Baerbock zu China und Russland - „Ich habe dazu jetzt alles gesagt“

Annalena Baerbock war zu Gast bei Sandra Maischberger. Das Interview zeigt sinnbildlich, wie arglos in Deutschland über Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert wird. Das gilt vor allem für Gastgeberin Maischberger.

Annalena Baerbock setzt sich in New York ins rechte Licht /dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Laut einer heute vorgestellten Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung machen sich derzeit 62 Prozent der Deutschen Sorgen um die Ausweitung des Kriegs in der Ukraine. Und gewiss: Man würde diesen Menschen nur allzu gerne beruhigend auf die Schulter klopfen und ihnen versichern: „Wird schon so schlimm nicht werden!“ Zumal Angst noch nie ein guter Ratgeber gewesen ist, schon gar nicht in zugespitzten Weltlagen. Doch irgendwie kann man diese besorgten Menschen durchaus verstehen. Vielleicht nicht grundsätzlich, aber wenn man sich gestern den Exklusiv-Talk in der ARD-Sendung „Maischberger“ angeschaut hat, den Gast- und Namensgeberin Sandra Maischberger mit der aus New York zugeschalteten deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) geführt hat, dann kommt man gelegentlich schon mal ins Grübeln.

Wieder einmal nämlich gab der begehrte Polit-Talk, den gestern immerhin 1,38 Millionen Menschen gesehen haben, die intellektuelle Flughöhe wieder, auf der in Deutschland derzeit über Geopolitik und somit über die drängenden Fragen von Krieg und Frieden gesprochen wird. Und um es gleich vorweg zu sagen: Der Diskurs scheint sich noch immer in einem anhaltenden Sinkflug zu bewegen – derart tief unter dem Radar, dass es der breiten Öffentlichkeit nicht einmal mehr aufzufallen scheint, wenn Deutschlands oberste Diplomatin in einem beiläufig fabrizierten Nebensatz einem „Russlandkrieg“ das Wort redet („… es geht bei diesem Russlandkrieg auch darum, ein Signal gegen andere Länder in der Welt zu senden“). 

Wenn Wording und Feeling sich überschlagen

Nun hat sich die Fähigkeit zur allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden schon öfters als Defizit bei Annalena Baerbock erwiesen. Und wie schon bei ihrem Patzer im Januar während einer Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats („Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“), will man auch diesmal gerne wieder zwei Augen zudrücken und das Ganze als längst eingespielten Lapsus Linguae verbuchen, der sich bei der Außenministerin immer dann einzuschleichen scheint, wenn „Wording“ und „Feeling“ sich wieder einmal wild überschlagen. Es muss ja nicht gleich hinter jedem sprachlichen Holperer die berühmte Fehlleistung von Professor Freud vermutet werden, mit der gewiss allzu leicht besorgte Bürger gleich einen Blick ins Unbewusste der gesamten westlichen Außenpolitik vermuten wollen. Doch erwähnen sollte man solch Kollateralschäden im öffentlichen Rededuell durchaus. Oder hat man sich hierzulande etwa längst daran gewöhnt, dass es in der deutschen Politik immer wieder mal ruckelt, um an dieser Stelle eine beliebte Redewendung des Bundeskanzlers zu gebrauchen?

 

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Doch geschenkt! Baerbock neigt eben zuweilen zum Pathos. Das hat sie jüngst erst wieder bewiesen, als sie den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping im amerikanischen Fernsehsender Fox News einen Diktator schimpfte. Ein weiterer Wording-Schwupper, auf den der Kommentator des gestrigen Fernsehprogramms sicherlich an späterer Stelle noch einmal eingehen wird. Der will in diesem Moment aber noch gar nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Denn im Gegensatz zum Fox-Interview, an dessen Ende die Einbestellung der deutschen Botschafterin in China stand, dürfte der ARD-Talk zumindest auf internationaler Bühne kaum registriert worden sein. 

Denn wen interessieren in der weiten Welt schon die Trockenübungen deutscher Außenpolitik? Global gesehen, das bewies jüngst erst wieder die ausschließlich von hiesigen Journalisten besuchte Pressekonferenz von Baerbocks Staatssekretärin in New York, niemanden. Wer an der Selbstverzwergung Deutschlands noch irgendwelche Zweifel hatte, dem konnten jüngst die leeren Ränge bei der Rede von Olaf Scholz vor der UN-Vollversammlung noch einmal die Augen öffnen. Aber auch in Deutschland selbst scheint das Thema Außen- und Sicherheitspolitik nur noch wenig Interessenten zu finden. Außer Wolodymyr Selenskyj, der Deutschland jüngst allen Ernstes für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat vorschlug, scheint aktuell niemand zu wissen, was es mit dem Werderschen Markt in Berlin eigentlich so genau auf sich hat.

Nachrichten in einfacher Sprache

Wie anders wäre es zu erklären, dass das vom WDR produzierte Interview von Sandra Maischberger mit der Außenministerin streckenweise nicht einmal über das Niveau der immer beliebter werdenden „Nachrichten in einfacher Sprache“ hinauskam? Und das lag gar nicht so sehr an der geladenen Ministerin; es war die Gastgeberin Sandra Maischberger selbst, die mit ihren Fragen eine Einfachheit an den Tag legte, die schon in der Eröffnung eher an den öffentlich-rechtlichen Kanal KiKa denn an Fernsehen für die ganz Großen erinnerte: „Frau Baerbock, sie haben in der Ukraine eine Kinderhilfsorganisation besucht […], und ein elfjähriges Mädchen soll sie dort gebeten haben, sie sollen bei jeder Rede in der UN mit „Slava Ukrajini“ enden […]. Wollen Sie diesen Wunsch erfüllen?

Doch wer sich bereits bei diesem infantilen Opener verdutzt die Augen rieb, der wurde in der folgenden halben Stunde auf eine wirklich harte Probe gestellt: „Unterstützen Sie die Forderung, Russland aus dem Sicherheitsrat auszuschließen?“, war etwa eine weitere Frage in diesem wirklich noch hoch hinaus wollenden Nerventest für alle Gebührenzahler und Schwarzgucker. Eine Frage, die so blauäugig klang, als hätte Maischberger seit dem 24. Oktober 1945, dem Tag der Gründung des UN-Sicherheitsrates, doch tatsächlich sämtliche Diskussionen um das merkwürdige Kräfteverhältnis im obersten UN-Gremium, das laut UN-Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens trägt, konsequent verschlafen. Selbst Baerbock konnte sich an dieser Stelle das Lachen nicht mehr verkneifen.

Es geht nicht um den Pizzaboten

Nachdem dann später noch über die ausstehende Taurus-Lieferung, immerhin ein Marschflugkörper-System, mit dem im ungünstigsten Fall Ziele auf russischem Boden angegriffen werden können, in einer Form konversiert wurde, die Unbeteiligten das Gefühl hätte geben können, es handelte sich um einen ausgebliebenen Pizzaboten und nicht um handfeste deutsche Sicherheitsinteressen, wurde die Moralschraube Stück um Stück enger gedreht: Warum sich Baerbock mit dem republikanischen Senator Greg Abbot zum Gespräch getroffen habe, wollte die Moderatorin noch wissen. Der Mann sei schließlich gegen Abtreibung und gegen die Gender-Politik

Man muss es Annalena Baerbock wirklich anrechnen, dass sie hier wie an zahlreichen weiteren Stellen des Interviews eine Seite von sich preisgab, die man so noch nicht kannte. Offen und zumeist auf Ausgleich bemüht wirken ihre Statements. Immer wieder plädierte sie für das Offenhalten diskursiver Räume (auch mit Russland) und unterstrich die Gleichzeitigkeit von Abschreckung und Diplomatie. Es ist eine Politik des Sowohl-als-auch, der sie das Wort redet: „Es ist doch gut, dass wir miteinander sprechen“, sagte sie etwa zu dem Vorwurf, sie habe sich mit einem republikanischen Hardliner unterhalten. Es sei Teil von Demokratie, sich mit Leuten zu treffen, die eine andere Meinung haben.

Doch dann kam eben China; dann kam Xi Jinping und der im Raum stehende Diktatorenvergleich. Und da schien die eben noch so sprechlüsterne Außenministerin ganz plötzlich ihre wiedergefundene Freude am Austausch wieder einzubüßen. Gefragt, ob ihre international umstrittene Äußerung im amerikanischen Fernsehen die darauf folgenden diplomatischen Verwerfungen denn Wert gewesen seien, wird Baerbock mit einem Mal mädchenhaft bockig. „Ich habe mich geäußert wie ich mich geäußert habe.“ Schweigen. Nachfrage. Noch mal Schweigen. „Ich habe dazu jetzt alles gesagt“, heißt es schließlich gegen Ende. Und dieses Ende ist wohl zugleich auch das Ende der neuen Sprechfähigkeit im Auswärtigen Amt. Wenn das das Niveau der hiesigen Außen- und Sicherheitspolitik ist, kann man durchaus verstehen, dass sich die Mehrheit der Deutschen ernsthafte Sorgen um Frieden und Stabilität macht.

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