ARD-Talkshow „Anne Will“ - Schuld sind immer die anderen

Die fallenden Zustimmungswerte für die Politik der Ampel und das Umfragehoch der AfD sorgten in der gestrigen Talkshow von Anne Will für Streit. Doch mit Schuldzuweisungen lässt sich das Problem nicht lösen.

Am Sonntagabend diskutierten Anne Will und ihre Gäste über die Umfragekrise der Regierung / Screenshot
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Lukas Koperek ist Journalist und lebt in Mannheim und Berlin.

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Nach zwei Wochen Sendepause war gestern wieder die Gesprächssendung von Anne Will im Ersten zu sehen, und zwar mit einem Thema, das in der vierzehntägigen Auszeit an Schärfe nur gewonnen haben dürfte: „Erschöpft und unzufrieden – verliert die Ampel beim Klimaschutz den Rückhalt der Bevölkerung?“

Eine durchaus drängende Frage, denn Umfragen zeigen, dass die Klimapolitik der Regierung die Bürger verunsichert. Laut dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend fürchten mehr als zwei Drittel der Deutschen finanzielle Überforderung angesichts der geplanten Heizwende, die die Ampel mit einem Knall – nämlich dem Entwurf für das Gebäudeenergiegesetz – eingeleitet hat. Nur noch 20 Prozent sind mit der Arbeit von SPD, Grünen und FDP zufrieden. Die Umfragewerte der Regierungsparteien fallen; sie liegen weit hinter der Union, die sich bei 29 Prozent eingependelt hat. Doch inzwischen hat auch die AfD deutlich aufgeholt: Sie hat mit 18, laut dem Meinungsforschungsinstitut INSA sogar 19 Prozent Grüne und FDP lange überholt und liegt gleichauf mit der Kanzlerpartei. Dass die Opposition deutlich mehr Zuspruch bekommt als die Regierung und selbst die Rechtspopulisten die Regierungsparteien bald überholt haben könnten, spricht Bände über den Zustand des Bürger-Staat-Verhältnisses.

Analysen geraten zur Phrasendrescherei

Einleitend versuchte sich Steffen Mau, Soziologe an der Humboldt-Universität zu Berlin, an einer Erklärung, die jedoch gleich zur Phrasendrescherei geriet: Man müsse die Sorgen der Leute ernst nehmen, ihnen ein Angebot machen, das sie „abholt, einbindet und mitnimmt“, natürlich dürfe man die soziale Frage beim Umbau der Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren.

Mau schlug damit in die gleiche Kerbe, die immer wieder bearbeitet wird, wenn es um die Frage geht, wie der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung und dem Erstarken der AfD zu begegnen sei. Wenn man bedenkt, wie wenig erfolgreich diese Herangehensweise bislang war, ist es nicht übertrieben zu sagen: Er machte den gleichen Fehler. Dass die Gesellschaft mit der grünen Transformation vor einer „Jahrhundertaufgabe“ stehe, betonte der Soziologe und äußerte sein Bedauern darüber, dass das Wählervertrauen mit „kleinteiligen“ Streitereien verspielt werde, während man die Bürger doch eigentlich „abholen“ (Maus Lieblingsverb) müsse.

Mau impliziert damit, dass die Unzufriedenheit und der Rechtsruck in den Umfragen vor allem ein Kommunikationsproblem seien – eine Frage der Hilfestellung und staatlichen Zuwendung. Nach dem Motto: Nicht die Entscheidungen der Regierung vertreiben die Wähler, sondern das fehlende Verständnis der Entscheidungen.

Die Autorin und Zeit-Journalistin Jana Hensel betete die gleichen Floskeln herunter: „Ich stimme Steffen Mau in dem Punkt zu, dass Menschen mitgenommen werden wollen.“ Das Problem sah sie darin, dass Robert Habeck „von seiner Intuition verlassen“ worden sei, wie und wann man mit den Menschen kommunizieren müsse. Und auch Katharina Dröge, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, fiel nichts Besseres ein als zu betonen, dass staatliche Förderungen für klimafreundliche Heizungen von Anfang an beim neuen Gebäudeenergiegesetz mitgedacht worden seien.

Ein herablassendes Bürgerverständnis

Fängt man einmal an, darauf zu achten, mit welchen Argumenten Politiker und Medienleute auf die Umfrageproblematik antworten, kommt es einem fast absurd vor. Anscheinend gehen die meisten von ihnen davon aus, dass die Bürger grundsätzlich nicht den Grips haben zu verstehen, was gerade passiert und warum das, was passiert, angeblich zwingend notwendig ist – dass sie „Kampagnen“ auf den Leim gehen und sich von artifiziellen, „kleinteiligen“ Diskussionen verunsichern lassen. Kaum zu ignorieren ist der herablassende, paternalistische Unterton solcher Aussagen. Dass die „Veränderungsmüdigkeit“ der Bevölkerung, die Steffen Mau beobachtetet, aber nicht auf fehlende staatliche Hilfestellung bei der anstehenden Transformation zurückzuführen ist, sondern im Gegenteil auf die Transformation selbst, die die Bürger auch an der Hand das Staates nicht mehr wollen – darauf kommen weder Mau noch Hensel noch Dröge. Und sogar der FDP-Politiker Christian Dürr, dessen Fraktion mehrfach gedroht hat, das neue Gebäudeenergiegesetz zu boykottieren, sieht das Problem vor allem in den ampelinternen Streitereien.

Aus Sicht von Regierungspolitikern mag es durchaus angenehm sein, so zu denken. Wenn man die Aversion der Bürger gegen seine Politik allein auf schlechte Kommunikation zurückführt, vermeidet man auch jede tiefergehende Selbstreflexion, die womöglich unschöne Erkenntnisse mit sich bringen würde. Stattdessen kann man sich weiter in der Vorstellung gefallen, großartige Regierungsarbeit zu leisten, die die Bürger nur einfach nicht verstünden.

Leider ist diese Taktik nicht zielführend. 67 Prozent der AfD-Wähler begründen ihre Entscheidung damit, dass sie „von den anderen Parteien enttäuscht“ seien. Diese Leute holt man nicht zurück, indem man sie „abholt“. Sie sehen und verstehen die Politik der Regierung – und sie wollen sie nicht. Da helfen auch keine Stützräder und Erklärungen in einfacher Sprache. Wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor sagte: Die Bürger sind nicht veränderungsmüde, sie sind „von dieser Regierungspolitik“ müde.

Am Ende hagelt es Schuldzuweisungen

Amthor mag mit dieser Einschätzung richtig liegen, doch das bewahrte ihn nicht davor, in ähnlich witzlose Reflexe zu verfallen wie die anderen Gäste. Er ruhte sich, entsprechend der Linie seines Parteivorsitzenden Friedrich Merz, auf den hohen Umfragewerten seiner Partei aus und wälzte die Verantwortung für das Erstarken der AfD auf die Regierung ab. Das Offensichtliche erwähnte er nicht: Wähler, die einzig von der Regierungspolitik enttäuscht sind, könnten ebenso die größere, bürgerliche Oppositionspartei, die CDU, wählen. Dass sie stattdessen zur AfD strömen, muss der CDU zu denken geben: Auch sie schafft es nicht, die Bürger von ihrem Konzept zu überzeugen. Mehr noch: Da nämlich die AfD nicht eben mit ausgefeilten politischen Konzepten besticht, um es vorsichtig auszudrücken, kann man davon ausgehen, dass die Politik der CDU zwölf Prozent der Bürger nicht nur nicht anspricht, sondern sie genauso verprellt wie die der Regierungsparteien.

Schließlich kam es also, wie es kommen musste: Die Debatte geriet zu einem Hin und Her von Schuldzuweisungen und Unterstellungen. Jana Hensel verteidigte die Grünen, wo es nur ging, lobte Robert Habeck und Annalena Baerbock, die das Land quasi im Alleingang durch die Energiekrise geführt hätten, schalt die CDU für ihre „rhetorische Eskalation“, die für das Erstarken der AfD verantwortlich sei, die FDP dafür, dass sie alle grünen Maßnahmen grundsätzlich boykottiere, und machte deutlich: Die Grünen seien „die einzige Partei“, die „für Klimaschutz sind“. Als hätte es die gescheiterte Gasumlage, das mangelhafte Gebäudeenergiegesetz und die Filz-Affäre um Patrick Graichen nie gegeben. Am Ende lagen sich Amthor und Dürr über der Frage, wer für das Umfragehoch der AfD verantwortlich sei, in den Haaren und konnten nur durch die rigide Intervention von Anne Will getrennt werden, die mit einem Blick auf die Uhr rasch zu den Tagesthemen überleitete.

Ob das Geplänkel die AfD-Zustimmung schmälern konnte? Warten wir doch einfach die nächste Umfrage ab.

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