Befragung von Olaf Scholz im Bundestag - „Halbwahrheiten“ und „Spiel mit falschen Karten“

Bei der Befragung im Parlament muss sich der Bundeskanzler für seine Taurus-Weigerung rechtfertigen. Es kommt zum heftigen Schlagabtausch, aber Scholz erntet auch Lob von der AfD. Während langsam deutlich wird, worum es ihm in Sachen Taurus wirklich geht.

Olaf Scholz während der Befragung am Mittwoch im Bundestag / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Würde es an diesem Mittwoch endlich mehr Hinweise darauf geben, warum Olaf Scholz die Lieferung des Taurus-Waffensystems an die Ukraine vehement ablehnt? Denn natürlich stand dieser Themenkomplex im Mittelpunkt der heutigen Befragung des Bundeskanzlers durch das Parlament. Die Antwort lautet: nein. Allerdings zeichnet sich inzwischen doch ab, worum es eigentlich geht. Man kann das nämlich auch daraus ableiten, was Scholz nicht sagt. Beziehungsweise daraus, was er mantrahaft wiederholt – und es nun auch im Rahmen der Regierungsbefragung wieder tat.

Gleich zu Beginn kündigte Scholz an, den „Stier bei den Hörnern“ packen zu wollen: eine Anspielung auf „Taurus“ also. Um dann zunächst noch einmal den Umfang der bisher von der Bundesrepublik an die Ukraine gelieferten Waffen zu umreißen: Mars-Raketenwerfer, Leopard-Panzer, Gepard-Flaks, Patriot-Abwehrsysteme und noch vieles mehr. Allein in diesem Jahr würde sich der Wert der von Deutschland der Ukraine zur Verfügung gestellten Waffen auf sieben Milliarden Euro belaufen. Aber bei Taurus ziehe er eine rote Linie, so der Kanzler sinngemäß, denn diese hätten eine Reichweite von 500 Kilometern – und könnten nur mit Hilfe von Bundeswehrsoldaten zum Einsatz gebracht werden. Was auf eine deutsche Kriegsbeteiligung hinauslaufe.

Wo der Hase im Pfeffer liegt

So oder ähnlich hat Scholz es in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder betont, wobei die angeblich unvermeidliche Unterstützung der Bundeswehr beim Taurus-Einsatz durchaus strittig ist. Das zumindest hat ja das vom Kreml geleakte Gespräch zwischen hochrangigen Militärs der deutschen Luftwaffe ziemlich deutlich gemacht. Unstrittig ist allerdings die Reichweite der Taurus-Marschflugkörper: Sie beträgt 500 Kilometer, was ziemlich exakt der Entfernung der ukrainischen Ost-Grenze nach Moskau entspricht. 

Genau hier dürfte auch der Hase im Pfeffer liegen: Olaf Scholz scheint zu befürchten, dass ein in schwerste Bedrängnis geratendes ukrainisches Militär in einem Verzweiflungsakt mit deutschen Marschflugkörpern auf den Kreml zielen könnte. Was selbstverständlich eine kaum zu überbietende Eskalation wäre. Damit dürfte auch klar sein, was der Kanzler damit meint, wenn er regelmäßig hervorhebt, Frankreich und Großbritannien könnten in dieser Frage etwas tun, was die Deutschen eben nicht könnten. Scholz ging denn auch explizit auf die geringere Reichweite der von diesen beiden Ländern gelieferten Waffensysteme ein.

Kein Vertrauen in die Ukraine?

Der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul stellte die naheliegende Frage: Ob der Kanzler den Ukrainern denn nicht vertraue? Diese hätten sich bisher doch stets an die Vereinbarung gehalten, vom Westen gelieferte Waffen nicht gegen russisches Territorium einzusetzen. Scholzens Antwort: Doch, man vertraue den Ukrainern – was ja allein der Umfang der von der Bundesrepublik gelieferten Waffen beweise. Bei dieser Argumentation dürfte es sich allerdings um eine Ausflucht handeln, denn deren Reichweite ist eben auf maximal 150 bis 200 Kilometer begrenzt. Und nicht viel weiter dürfte auch das Vertrauen des deutschen Bundeskanzlers in die „Besonnenheit“ des ukrainischen Militärs reichen. Alles andere ist Reden um den heißen Brei.

 

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Wobei der Kanzler die Regierungsbefragung dazu nutzte, um seinerseits die Unions-Opposition zu attackieren, der er vorwarf, seine Besonnenheit in der Öffentlichkeit als Feigheit darzustellen und „eine Ansammlung von Halbwahrheiten“ zu verbreiten. Das alles gipfelte in seiner Invektive gegen Wadephul: „Die Bürgerinnen und Bürger haben Angst vor Ihnen!“ Womit gleich auch die zweite Ebene der Scholz-Weigerung in Sachen Taurus deutlich wurde: Er will die Gelegenheit nutzen, um sich als Friedenskanzler zu positionieren und so die SPD aus dem Umfragetief führen.

Was allerdings auch weniger erwünsche Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen lobte den Bundeskanzler nämlich ausdrücklich für seine Haltung, bezeichnete die Taurus-Befürworter als „Kriegstreiber“ und versprach Olaf Scholz ausdrücklich die Unterstützung der AfD. Worauf dieser lapidar antwortete, darauf könne er gut verzichten.

„Spiel mit falschen Karten“

Norbert Röttgen von der CDU konfrontierte den Kanzler mit der Tatsache, dass auch Frankreich und Großbritannien trotz ihrer Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine nicht zur Kriegspartei geworden wären – um damit das Hauptargument von Scholz in Sachen Taurus zu entkräften. Scholz entgegnete, Röttgen wisse „sehr wohl, worum es geht“, halte der Bevölkerung jedoch entsprechende Informationen vor. Womit der Bundeskanzler ja implizit zugab, selbst über Informationen zu verfügen, die er nicht in der Öffentlichkeit vorträgt. 

Auch hier dürfte es sich um die Reichweite von Taurus und das damit verbundene Risiko eines ukrainischen Verzweiflungsschlags gegen Moskau handeln. Röttgen reagierte jedenfalls einigermaßen empört und wies die Unterstellung durch Scholz entschieden zurück. Vielmehr sei es der Kanzler selbst, der „mit falschen Karten“ spiele und darauf abziele, „die Öffentlichkeit zu täuschen“.

Wer hier wen täuscht, das ist nach aktueller Lage der Dinge nicht leicht zu beurteilen. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass es beim Taurus-Komplex auch um deutsche Innenpolitik geht und mithin alle Parteien ihr politisches Süppchen darauf kochen. Deutlich sicherer lässt sich hingegen sagen, dass das Verhältnis zwischen Berlin und Paris so schlecht ist wie selten zuvor – nicht zuletzt aufgrund von Streitigkeiten zwischen Scholz und Emmanuel Macron wegen des Ukrainekriegs. Vor diesem Hintergrund wollte der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt vom Kanzler wissen, wie er diesen Streit zu beheben gedenke. Worauf Scholz beteuerte, es bestehe eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihm und dem französischen Präsidenten.

Am Freitag wird Macron in Berlin erwartet, ebenso wie Polens neuer Regierungschef Donald Tusk. Dann wird sich zeigen, wie gut des Verhältnis Deutschlands zu seinen beiden größten Nachbarstaaten wirklich ist. Zumindest hinter den Kulissen.

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