Wie es die CDU in Berlin zurück in die Regierung schaffen will - „Ich kämpfe, damit den Berlinern die R2G-Tragödie erspart bleibt"

Kai Wegner ist seit 32 Jahren aktiv in der CDU. Jetzt kandidiert er nicht mehr für den Bundestag, um neuer Bürgermeister von Berlin zu werden. Seine Chancen sind denkbar gering. Im Interview erläutert er, womit die CDU punkten will und warum er sich den Knochenjob trotzdem zumutet.

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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Kai Wegner sitzt seit 2005 für die CDU im Bundestag. Er ist der baupolitische Sprecher der Fraktion und seit 2019 CDU-Landesvorsitzender in Berlin. 

Herr Wegner, in einem Wahlkampfspot stellen Sie sich als Bürgermeister-Kandidat mit den Worten vor: „Ich bin Berliner aus Leidenschaft – ich atme.“ Wie schlecht steht es um die Berliner CDU, dass Sie eine elementare Körperfunktion schon als Talent verkaufen?

Na ja, in dem Spot sage ich: „Ich atme, ich lebe, ich liebe Berlin!“ Ich atme Berlin, weil ich in dieser Stadt geboren wurde und aufgewachsen bin.

Sie kommen aus Spandau. Für viele Berliner gehört dieser Stadtteil bis heute gar nicht zu Berlin.

Spandau ist etwas Besonderes. Wenn ich früher zu meiner Oma gesagt habe, ich fahre in die Disko in der Stadt, hat sie immer gefragt: Wo ist denn in der Stadt eine Disko? Meine Oma meinte die Altstadt Spandau. Unsere Stadt hat zwar zwölf tolle Bezirke. Aber nur gemeinsam sind wir ein Berlin. 

70 Prozent der Berliner sind gerade unzufrieden mit dem Corona-Krisenmanagement des rot-rot-grünen Senats. Zuletzt ist auch noch sein Prestigeobjekt „Mietendeckel“ gescheitert. Warum gelingt es der CDU nicht, aus den Pannen Profit zu schlagen?

Noch Anfang des Jahres waren wir die stärkste politische Kraft. Aktuell ist der Bundestrend nicht unser größter Freund. Entscheidend ist aber, dass die CDU ein Gegenmodell zu Rot-Rot-Grün ist. Dass wir die vielen Dinge ansprechen, die unter Rot-Rot-Grün nicht funktionieren – und hier die Berlinerinnen und Berliner mit unseren Ideen und Lösungen überzeugen. 

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Wo fangen Sie denn da an?

Nehmen wir den Bildungsbereich. Mein ältester Sohn ist 14. Ich will nicht akzeptieren, dass er und seine Freunde schlechtere Startvoraussetzungen haben als die Kinder in Bayern oder in Sachsen. Die Berliner Kinder sind ja nicht dümmer. Dann das Thema Verwaltung. Es kann nicht sein, dass man wochenlang warten muss, um ein Auto anzumelden. Und dann natürlich das Wohnen. Der Mietendeckel ist gescheitert, die Neubauzahlen sind eingebrochen. Es war noch nie so schwer, in Berlin eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Dass der Mietendeckel ausgerechnet jetzt gescheitert ist, ist doch ein Wahlkampfgeschenk für Sie. Warum haben Sie die Steilvorlage nicht genutzt?

Wir haben mit einer Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht dazu beigetragen, schnellstmögliche Rechtssicherheit für Mieterinnen und Mieter herzustellen. Die Rückzahlungen wären sonst viel höher gewesen. Wir müssen jetzt endlich diesen konfrontativen Kurs Mieter gegen Vermieter beenden. Hamburg macht’s vor. Da gibt es ein Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen.

Kaum war der Mietendeckel gescheitert, haben Sie den Grünen auf dem CDU-Parteitag „Ideologie, Bevormundung und Verbote“ vorgehalten. Davor hatten Sie die Partei noch umgarnt. War’s das jetzt mit Schwarz-Grün?

Ich bin durchaus offen ist für schwarz-grüne Regierungen. In Hessen oder Baden-Württemberg funktionieren sie relativ geräuschlos. Damit das auch in Berlin funktionieren kann, müssen die Grünen aber aufhören, sich wie eine Linkspartei aufzuführen. 

Für die Grünen kommen Sie schon wegen Ihrer autofahrer-freundlichen Verkehrspolitik nicht als Koalitionspartner in Frage.   

Mir geht es um ein faires Miteinander aller Mobilitätsformen. Das Wahlprogramm der Grünen hingegen zeigt, dass sie absolut stehengeblieben sind. Die haben sich eingebuddelt in ihren Schützengräben. Da fehlt mir die Phantasie, mir vorzustellen, wie so ein Wahlprogramm eine gute Grundlage für ein Koalitionsprogramm sein könnte. 

Was stört Sie denn an dem Wahlprogramm?

Vieles. Dass es eine Verkehrswende geben muss, ist unstrittig. Aber man darf die Menschen nicht umerziehen. Ich steh mehr auf Freiwilligkeit als auf Bevormunden und Verbote. 

Aber so, wie es derzeit aussieht, werden die Grünen die Wahl in Berlin trotzdem gewinnen. Und wenn die Umfragen so bleiben, können sie sich ihre Koalitionspartner aussuchen. Ist es da besonders klug, Ihnen schon ein halbes Jahr vorher die Tür vor der Nase zuzuschlagen?

Wenn die Grünen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vernunft und Pragmatismus für sich entdecken, steht meine Tür offen. Die Grünen waren schon häufiger Umfrage-Sieger in Berlin. Als Renate Künast 2011 als Bürgermeisterin kandidierte, standen sie sogar noch besser da als heute. Am Ende des Tages waren sie nur drittstärkste Kraft.

Wenn Sie unbedingt wieder mitregieren wollen, bleibt Ihnen rein rechnerisch gar keine Alternative. Selbst wenn die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Giffey jetzt noch mal richtig zulegt, weil Giffey ihr Amt als Familienministerin zurückgegeben hat, dürfte es kaum für die absolute Mehrheit reichen.

Ich kämpfe für ein starkes CDU-Ergebnis, damit uns Berlinern eine Fortsetzung der R2G-Tragödie erspart bleibt. Zugleich stelle ich fest, dass sich die SPD unter Franziska Giffey auf einmal in vielen Punkten unsere Positionen kopiert. Das SPD-Programm ist ein Eingeständnis, dass die rot-rot-grüne Politik der letzten Jahre gescheitert ist. 

Aber Frau Giffey steht nicht für die SPD, die in Berlin eher links ist. Sie gilt als Hardlinerin.

Genau das ist das Glaubwürdigkeitsproblem der Berliner SPD. Die Berlinerinnen und Berliner können nur rätseln, wer bei der SPD wirklich den Ton angibt. Denn Giffeys Co-Vorsitzender, Raed Saleh, bestimmt die Politik der SPD seit vielen Jahren mit. Er steht wie kein anderer für die ideologische Politik unter Rot-Rot-Grün. 

Als Giffey ihren Rücktritt bekanntgab, musste sie viel Kritik einstecken. Es heißt, sie habe viel zu spät reagiert. Ihr CDU-Generalsekretär Stefan Evers dagegen lobte sie für „ihren konsequenten Schritt“. Man hat den Eindruck: Die Berliner CDU wanzt sich an die SPD heran.

Ich mache keinen Wahlkampf, um einer anderen Partei zu gefallen. Ich werbe um das Vertrauen der Berlinerinnen und Berliner.  

Starke Wirtschaft, gute Arbeit, bezahlbarer Wohnraum, ein sicheres und sauberes Berlin. Das ist alles sehr erwartbar und wenig konkret. Fängt man so urbane Großstadthipster?

Auch Hipster  wollen Sicherheit, ein gutes Schulsystem, einen schnellen Termin beim Bürgeramt. Es geht aber nicht darum, dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Die CDU muss den Zeitgeist endlich wieder bestimmen. 

Einer, der die CDU seit Jahrzehnten kennt, hat gesagt, der Kai mache sich schick fürs Heiraten. Er wäre schon mit der Jarasch zufrieden, hätte aber lieber die Giffey. Leider will  aber keine der Damen etwas von ihm wissen.

Koalitionen sind keine Liebesheiraten, sondern Bündnisse, um etwas für die Menschen zu erreichen. Ich kämpfe leidenschaftlich dafür, dass Berlin wieder funktioniert, dass diese tolle Stadt ihre Potenziale endlich nutzt.  

Wenn man sich Ihren Wahlspot anschaut, fragt man sich: Welche Mitgift bringen Sie denn mit?

Ich stehe für einen ganz anderen Politikstil als rot-rot-grün. Die Leute können das nicht mehr ertragen. Dieser ganze Streit, die ewige Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Was die CDU mitbringt, ist eine große Geschlossenheit.

Wie bitte? Ihre Partei gilt doch als heillos zerstritten

Früher war das tatsächlich so. Das war ein Grund für mich, meinen Hut in den Ring zu werfen und zu sagen: Es muss sich was ändern.Und das haben wir gemeinsam geschafft. 

Was denn? Noch merkt man davon nichts.   

Schauen Sie sich doch die Landesliste für den Bundestag an. Mir war wichtig: 50 Prozent Frauen unter den ersten sechs Plätzen. Und mit  Claudia Pechstein aus dem Osten und ein Joe Chialo aus Spandau haben wir spannende Persönlichkeiten, die uns ergänzen. 

Aber in der Top Ten ist die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein die einzige Kandidaten aus dem Osten. Ihre Kritiker sagen, die Berliner CDU sei immer noch ein  West-Verein.

Das sagt nur einer, der sich ärgert, dass er keinen Listenplatz bekommen hat. Ich bin in ganz Berlin unterwegs, und ich sehe, dass sich auch östlich des Brandenburger Tores viele Menschen von Rot-Rot-Grün abgehängt fühlen. 

Ob eine Partei bei den Wählern punkten kann, hängt stark vom Spitzenkandidaten ab. Über Sie kursieren wenig schmeichelhafte Namen wie „Kleingarten-Kai“ .

Wissen Sie, meine Eltern hatten einen Kleingarten, und ich bin heute noch gern in Kleingärten zu Besuch. Ich bin aber auch sonst viel in der Stadt unterwegs, zum Beispiel beim Mittelstand, bei der Wissenschaft, bei Sportvereinen, in der Clubszene. Ich weiß, wie Berlin tickt. 

Aber um Bürgermeister zu werden, reicht das nicht. 2019 war mal die Rede davon, Friedrich Merz als Spitzenkandidat nach Berlin zu holen. Hätte er den Laden gerockt?

Das ist eine hypothetische Frage. Statt darüber zu spekulieren, freue ich mich über die große Unterstützung, die ich für meine Kandidatur erfahre.   

Die Berliner CDU hatte sich im Streit um die Kanzlerkandidatur hinter Markus Söder gestellt. Täuscht der Eindruck, oder hat Söder all das, was Kai Wegner nicht hat? Autorität, Begeisterungsfähigkeit, Ideen. 

Ich mag Markus Söder sehr. Als er Ministerpräsident geworden war, war er sehr umstritten. Er hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der beliebtesten Landesväter entwickelt. Wenn er sagt, dass ein Regierender Bürgermeister Kai Wegner Berlin einen neuen Schub geben könnte, freut mich das natürlich sehr. 

Aber 61 Prozent der Berliner kennen Sie gar nicht. Sogar in der eigenen Partei können viele mit Ihrem Namen gar nichts anfangen. Die einzige Leistung, die man bislang mit Ihnen verbindet, ist, dass Sie Monika Grütters 2019 als Landesvorsitzende abgesägt haben.

Die Bekanntheit steigern wir ja gerade. 

Landtagswahl und Bundestagswahl finden beide am 26. September statt. Die Bundes-CDU geht nach den Querelen um ihren Spitzenkandidaten und den Maskenskandalen beschädigt in den Wahlkampf. Gibt das der Berliner CDU den Todesstoß?

Ich glaub ganz sicher, dass sich der Wind drehen wird. Denn am 26. September geht es um eine Richtungsentscheidung. Es geht darum, Europa, Deutschland und Berlin aus der Pandemie zu führen. Das trauen die Menschen am meisten der CDU zu, und deshalb bin ich überzeugt, dass die CDU stärkste politische Kraft wird. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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