Anne Will über die Verkehrswende - „Das kann’s doch nicht sein!“

Anne Will diskutierte in ihrer Sendung über die stockende Verkehrswende. Einmal mehr zeigte sich: Die Ampel hat keinen gemeinsamen Plan. „Welt“-Journalist Robin Alexander versetzte das „Polittheater“ von FDP und Grünen regelrecht in Rage.

Die Gesprächsrunde bei Anne Will am gestrigen Sonntag / Screenshot ARD Mediathek
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Bei kaum einem Thema stehen sich FDP und Grüne so unversöhnlich gegenüber wie bei der Verkehrswende. Das zeigte sich einmal mehr in Anne Wills Sendung, die den Streit der beiden Koalitionspartner um die richtigen Maßnahmen aufgriff. Knapp 50 Millionen PKW gibt es in Deutschland, so viele wie nie zuvor. FDP und Grüne streiten angesichts dessen, ob der Ausbau von Autobahnen vereinfacht und beschleunigt werden oder ob die Ampel-Regierung den Ausbau des Schienennetzes priorisieren soll.

„Auto oder Bahn, Tempo oder Limit: Steckt die Verkehrswende im Stau?“, wollte Will von ihren Gästen wissen. Zu Gast waren Welt-Journalist Robin Alexander, Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang, FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr, CDU/CSU-Geschäftsführer Thorsten Frei sowie die Autorin, Podcasterin und Mobilitätsberaterin Katja Diehl.

Das Fazit des einstündigen Schlagabtauschs brachte die Moderatorin bereits in ihrer Anmoderation auf den Punkt: „Die Ampel bremst sich aktuell selbst aus.“ Die Grünen haben ihre Sicht, die FDP sieht das völlig anders – und irgendwann muss Olaf Scholz sagen, was er will.

„Wir sind zu langsam“

„Die ganze Welt hat verstanden, dass Klimakrise ist, nur die FDP will zehnspurige Autobahnen bauen“, so Anne Wills provokanter Einstieg. Ob das nicht zu viel der Geisterfahrerei sei, wollte Will von FDP-Vertreter Christian Dürr wissen. „Wir müssen überall schneller werden“, rechtfertigte der sich, sowohl beim Schienennetz als auch bei den Autobahnen.

„Wenn ich alles priorisiere, priorisiere ich gar nichts“, hielt Grünen-Politikerin Ricarda Lang dagegen. In Zeiten der Klimakrise könne man nicht unabhängig von Klimaschutzfragen in Projekte investieren, sondern müsse die besonders klimaschonenden Projekte priorisieren. Der Bau von mehr Autobahnen gehört für sie erwartungsgemäß nicht dazu.

Tatsächlich führten mehr Autobahnen zu mehr Autos, was wiederum zu mehr Autobahnen führe, pflichtete Will bei. „Es ist ein Teufelskreis. Sollte man ihn nicht stoppen?“, fragte sie in Richtung Thorsten Frei. Nein, fand der CDU-Mann. Viele Menschen seien auf den Individualverkehr angewiesen, man müsse den Unterschied zwischen Ballungsräumen und ländlichen Räumen berücksichtigen, so der ehemalige Oberbürgermeister von Donaueschingen. Zudem hätte die Sanierung von Autobahnen und Engstellen positive Klimaeffekte. Durch Staus entstünden Emissionen, mehr Autobahnen würden dem entgegenwirken. Im Kern vertrat er Christian Dürrs „Wir müssen überall schneller werden“-Standpunkt. „Unser Problem in Deutschland ist, dass wir zu langsam sind. Wir brauchen einen Turbo.“

Und dann wäre da noch das große Ampel-Reizthema: Tempolimit. Der Expertenrat für Klimafragen hat Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) jüngst bescheinigt, dass die Emissionsreduktionen im Verkehrssektor bei weitem nicht reichen, zuletzt stiegen sie sogar. Ein Tempolimit würde bis zu 5 Tonnen Emissionen im Jahr verhindern, was allein schon fast ausreichte, um die jährlich gesetzten Ziele zu erreichen. Er wolle den Leuten nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, sagte CDU-Mann Frei nur dazu. Wissings Parteikollege Dürr schob die Verantwortung für das, was falsch läuft, auf die Fehler der schwarz-roten Vorgängerregierung. Das nannte er dann „verschüttete Milch der Vergangenheit“, die Ampel wolle es jetzt besser machen.

„Gegen die Menschenwürde“

Robin Alexander war für die parteipolitischen Einordnung des Streits verantwortlich. Es sei kein gemeinsamer Plan in der Ampel-Koalition zu erkennen. „Ich habe den Verdacht, dass man sich nach der Berlin-Wahl schneller entscheiden wird“, so Alexander, der den Regierungspartien vorwarf, das Thema Verkehrspolitik zu einem Wahlkampf-Profilierungstheater mit effekthascherischen „Verbotspartei“- und „Klimasünder“-Vorwürfen zu degradieren.

Dass die Wende schneller vonstatten gehen muss, darin sind sich FDP und Grüne einig. Aber eben nicht mit Schwerpunkt Autobahnen: Neue Autobahnen würden nicht zu weniger Stau, sondern zu mehr Verkehr führen, meinte Ricarda Lang. Staus verhindere man langfristig am effektivsten, wenn man massiv ins Bahnnetz investiert, damit die Menschen vom Auto zum öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Podcasterin Katja Diehl, laut Bild-Zeitung „bekennende Autohasserin“, machte sich Langs Kritik mit einem Vergleich zu eigen: „Autobahnen zu bauen, um Staus zu verhindern, ist wie den Gürtel zu lockern, um abzunehmen.“

Diehl wollte auch Thorsten Freis Punkt, auf dem Land seien Menschen auf Autos angewiesen, nicht gelten lassen. „Ich will, dass es ein Grundrecht auf freie Wahl der Mobilität gibt.“ Auf’s Auto angewiesen sein zu müssen, sei in ihren Augen sogar „gegen die Menschenwürde“. Denn „wenn ich vom Auto abhängig bin, bin ich nicht frei.“

Auf dem Land komme es nicht bloß darauf an, wie die Menschen vom Dorf schnell in die Stadt, sondern wie sie von Dorf zu Dorf kommen, erwiderte Frei. „Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass das ohne Individualverkehr möglich sei.“ Dennoch bräuchte es gleichzeitig massive Investitionen in die Bahn, um die Menschen zum Umstieg zu bewegen. Dazu gehörten aber nicht Subventionierungen in Tickets, wichtig sei, dass es überhaupt Haltestellen auf dem Land gibt und die Bahnen sauber, sicher und pünktlich sind. Deswegen sei das 49-Euro-Ticket auch zu kurz gedacht, weil es nur eine Investition in den Preis sei.

Robin Alexander in Rage

Mit der Pünktlichkeit hapert’s bekanntlich reichlich. „Was haben wir mit der Bahn erlebt?“, fragte ein zunehmend fassungsloser Robin Alexander, als Anne Will das Gespräch auf das Deutschlandticket lenkte. „Das letzte halbe Jahr war Horror. Was haben wir gestanden, was haben wir gewartet!“. Deutsche Züge könnten nicht über 300 Km/h fahren, weil das Streckennetz das nicht hergebe, das Wlan funktioniere oftmals nicht. „Das kann’s doch nicht sein!“

Auch auf Ricarda Langs Forderung, das sogenannte Dienstwagenprivileg abzuschaffen, reagierte Alexander fassungslos. „Darüber reden wir doch schon seit 20 Jahren.“ Würde man das Privileg abschaffen, würden Millionen Deutsche wieder Fahrtenbücher führen. „Und das wollen wir ernsthaft als unsere Idee gegen den Klimawandel aufbringen?“

Der Welt-Journalist redete sich regelrecht in Rage, nannte das Beispiel einer Verbindung zwischen Dänemark und Festland-Europa, die statt 2021 erst 2029 starten soll. Der LNG-Terminalbau habe gezeigt, wie schnell es eigentlich gehen kann. Aber statt Ergebnissen gebe es immer noch nur endlose Diskussionen, auch bei Will in der Sendung. Man müsse einfach nur das Bestehende schneller machen. „Warum macht die Ampel kein fortschrittliches Schienennetz?“, fragte Alexander, um einmal mehr zu konstatieren: „Das kann’s doch nicht sein!“

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