
- Teurer Freund, du bist verschuldet
Finanziell, personell und strukturell ist die Deutsche Bahn ein Desaster. Und schlimmer noch: Politiker und Manager scheinen keine Vision für die Zukunft der Mobilität zu haben. Für Kunden aber gibt es Streiks und immer teurere Tickets
Auf die Deutsche Bahn AG ist Verlass. Zuverlässig bedient sie ihre Kunden und darüber hinaus die Öffentlichkeit nicht nur mit instabilen Betriebsabläufen, steigenden Preisen und miserablem Service, sondern auch mit regelmäßigen Meldungen über ihre desaströse Gesamtverfassung. Nachdem das staatseigene Unternehmen im Laufe der inzwischen beerdigten Pläne für einen Börsengang mehr als ein Jahrzehnt auf Sparkurs getrimmt und auf Verschleiß gefahren wurde, steht man nunmehr vor dem Trümmerhaufen dieser gescheiterten Politik.
Infrastruktur und rollendes Material sind dermaßen marode, dass dem Verfall nur noch notdürftig hinterher geflickt werden kann. Es fehlt an Werkstattkapazitäten, mit der Folge, dass nur noch 20 Prozent der im Fernverkehr eingesetzten ICE-Züge voll funktionsfähig sind. Die Pünktlichkeitsquote, die auch Verspätungen von bis zu sechs Minuten einschließt, ist erneut gesunken, auf 71,8 Prozent. Der Güterverkehr, dessen Infrastruktur nicht nur vernachlässigt, sondern phasenweise sogar zurückgebaut wurde, verliert weiterhin beständig Marktanteile.
Fachkräftemangel in vielen Bereichen
Auch der Mangel an qualifiziertem Personal hat dramatische Ausmaße angenommen, alleine im „betriebskritischen Bereich“ des Zugverkehrs fehlen knapp 6.000 Mitarbeiter, vor allem Lokführer, Zugbegleiter, Fahrdienstleiter und Disponenten. Insgesamt sind bis zu 18.000 Stellen unbesetzt. Entsprechend mehr müssen die Beschäftigten arbeiten. Zeitweilig hatten sich in dem Unternehmen bis zu acht Millionen Überstunden angehäuft.
Eine Art Befreiungsschlag soll nunmehr kurz- und mittelfristige Abhilfe schaffen: Der Aufsichtsrat berät derzeit über ein zusätzliches Investitionsprogramm mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro, das bereits bis Mitte kommenden Jahres deutliche Ergebnisse in Bezug auf Qualität und Pünktlichkeit bringen soll. Um dies zu finanzieren und dennoch den imposanten Schuldenberg von rund 20 Milliarden Euro allmählich abzubauen, wird unter anderem der Verkauf der international operierenden Tochterfirmen Arriva und Schenker erwogen.
Ob dieses eher aktionistische Notprogramm tatsächlich zu einer schnellen oder gar nachhaltigen Verbesserung der Situation führen können, ist zweifelhaft. Ohnehin wird der Investitionsstau bei der Bahn auf insgesamt 50 Milliarden Euro taxiert. Und selbst, wenn ausreichend Mittel für neues Personal bereitgestellt werden: Wie will man die benötigten Fachkräfte bekommen? Der Arbeitsmarkt für Lokführer ist faktisch leergefegt. Anwerbeversuche in ost- und südosteuropäischen Ländern stoßen schnell an ihre Grenzen, da Bahnunterunternehmen wie in Österreich, der Schweiz oder Skandinavien nicht nur bessere Bezahlung sondern auch wesentlich bessere Arbeitsbedingungen bieten. Bei dringend benötigten Ingenieuren, IT-Spezialisten und qualifizierten Handwerkern sieht es nicht anders aus.
Schienennetz und Fahrzeugflotte sind veraltet
Auch bei der Infrastruktur sind die zunehmenden Probleme absehbar. Jahrzehntelange Flickschusterei am Schienennetz und an der Stellwerkstechnik lassen sich nicht im Schnellverfahren überwinden. Zumal sich die Bahn lange Zeit auf ebenso teure und zweifelhafte Großprojekte wie „Stuttgart 21“ oder den Neu- und Ausbau einzelner, vom Gesamtnetz weitgehend isolierter Hochgeschwindigkeitsstrecken konzentriert hat.
Ähnlich die Situation beim rollenden Material. Viel zu spät und viel zu zögerlich wurde die Ersetzung der betagten und teilweise maroden Fernverkehsflotte in Angriff genommen. Die neuen Züge wie der ICE 4 tröpfeln nur in den Bestand und werden zudem hauptsächlich auf den wenigen Hochgeschwindigkeitsstrecken mit „Sprinter“-Verbindungen eingesetzt. Eine schnelle Aufstockung ist nicht realisierbar, weil die entsprechenden industriellen Produktionskapazitäten fehlen. Im Nah- und Regionalverkehr gibt es vergleichbare Probleme. Die Flotte der Berliner S-Bahn besteht nach mehr als einer Dekade „Sparpolitik“ größtenteils aus rollendem Schrott, der entsprechend pannenanfällig ist. Das sorgt neben dem Personalmangel und der Flickschusterei an der Infrastruktur für fast täglich ausfallende, verspätete und vollkommen überfüllte Züge. Auch hier ist Abhilfe bestenfalls mittelfristig in Sicht.
Lokführer können Deutschland stilllegen
Und wie es der Zufall so will, finden zeitlich parallel zu den Beratungen des Aufsichtsrats auch Tarifverhandlungen bei der Bahn statt. Die haben bei diesem Unternehmen stets eine besondere Brisanz, den das Management hat es mit zwei konkurrierenden und in herzlicher Abneigung einander verbundenen Gewerkschaften zu tun: der zum DGB gehörenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Letztere hat den Anspruch, eigene Tarifverträge für ihre Mitglieder beim gesamten Fahrpersonal abzuschließen. Die Bahn will aber logischerweie unter allen Umständen, dass es in wesentlichen Bereichen unterschiedliche Tarifverträge gibt.
Beide Gewerkschaften müssen ihren Mitgliedern natürlich ihre jeweilige Durchsetzungsfähigkeit beweisen, um Aus- und Übertritte zu verhindern. War es in den vergangenen Runden stets die GDL, die sich äußerst kratzbürstig zeigte, so demonstrierte diesmal die EVG am vergangenen Montag mit einem vierstündigen Warnstreik, dass auch sie in der Lage ist, den Bahnverkehr flächendeckend weitgehend lahmzulegen.
Für die Bahn dürfte es bei dieser Tarifrunde besonders schmerzlich sein, dass sie jenseits des Gerangels um Höhe und Laufzeit der Lohnerhöhung auch beträchtliche Zugeständnisse in Bezug auf Urlaubs- und Freizeitansprüche machen muss, besonders für Beschäftigte im Schichtdienst. Das macht die Betriebsorganisation in Verbindung mit dem dramatischen Personalmangel zu einer Herkulesaufgabe.
Es fehlt die Vision zur Verkehrs- und Mobilitätswende
Doch egal ob Aufsichtsratsberatungen oder Tarifverhandlungen: Ein irgendwie gearteter Befreiungsschlag, der das dümpelnde Staatsunternehmen wieder auf Kurs bringen könnte, ist derzeit nicht in Sicht. Es fehlt schlicht an einer politischen und unternehmerischen Vision, wie der Schienenverkehr als tragende Säule der viel beschworenen und dringend notwendigen ökologischen Verkehrs- und Mobilitätswende entwickelt werden soll. Mit einem stabilen, flächendeckend vernetzten Fahrplan, einem einfachen, sozial verträglichen Preissystem, gutem Service, attraktiven Arbeitsbedingungen und einer konkurrenzfähigen Infrastruktur für den Güterverkehr. Ein „Weiter so“ mit ein wenig weißer Investitionssalbe aber führt aufs tote Gleis.