AfD-Fall Andreas Kalbitz - Zwischen Schlammschlacht und Rosenkrieg

Der Rauswurf von Andreas Kalbitz aus der AfD treibt die ohnehin tief gespaltene Partei weiter auseinander. Am Ende könnte eine Übernahme durch den Flügel stehen. Denn Björn Höcke bleibt das Idol. Mit Andreas Kalbitz gibt es nun aber einen Märtyrer und mit Jörg Meuthen ein zentrales Feindbild.

Der AfD-Fraktionsvoristzende Andreas Kalbitz im brandenburgischen Landtag / dpa
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Autoreninfo

Dr. Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler. Er lebt seit fünf Jahren in Tallinn, Estland, und ist als Politikberater und -experte zu den Themen Flüchtlinge und Digitalisierung tätig. Im Oktober 2018 erschien sein Buch „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ bei Hoffmann und Campe. Im Februar 2020 wurde das Buch aktualisiert und in englischer Fassung vom Springer-Verlag veröffentlicht. 

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Eigentlich hätte die AfD in diesen Zeiten genug zu tun, sich an die Spitze der Coronademonstrationen zu stellen und das zu machen, was ihr am liebsten ist: Fundamentalopposition zur Regierung zu betreiben. Doch die Partei zerfleischt sich selbst, wie der durchaus überraschende Beschluss von Freitagabend zeigt. Der Bundesvorstand entschied nun mit einem denkbar knappen Votum von sieben zu fünf bei einer Enthaltung, Andreas Kalbitz die Mitgliedschaft zu entziehen. Co-Parteivorsitzender Jörg Meuthen hat sich durchgesetzt, Alexander Gauland, Alice Weidel und andere sind unterlegen und wirken konsterniert. Kalbitz selbst war Mitglied des Bundesvorstands und hat selbst an der für ihn fatalen Sitzung teilgenommen.

In dieser ging es nicht um den Richtungsstreit zwischen Gemäßigten und Radikalen, zwischen Ost und West, sondern um etwas ganz Profanes, das Verschweigen von einstigen Mitgliedschaften bei Parteieintritt. Das verstößt gegen die Unvereinbarkeitsliste der Partei. Der offensichtliche Lügner Kalbitz ist nicht irgendwer, sondern einer der wichtigsten Protagonisten der Partei – Landes- und Fraktionsvorsitzender in Brandenburg. Er ist erfolgreicher Wahlkämpfer, führte die Partei bei der letzten Wahlkämpfer auf 23,5 Prozent und damit Platz zwei.

Den Weg zu einer bürgerlichen Partei versperrt

Nun muss er die Partei verlassen, was nicht nur zu juristischen, rosenkriegsartigen Auseinandersetzungen führen wird, sondern den Richtungsstreit dramatisch verschärfen dürfte. Der AfD droht damit ein Fall „Thilo Sarrazin“, der aber weitaus schlimmere interne Folgen haben könnte. Wie die Diskussion in den sozialen Medien bereits zeigt, trifft der Verbalradikalismus diesmal nicht die anderen Parteien, sondern schlägt im Maschinenraum der Partei keulenartig um sich. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner etwa fordert einen Sonderparteitag. Die „Wutbürger“ der Partei machen ihrem Ärger Luft. Meuthen könnte sein entschiedenes Vorgehen noch den Kopf kosten. Parteienrechtler haben schon erklärt, dass die Entscheidung vermutlich nicht haltbar ist, zumal das Eintrittsdokument von Kalbitz angeblich nicht mehr auffindbar sei.

Die Geschichte der AfD ist die einer wenig homogenen Partei. Austritte vieler Funktionäre zeichnen den Weg. Dennoch könnte der Fall „Kalbitz“ einen Kollateralschaden verursachen und die AfD sogar zu einer Art „NPD 2.0“ machen. Der Weg zu einer angeblich bürgerlichen Partei, wie Meuthen ankündigt, ist ihr durch das eigene Machtgefüge ohnehin versperrt.

Lügengestrick als Ursache für den Rausschmiss

Andreas Kalbitz steht wie Björn Höcke dem Flügel vor. Im März 2020 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz über diesen ein 258-seitiges Gutachten intern veröffentlicht. Es sieht im Flügel eine „erwiesen extremistische Bestrebung“. Der Verfassungsschutz erkennt mit zahlreichen Belegen Verstöße gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratieprinzip und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Kalbitz etwa unterscheidet mit Blick auf die Geburtenrate einander ausschließend und strikt zwischen „Bevölkerung“ und „Volk“, „Deutschen“ und „Eingebürgerten“, etwa auf einer Rede im bayerischen Hirschhaid am 30. Juni 2019. Der Flügel selbst unternahm keinerlei Versuche, die ihm zur Last gelegten Positionen zu relativieren oder sich von ihnen zu distanzieren.

Die nun erfolgte Einstufung als Beobachtungsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf. Daten zu einzelnen Personen dürfen gesammelt und gespeichert werden. Als Folge ist dieser nun offiziell aufgelöst, was rein taktisch bedingt ist. Kalbitz stolperte über die Seiten 228 und 229 im Bericht. Schon lange wurde über seine Vergangenheit gemunkelt.

Nun steht da: „Kalbitz unterhielt jahrelang bis unmittelbar vor seinem Eintritt in die AfD Beziehungen zum organisierten Rechtsextremismus. Nachweislich stand Kalbitz über mindestens 14 Jahre in Kontakt mit dem im Jahr 2009 verbotenen rechtsextremistischen Verein „Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ)“ und war dort Mitglied.“ Kalbitz hat etwa im August 2019 erklärt, weder er noch seine Kinder hätten sich an HDJ-Lagern beteiligt. Nun steht aber im Bericht, dass „Erkenntnisse in Form einer Mitgliedliste (Stand 2007) vor, in der unter der Mitgliedsnummer 01330 die „Familie Kalbitz“ genannt wird. Der Bericht spricht von „anhaltenden Falschaussagen“. Wer an eine glaubwürdige Opposition und eine „ehrliche Partei“ glaubte, dürfte nun enttäuscht sein.

Versuch der Machtübernahme

Wie Björn Höcke bereits ankündigte, will er keine eigene Parteigründung. Der Flügel dürfte nun also nach der Macht greifen und versuchen, sich an Meuthen und den anderen zu rächen. Dabei stehen die Chancen gar nicht schlecht. Der rein formal nie existente Flügel, der sogar einen eigenen Fanshop hatte, ist zu mächtig, um sich einfach „in Luft aufzulösen“. Ihm gehören nach Recherchen circa ein Drittel der Parteimitglieder an. Der Verfassungsschutz bezieht sich auf die Eigenaussage von Co-Bundessprecher Jörg Meuthen, der das Personenpotential auf  20-30 Prozent schätzt. Höcke geht davon aus, 40 Prozent der Delegierten hinter sich zu haben.

Von daher wird es der AfD nicht gelingen, nun zu behaupten, sie habe sich von Extremisten getrennt. Dann müsste mindestens 7000 Mitgliedern vor die Tür setzen, allesamt Sympathisanten des „Flügels“. Jörg Meuthen dachte sogar öffentlich über diesen illusionären Schritt nach. Wie der Verfassungsschutz schreibt, ist um Höcke ein regelrechter „Personenkult“ entstanden. Kalbitz gilt als „unermüdlicher Netzwerker“. Ein jüngster Fall in Schleswig-Holstein spricht Bände. Dort verschickte der Landesvorstand eine Mail mit dem Schreiben von Doris von Sayn-Wittgenstein. Die frühere Landesvorsitzende Schleswig-Holsteins, Mitglied des Flügels, wurde im August 2019 aus der Partei ausgeschlossen, weil sie für die Mitgliedschaft in einem offen rechtsextremen Verein war.

Parallelen zum Fall „Kalbitz“ drängen sich auf. Die Vertreter des Flügels werden nicht klein bei geben. Sie sind als „Solidargemeinschaft“ gut organisiert und haben weiterhin mit Björn Höcke ein Idol, aber nun auch mit Andreas Kalbitz einen Märtyrer und mit Jörg Meuthen ein zentrales Feindbild. Ihn wird die populistische Wir-gegen-die-da treffen, die sich eigentlich gegen die „Altparteien“ richtet. Höcke hat schon über ein Video die entscheidenden Botschaften ausgesandt. Er spricht von einem „Verrat an der Partei“ und warnt vor einer „Zerstörung der AfD“. Kalbitz wird sich ebenfalls zur Wehr setzen. Ein schmutziger Grabenkampf steht bevor. Vor den Augen des Verfassungsschutzes, der eine Beobachtung der Gesamtpartei bereits im Bericht in Erwägung gezogen hat.

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