Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF-Sommerinterview - Heimelig im lauen Abendwind

Wer darauf hoffte, von Annegret Kramp-Karrenbauer ausgerechnet im ZDF-Sommerinterview konkrete Pläne zu hören, kann nun getrost in den Urlaub fahren. Dennoch gewann man in dem 18-minütigen Gespräch viele Erkenntnisse – über den Zustand von Politik und Journalismus

Antworten auf alles: Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF-Sommerinterview / Screenshot ZDF
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Was soll man in knapp 18 Minuten auch schon Neues von Annegret Kramp-Karrenbauer erfahren? Tatsächlich könnte es eine Menge sein, was sich der CDU-Vorsitzenden entlocken ließe. Aber eben nicht in einem Sommerinterview, wenn ein seit Jahren festgefahrenes Format auf eine formelhaft sprechende Politikerin trifft. Die Sommerinterviews im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, bei denen ARD und ZDF Deutschlands Spitzenpolitiker zum Gespräch einladen, erwecken den Anschein, hier nähmen sich Interviewer und Interviewte abseits vom stressigen Berliner Alltags-Politikbetrieb mal so richtig Zeit fürs Wesentliche. Also neudeutsch gesprochen: endlich Realtalk, kein Blabla.

Luft nach oben für alle Beteiligten

Wenn der geneigte Zuschauer sich also im lauen Abendwind zurücklehnt auf der Sonnenliege, die Eiswürfel im Saftglas klingeln lässt, die ZDF-Mediathek-App auf dem iPad aufruft, dann fühlt er sich plötzlich ganz heimelig. Denn was er sieht, ist das Saarland und eine Saarländerin, die gefragt wird, ob sie denn noch glücklich sei mit ihrem Berliner Berufsleben. Dass sie es nicht bereue, freiwillig nach Berlin gegangen zu sein, sagt sie. Natürlich nicht. Dass sie auch stolz sei, immer noch im Saarland Politik zu machen. Hä? Auch in der Vergangenheit. Ach so. Dass sie stolz sei, hier geboren zu sein. Natürlich.

Und so verstreichen an diesem saarländischen Hang, „150 Meter von der französischen Grenze entfernt“, die ersten drei Sendeminuten. Ach so, und die deutsch-französischen Beziehungen, die seien schon immer besonders gewesen und da gäbe es in den nächsten Jahren viele Gemeinsamkeiten, etwa bei der Verteidigungspolitik. Man wolle aber deutlicher werden mit Vorschlägen. „Es gibt also Luft nach oben?“, fragt ZDF-Interviewer Theo Koll noch. Und Kramp-Karrenbauer antwortet: „Auf jeden Fall“. Dass Frankreich und Deutschland beispielsweise sehr unterschiedliche Vorstellungen über gemeinsame Rüstungsprojekte und deren Exporte haben, davon erfährt man nichts.

Erkenntnisgewinn: Annegret Kramp-Karrenbauer ist Saarländerin und findet das vollkommen okay, auch wenn sie jetzt in Berlin arbeitet.

Die Chefin im Ring muss besser werden

Es bleiben also noch knapp 15 Minuten für das Wesentliche. Szenenwechsel. Das ZDF und AKK sind mit Equipment und Equipage ein paar Kilometer weitergezogen in ein „architektonisches Juwel“, die historische Sendehalle des Senders Europe 1. Jetzt wird es wichtig. Nach all den Querelen der vergangenen Wochen, dem falschen Umgang mit dem Rezo-Video, den schlechten persönlichen Umfragewerten und all den laut hörbaren Konkurrenten aus der eigenen Partei, will der Interviewer wissen: „Wie sehr sind Sie Chefin im Ring?“.

Was sie darauf wohl antworten wird? Ja? Nein? Falsch. Annegret Kramp-Karrenbauer sagt: „Ich bin die Vorsitzende der größten deutschen Volkspartei.“ Das wussten wir noch nicht. Noch ist sie das, ja. Sie wiederholt sich: Sie sei im letzten Jahr bewusst (also nicht nur freiwillig) in die Funktion als Generalsekretärin und dann als Parteivorsitzende gewechselt. Damit die CDU so erfolgreich wie bisher bleibe, dafür arbeite sie. Dass dies keine leichte Aufgabe sei, dass die letzten Wochen schwer waren, das sei klar. Aber alle Umfragen würden eben eines ganz deutlich sagen: „Werdet besser“.

Erkenntnisgewinn: Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht nur stolze Saarländerin, sondern auch bewusst-freiwillig arbeitende CDU-Vorsitzende. Und sie hat offenbar gemerkt, dass viele Menschen nicht sonderlich zufrieden damit sind. Immerhin.

Ein Ritt durch den ZDF-Gemüsegarten

Nächster Punkt ist die AfD. Die Vorsitzende habe da ja klare Kante gezeigt, Friedrich Merz aber habe ja nun einen entspannteren Umgang gefordert. Was denn nun die „Chefin im Ring“ dazu sage, will das ZDF wissen. Es gelte der Parteitagsbeschluss, sagt sie. Und dieser laute, es gebe keine Zusammenarbeit mit der AfD. Das Örtchen Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern kommt nicht zur Sprache. Auch nicht die Denkschrift aus sachsen-anhaltischen CDU-Fraktion. Friedrich Merz habe ja nur die Wahl zum Bundestagstagsvizepräsidenten gemeint. Die Wahl eines AfDlers als Vize von Wolfgang Schäuble möchte Annegret Kramp-Karrenbauer gerne den Abgeordneten überlassen. Es klingt nach Gewissensfrage. Nach Ehe mit allen. Auch mit der AfD? Wäre das dann diese institutionalisierte Geschwisterliebe, vor der AKK so viel gewarnt hat? Egal. Der Zuschauer schweift ab. Es geht weiter im Galopp durch den Fernseh-und Gemüsegarten des ZDF.

Hält die Groko? An der CDU werde sie jedenfalls nicht scheitern, sagt Kramp-Karrenbauer. Denn die Regierung sei ja dafür da, zu arbeiten. Na klar. Man müsse jetzt schauen, wer in der SPD übernehme und welche Diskussionen da geführt würden. Aber bislang habe sie von den aktuell Verantwortlichen in der SPD durchaus Positives zur weiteren Zusammenarbeit gehört. Na dann.

Erkenntnisgewinn: Das Klima in der Groko scheint irgendwie doch zu stimmen, auch wenn sich das globale wandelt und die Menschen auf der Straße immer unruhiger werden.

Nicht konkret, nicht konservativ, aber konsensorientiert

Darum wolle man nun bis Ende September auch eine Klimagesetzgebung auf den Weg bringen, sagt die CDU-Vorsitzende. Weil sie den eigenen Ideen aber offenbar nicht traut, vielleicht auch weil die Groko zu wenig eigene hat, kündigt Kramp-Karrenbauer dann an: „Ich bin überzeugt, dass wir einen nationalen Klimakonsens brauchen.“ Darum werde sie auf die Kolleginnen und Kollegen in den anderen Parteien (außer der AfD) zugehen, um darüber zu beraten. Was das konkret heiße, will der ZDF-Kollege wissen. Das heiße, antwortet AKK, dass alle Parteien ihre Vorstellungen erarbeiten würden und dass auch die CDU hier nochmal konkretisieren würde.

Erkenntnisgewinn: Konsens ist das neue Konservativ. In Anbetracht der großen Aufgabe mag das klug klingen. Es sagt aber auch, dass die Große Koalition inzwischen wohl zu klein für große Aufgaben ist. Vielleicht werden künftig alle großen Aufgaben in einem nationalen Konsens gelöst: Pflege, Digitalisierung, Rente, Migration (war trotz Seawatch und Toten im Mittelmeer übrigens kein Thema),... Womöglich könnte sogar das Parlament am Ende über solche Gesetze abstimmen. Wäre das eine Neuigkeit?

Welche Systemfrage ist gemeint?

Ein CO2-Konzept sei auch nicht so einfach, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer. Gleich mit Steuererhöhungen in diese Diskussion einzusteigen, das komme nicht gut. Man müsse sich „das System“ erst mal anschauen und es optimieren. Welches System AKK hier konkret meint, ist nicht zu erfahren. Am Ende werde es wohl einen Mix aus allem möglichen geben.

Erkenntnisgewinn: Es bleibt alles anders.

Wenn Ursula von der Leyen im Europaparlament wegen eines Neins der SPD als künftige Kommissionspräsidentin durchfallen sollte, was dann? Die Spannung steigt. Die Antwort der CDU-Vorsitzenden in diesem lauen Sommerinterview: Wenn die SPD dagegen stimme, dann wäre das eine „maximale und massive Belastung für die Koalition“. Außerdem: Annegret Kramp-Karrenbauer will das Spitzenkandidatenmodell, wie von Ursula von der Leyen in Aussicht gestellt, rechtlich bindend festschreiben. Wie das erreicht werden kann? Die Nachfrage kam leider nicht.

Erkenntnisgewinn: Belastbare Antworten klingen anders. Belastbare Nachfragen auch.

Darf's noch ein bisschen Außenpolitik sein?

Was ist mit dem Iran-Atomabkommen? Das sei nach wie vor das bislang wichtigste Mittel, um den Iran von einer Bombe abzuhalten. Dass die USA ausgestiegen seien, habe eine Eskalation „auf den Weg gebracht“. Aber im Ziel sei man dennoch einig. Ob Deutschland, wie von den USA gefordert, Bodentruppen nach Syrien schicken wird im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat? Das müsse man diskutieren, wenn es soweit ist.

Erkenntnisgewinn: Ein Dementi klingt anders. Aber ein Marschbefehl auch. Darüber abstimmen müsste ohnehin das Parlament. Die CDU-Vorsitzende sitzt dort weder auf der Regierungsbank, noch auf dem Fraktionsgestühl.

Sommerpause anders nutzen

Das war es dann also, das Wesentliche, das der Zuschauer zu erfahren hatte. Dass Annegret Kramp-Karrenbauer, allerdings in der FAZ, davon spricht, „die Niedrigzinspolitik ein Stück weit einbremsen“ zu wollen, ist da doch wesentlich spannender. Obgleich der CDU-Vorsitzenden auch hier klar sein müsste, dass die EZB dem Statut entsprechend politisch unabhängig handeln soll. Auch dann, wenn hier womöglich bald eine Französin präsidiert. Aber wen kümmert das schon, wenn die Sonne im Saarland scheint?

Vielleicht hätten die öffentlich-rechtlichen Sender die diesjährige Sommerpause besser dazu genutzt, sich fürs nächste Jahr endlich ein anderes Format zu überlegen. Nein, das ist kein plumpes Anti-GEZ-Bashing. Aber gerade weil die politischen Themen so komplex sind, wie soll alles innerhalb von 18 Minuten mit ein oder zwei Fragen abgehandelt werden? Wie wäre es mit einem Gespräch, mit einer Person, zu einem Thema, in einer Stunde? Das würde wirkliches journalistisches Nachhaken überhaupt erst ermöglichen.

Erkenntnisgewinn: Ob die Antworten der Politiker dann erkenntnisreicher wären, sei mal dahingestellt. Aber zumindest wäre der öffentlich-rechtliche Auftrag dann erkennbar deutlicher erfüllt. Aber womöglich würde das ZDF nicht substanzieller als Annegret Kramp-Karrenbauer antworten: „Wir werden das diskutieren.“

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