Berliner Republik - Die neue Workness

Die Grüne Jugend träumt von der neosozialistischen Lebensbalance ohne viel Arbeit. Doch die Realität ist eine andere: Pflegerinnen, Maurerinnen, Monteure und Schreiner halten die Welt am Laufen.

Porträt von Friedrich Engels / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Wieso sind eigentlich die Grünen an allem schuld? Weshalb protestiert das Volk ausgerechnet gegen sie, die klassische Protestpartei? Aufgebrachte Bauern auf Traktoren­ungetümen – Panzern der Zivilgesellschaft – zürnen gegen die Freunde von Natur und Umwelt. Selbst der friedfertige Kinderbuchpoet und Wirtschaftsminister Robert Habeck musste um seine körperliche Unversehrtheit bangen, als er von einer Fähre an Land gehen wollte – das Schiff stach sicherheitshalber wieder in See. Alles völlig unverständlich, wenn nicht absurd. Weisen doch die Grünen, und mit ihnen die gesamte linksgrüne Bewegung, im milden Licht des Regenbogens den Weg zur Rettung des Planeten. Sie führen den Auszug aus dem kapitalistisch verdorbenen Global-­Ägypten ins klimagerettete Gelobte Land an. 

Begeht man Bibellästerung, wenn man den Leidensweg dieser humorfreien Partei mit Gleichnissen aus dem Buch der Bücher beschreibt? Mitnichten, denn sie versteht sich schließlich selbst als Erweckungsbewegung. Ganz und gar gebenedeit: Hort der Guten, Gerechten, Gläubigen – der Gutgläubigen. Fehlt nur noch ein Kaiser Theodosius, der den Klimakleber-Glauben zur Staatsreligion erhebt, was diese Ideologie allerdings ohnehin bereits ist, nimmt man die evangelischen Kirchentage in den Blick, allwo lichtgrün beflissene Pfäffchen das Halleluja anstimmen. Während das Volk vernehmlich grollt. 

Eine schreckliche Vision

Was ist der Grund für so viel Undankbarkeit? Könnte es sein, dass der uneinsichtige Pöbel die real existierende kapitalistische Gesellschaft genießt, sie sogar lustvoll lebt? Eine schreckliche Vision, denn gerade eine säkulare Religion bedarf ganz besonders der Gegenwartsdüsternis und Zukunftsangst, der Ingredienzien grüner Beschwörung von Gegenwart und Zukunft – damit das widerspenstige Volk vielleicht doch noch zu besserer Einsicht gelangt. Aber wer will schon vom Auto lassen, diesem Symbolvehikel der Freiheit – um damit zu fahren, wohin man will, wann man will, mit wem man will, wüte das Wetter, wie es will? Steht doch schon der Begriff „Auto“ für das „Selbst“, das Ich – und damit für das Gegenteil der grünkollektiven Glaubenswelt, die auf dem Lastenfahrrad umherschlingert, bescheiden und verklemmt, aber klimafreundlich!

Es ist 50 Jahre her, da war Maos China noch das Fahrradparadies, ein mausarmes, aber politisch korrektes Glaubensreich des Kommunismus, mit einem kleinen roten Büchlein in jeder Kinderhand, Mao-Bibel genannt und von den Volksgenossen rhythmisch geschwungen – ein Bild heiliger Einfalt, das sofort klarmacht, was heute fehlt: die grüne Bibel. Es geht übrigens keineswegs allein um die Alternative Auto oder Fahrrad. Dem Volk, dieser ungebärdigen Erscheinung der Demokratie, widerstrebt auch der grüne Griff in den Kühlschrank, an die Heizkörper und ans Flugticket nach Mallorca – überhaupt an die kleinen Freuden eines Lebens mit 2000 oder 2500 oder 3000 Euro netto. 

Das Paradies ohne Apfelbäumchen

„Was tun?“, fragte Wladimir Iljitsch Lenin. Bertolt Brecht würde ihm heute antworten: „Das Volk hat das Vertrauen der Grünen verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Grünen lösten das Volk auf und wählten ein anderes?“ Zugegeben, der Satz des großen Dichters aus dem Jahr 1953 ist arg aktualisiert, letztlich aber doch nur den Verhältnissen angepasst, denn die Grünen haben sich, in solider Solidarität mit den Linksgrünen, längst ein neues Volk auserwählt: die Migranten, die Flüchtlinge, die Schutzsuchenden, allesamt Kinder, die der Betreuung bedürfen, der Führung, der Erziehung – wie sie nun mal unumgänglich ist in der ihnen so unvertrauten Leistungswelt des ausbeuterischen Kapitalismus. 

Deshalb ist das scheinbar Neue doch wieder nur das Alte: politischer Paternalismus, wie damals, als die Marxisten/Kommunisten die Proletarier unter ihre fürsorglichen Fittiche nahmen und die Arbeiterklasse zu ihrem Volk erklärten, das sie dann von oben nach unten regieren konnten. Bis es dieser säkularen Religion rebellisch entsagte und sich heute, wie der gerade ausgebrochene Widerstand zeigt, auch von der grünen Avantgarde nicht weiter disziplinieren lässt. 
 

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Da sind die zugeströmten Opfer des globalen Südens gottlob ganz anders: autoritär-religiöse Herrschaft gewohnt, zudem sozial schlechtgestellt und dadurch jedweder Fürsorge schutzsuchend preisgegeben, perfekte Objekte nachhaltiger grüner Herrschaft. Die verlorene Arbeiterklasse ist ersetzt! Dass sich das neue Proletariat nicht durch Arbeit definiert, passt ebenfalls ganz wunderbar: Die Kindeskinder der 68er plädieren für eine Ablösung des Leistungs-Sozialstaats durch den Zuwendungs-Sozialstaat, der, endlich, endlich, die ganz private „Work­Life-Balance“ finanziert, zunächst in der Vier­‑Tage-Woche, bald schon in der Drei-Tage-Woche. Das Paradies ohne Apfelbäumchen. 

Wohlstand im Elternhaus

Katharina Stolla, Vizevorsitzende der Grünen Jugend, liefert dazu mit beinahe brechtscher Prägnanz den Satz, der alles sagt, was noch zu sagen war: „Wofür soll ich mich in dieser kaputten Welt kaputt arbeiten?“ Man hat es ja auch bisher nicht anders erlebt: Wohlstand im Elternhaus, Aussicht aufs Erbe, Entspannung im Hörsaal, elitäres Selbstverständnis als NGO-Manager, Meinungsmacher in den Medien, auf gut bezahlten Posten der Politik. Hippes Oberklassenbewusstsein halt. 

Und wenn die bürgerliche Herkunft allzu sehr stört, bleibt immer noch der Vatermord: den SUV verbieten – Papas Selbst, in dem man von Mama zur Schule, zum Tennis, zum Ballett gefahren wurde. Die juvenile Wunderweltsicht reimt sich auf den Begriff „Wokeness“. Doch irgendwie trifft das Wort die Wirklichkeit der Sanitärmonteure, der Mechanikerinnen, der Heizungstechniker, der Maurerinnen, der Schreiner, der Fliesenleger, der Pflegerinnen nicht so recht. Für diese real existierende Welt wäre ein anderes Leitbild wohl angemessener: Workness.

 

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