Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Barack Obama und die NSA-Affäre - Lügt der Präsident?

Laut eines Medienberichts war das Weiße Haus seit diesem Sommer von der Überwachung ausländischer Spitzenpolitiker informiert. Obama soll in diesem Sommer von der Bespitzelung Merkels gewusst und diese beendet haben

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

So erreichen Sie Christoph von Marschall:

US-Regierungsvertreter haben einem Medienbericht zufolge eingeräumt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bis vor kurzem vom US-Geheimdienst NSA bespitzelt wurde. US-Präsident Barack Obama soll davon erst vor wenigen Wochen erfahren haben, wie das „Wall Street Journal“ (WSJ) am Sonntag (Ortszeit) online unter Berufung auf US-Regierungsvertreter berichtete. Die Abhöraktion sei nach einer von der Regierung in Washington im Sommer in Auftrag gegebenen internen Untersuchung eingestellt worden, hieß es in dem WSJ-Bericht.

 

 

Dieser Bericht heizt eine Diskussion weiter an, in der Tag für Tag mehr Vertrauen verloren geht.

Gänzlich zerbrochen wäre es, wenn man alles für möglich halten müsste. Diesem Stadium nähert sich die Beziehung zwischen Angela Merkel und Barack Obama derzeit. Als es am Mittwoch hieß, dass die NSA jahrelang das Handy der Kanzlerin abgehört hat, blieb zunächst Raum für die Möglichkeit, dass da ein Geheimdienst über die Stränge schlagen hat und der Präsident nichts davon wusste. So soll Obama in einem Telefonat am Donnerstag Merkel die Lage erklärt haben, ließen Vertraute durchsickern. Der Präsident habe sich entschuldigt und versichert, dass er den Lauschangriff gestoppt hätte, wenn er davon gewusst hätte.

Nur wenige Tage später heißt es aber, Obama sei 2010 von NSA-Chef Keith Alexander persönlich über die Operation informiert worden und habe sie nicht gestoppt, sondern weiterlaufen lassen – das schreibt zumindest die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf „einen mit der NSA-Operation gegen Merkel vertrauten Geheimdienstmitarbeiter“. NSA-Sprecherin Vanee Vines dementierte den Bericht. Tatsächlich ist unklar, wie verlässlich die Quelle ist, wenn die Darstellung aber stimmen sollte, dann hat Obama Merkel bewusst belogen.

Was ist schlimmer für den Präsidenten: informiert zu werden oder nicht?

Generell ist es durchaus plausibel, dass ein Präsident nicht einmal über so hochsensible Aktionen vollständig informiert wird. Erstens umfasst die „Intelligence Community“ in den 17 Diensten der USA mehr als 200 000 Mitarbeiter. Zweitens wird ihm zwar jeden Morgen die Weltlage aus Sicht der Geheimdienste dargelegt samt Prognosen, wie sich die Mächtigen in anderen Ländern mutmaßlich verhalten werden. Nur selten wird jedoch erwähnt, aus welcher Quelle eine bestimmte Information stammt. Drittens führen die Dienste ein Eigenleben und haben in der Geschichte der USA wiederholt gegen den Präsidenten agiert.

Im aktuellen Fall klang die Version, dass Obama nicht eingeweiht war, zunächst glaubwürdig, weil sein Vorgänger Bush die Überwachung Merkels angeordnet haben soll. Selbst die Darstellung der BamS würde zwar belegen, dass der Präsident 2010 informiert wurde – aber nicht, wie man bei so einem gravierenden Vorgang annehmen könnte, automatisch bereits bei seinem Amtsantritt im Januar 2009.

Natürlich hat ein Präsident so oder so den Schaden, wenn ein Vorwurf von dieser Bedeutung ans Licht kommt. Weiß er Bescheid, vergiftet das Eingeständnis die Beziehung zu den Verbündeten. Wirkt er unwissend, fragen alle, ob er seinen Apparat nicht im Griff hat. Nicht Bescheid zu wissen, kann aber Vorteile haben. Dem Präsidenten bleibt der Ausweg, sich entrüstet zu geben und Untergebene zu feuern, um so seine Bereitschaft zur Korrektur von Missständen zu demonstrieren.

Wie diskutieren die USA die Vorgänge?

Gemessen an der Empörung in Europa reagiert die US-Politik mit einer provozierenden Gelassenheit. Hochrangige US-Politiker verteidigen die Abhörprogramme sogar. „Der Präsident sollte aufhören, sich zu entschuldigen“, sagte zum Beispiel der Republikaner Peter King, Vorsitzender des Antiterror- und Geheimdienst-Unterausschusses im Repräsentantenhaus, am Sonntag dem US-Sender NBC. „Wir machen das nicht zum Spaß. Es geht um die Gewinnung wichtiger Erkenntnisse, die nicht nur uns, sondern auch den Europäern helfen.“ Diese Kühle kann angesichts der Vertrauenskrise so wirken, als nehme Amerika die Befindlichkeit enger Verbündeter nicht sonderlich ernst, und die Krise verschärfen.

Der nüchterne Umgang entspricht der geringen Resonanz in der Öffentlichkeit und den Medien der USA. Beherrschend sind innenpolitische Vorgänge wie die Computerpannen bei der neuen Etappe der Gesundheitsreform. Wenn Zeitungen über die Affäre berichten, dann klingt als Grundtenor durch, dass die US-Dienste im Prinzip nichts anderes machen als die Geheimdienste anderer Länder. Nur stünden ihnen mehr Personal und Ressourcen zur Verfügung, deshalb sei ihre Reichweite größer. Eine Ausnahme von dieser beschönigenden Darstellung ist die „New York Times“. Sie berichtet in warnendem Ton über die sich vertiefende Vertrauenskrise zwischen Europa und Amerika und kommentiert, die Regierung Obama solle auf die Forderung nach Regeln für die Grenzen der Geheimdienstarbeit eingehen.

Wie ernsthaft ist Obamas Absicht, die Praxis zu ändern?

Der Präsident gibt die Parole aus, die Abwägung zwischen individuellem Datenschutz und Sicherheit vor Anschlägen sei „ein bisschen aus der Kontrolle geraten“. Er will die Regeln für die Geheimdienste überprüfen lassen. Seine allgemeine Vorgabe für die Dienste lautet: Nur weil etwas technisch möglich sei, müsse man es noch lange nicht tun. Das alles klingt eher allgemein und nicht nach einem dringenden Reformvorhaben. Es ist auch kein innenpolitischer Druck auf ihn zu erkennen. Im Gegenteil, er riskiert neue Auseinandersetzungen mit den Republikanern, falls er ihnen Anlass für die Behauptung liefert, ihm seine datenrechtliche Empfindlichkeiten von Ausländern wichtiger als die Sicherheit der Amerikaner.

Kleinere Hinweise auf ein mögliches Umdenken sind mitunter zu beobachten. Am 16. Oktober ließen „Regierungskreise“ durchsickern, dass NSA-Chef Keith Alexander und sein Stellvertreter Chris Inglis den Geheimdienst demnächst verlassen werden. Die Ernennung einer neuen NSA-Spitze bietet Obama die Gelegenheit, dem Dienst ein verändertes Arbeitsethos vorzugeben. Dieser späte Abgang Alexanders illustriert aber zugleich, dass die üblichen politischen Regeln in den USA offenbar für die Geheimdienste nicht gelten. Zu denen gehört, dass ein Amtsträger, der den Kongress und die Öffentlichkeit belügt, zurücktreten muss. Alexander hat den Kongress mehrfach belogen. Bei offiziellen Anhörungen im Senat hatte er noch 2012 behauptet, kein Amerikaner werde von der NSA ausgespäht. Die gesamte Überwachung betreffe Ausländer. Im Juni 2013 wurde das korrigiert: Auch die Metadaten des Telefonverkehrs von Millionen Amerikanern werden gespeichert.

Könnte ein Untersuchungsausschuss im Bundestag bei der Aufklärung helfen?

Schon vor ein paar Tagen forderte die Linke, zu den Aktivitäten des US-Geheimdienstes in Deutschland einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Parteichefin Katja Kipping appellierte an SPD und Grüne, den Ausschuss gemeinsam mit der Linken durchzusetzen. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann verlangte am Wochenende sogar eine gemeinsame Initiative aller vier Bundestagsfraktionen. „Unvermeidlich“ nannte er den Ausschuss. Er fügte an, das Gremium sollte „so weit es irgend geht öffentlich tagen“. Und, wie Oppermann anfügte, den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden vernehmen.

Ob das alles so funktionieren wird, ist fraglich. Zum einen wird sich Snowden wohl nicht vorladen lassen, um nicht in die Fänge der Justiz zu geraten – sogar eine Videoschaltung mit dem EU-Untersuchungssausschuss lehnte er kürzlich ab, um nicht lokalisiert zu werden. Zum anderen aber gibt es auch Kritiker, die von einem öffentlichen Spektakel nichts halten. „Nur ein geheim tagendes Gremium kann sich diesen Fragen wirklich intensiv widmen“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Er stimmt damit ausgerechnet mit einem Fachmann der Linken überein: Steffen Bockhahn, bisher Vertreter seiner Fraktion im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG). Er schrieb auf der Fraktions-Homepage: „Es gibt keinen Anspruch darauf, dass andere Staaten ihre Geheimdienstchefs in unser Parlament schicken, damit die hier erzählen, was sie so alles tun.“ Und um ein mögliches Versagen deutscher Geheimdienste aufzuklären, gebe es das PKG und den Innenausschuss.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.