8 Prozent der Wahlberechtigten einen Migrationshintergrund haben – das ist Rekord unter den Bundesländern. 

Bremisches Wahlrecht als mögliche Ursache für Überraschungen

Eine erhebliche Ursache für Überraschungen ist schließlich das Bremische Wahlrecht. Seit 2011 hat jeder fünf Stimmen, die er beliebig zwischen Parteilisten und/oder Kandidaten verteilen (panaschieren) und/oder anhäufen (kumulieren) kann. Das bietet vor allem die Möglichkeit, die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft stärker zu beeinflussen, abweichend von den Kandidatenlisten der Parteien. 

Zuerst zählen die Wahlhelfer die Stimmen, die eine Partei insgesamt bekommen hat – also sowohl die für die Parteiliste als auch die für die Personen. Daraus errechnet sich die Anzahl der Sitze, die einer Partei zustehen. Anschließend liegt das Hauptaugenmerk auf den Personenstimmen. Diejenigen, die am meisten ergattern konnten, ziehen in die Bürgerschaft ein. Die weiteren Sitze werden nach den Listenstimmen vergeben, und zwar in der Reihenfolge der Parteiliste.  

Eine weitere Besonderheit rührt daher, dass das Bundesland Bremen aus zwei Städten besteht: Bremen und Bremerhaven. Und wer in Bremerhaven die Fünfprozenthürde überspringt, zieht in die Bürgerschaft ein. So ergatterten die BiW 2019 mit nur 2,4 Prozent Anteil an den Gesamtstimmen immerhin einen Parlamentssitz. 

Die Bremer Kristallkugel hat also einige blinde Flecken. Und klarer sehen wird man wegen des komplizierten Wahlrechts wohl erst am Mittwoch. 

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