Gender Pension Gap - Armut bei Renteneintritt

Trotz gleichstellungspolitischer Reformen haben sich die grundsätzlichen Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern nicht zu Gunsten von erwerbstätigen Frauen geändert. In der Folge sind Frauen weit häufiger von Altersarmut betroffen als Männer. Was tun?

Lange Schlange vor der Münchner Tafel / dpa
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Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Am Ende eines langen Erwerbslebens freuen sich viele auf die Rentenzeit. Eine Zeit, in der sie reisen, ihre Enkelkinder häufiger sehen, unbeschwert ihren Hobbys nachgehen können – kurzum: darauf, das nachzuholen, wofür sie im  Arbeitsalltag keine oder nur wenig Zeit hatten. Doch viele dieser Träume scheitern für zahlreiche Senioren an einer zu geringen Rente, die häufig nicht ausreicht, um den aus der Erwerbszeit gewohnten Lebensstandard zu finanzieren.

Besonders hart trifft es häufig Rentnerinnen in Westdeutschland, die im Gegensatz zu ostdeutschen Frauen nur Teilzeitbeschäftigungen nachgingen und daher geringere Rentenansprüche haben. Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2021 lag die durchschnittliche Altersrente von Frauen bei circa 807 Euro, bei Männern betrug sie 1227 Euro. Somit bekamen Rentnerinnen im Durchschnitt nur zwei Drittel von dem, was Rentner an Altersrente bezogen. 

Differenz im Osten geringer als im Westen

Die geschlechtsspezifischen Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen betrugen im vergangenen Jahr 18 Prozent. Zwar kündigte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die auch Ministerin für Senioren, Frauen und Jugend ist, weitere Maßnahmen wie den Ausbau der Ganztagsbetreuung und für mehr Frauen an Führungspositionen an, um diese Lücken zu schließen. Doch diese werden bei Weitem nicht ausreichen, um Millionen Frauen vor dem „Gender Pension Gap“ zu bewahren.
 

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Die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen betrug im Jahr 2021 bemerkenswerte 31,8 Prozent. Im Osten ist dieser Wert geringer als im Westen, wo Vollzeit arbeitenden Müttern durchaus noch mit moralischem Argwohn begegnet wird. Beim Gender Pay Gap wie auch dem Gender Pension Gap gilt: Je höher der Bildungsabschluss, desto geringer die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern. 2011 wies Deutschland innerhalb der OECD-Länder mit 45 Prozent die höchste Differenz in den Renten auf, Estland mit 5 Prozent die geringste.

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, kritisiert diese Einkommens- und Rentenunterschiede. Sie sagt:
„Die Rente gilt als Spiegelbild der Teilhabe am Erwerbsleben. Dass die Leistungen, die Frauen am Ende ihres Erwerbslebens im Durchschnitt aus der gesetzlichen Rentenkasse beziehen, nicht einmal halb so hoch sind wie die von Männern, macht deutlich, dass Frauen von einer gleichberechtigten Teilhabe am Erwerbsleben noch immer weit entfernt sind.“ 

Die Gründe sind vielseitig

Frauen verdienten 2021 im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Eine schlechte Betreuungsinfrastruktur und das Fehlen privater Betreuungsmöglichkeiten sind Gründe dafür, dass erwerbstätige Frauen nach der Geburt ihres Kindes Teilzeit arbeiten. Zudem ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Vollzeit arbeitenden Müttern in Westdeutschland geringer. Somit tappen viele in die „Teilzeitfalle“ und bezahlen jahrelang zu wenig in die Rentenkasse ein.

Vielen Frauen mangelt es außerdem an Finanzwissen, um sich rechtzeitig um die finanzielle Absicherung im Alter zu kümmern. Oft wählen sie im Gegensatz zu Männern geringer bezahlte Jobs im Service- und Dienstleistungssektor. Sie wechseln seltener den Job, um mehr Geld zu erhalten und führen seltener als Männer Gehaltsgespräche. Zudem stecken sie auf Grund familiärer Verpflichten öfter zurück und verzichten auf karrierefördernde Weiterbildungen.

Die geburtsbedingten oder pflegebedingten Berufsunterbrechungen tun ihr Übriges und verstärken die Gehaltslücke zwischen den Geschlechtern. Eine weitere monetäre Gefährdung von Frauen sieht Gewerkschafterin Hannack in der Abhängigkeit von Partnern. Vielen Frauen drohe auch deswegen Altersarmut, weil sie nach dem Ableben ihres Mannes oder einer Trennung keine finanzielle Absicherung mehr haben. Gerade für Mütter, die nach einer Trennung die Erziehung der Kinder vollständig übernehmen, sei das Armutsrisiko im Alter erhöht. 

Beseitigung von Fehlanreizen

Die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern haben sich in den letzten Jahren zwar verringert, aber es ist noch ein weiter Weg hin zur Prävention von Altersarmut und zur monetären Gleichstellung der Geschlechter. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat klare Vorstellungen davon, welche Maßnahmen Frauen vor dem hohen Armutsrisiko im Alter schützten können. „Frauen müssen von ihrem eigenständig erwirtschafteten Einkommen leben und für sich und ihre Kinder langfristig vorsorgen. Um das zu erreichen, müssen die zentralen Hemmnisse für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben abgebaut werden“, so Hannack.

Die Gewerkschafterin wünscht sich von der Politik eine Beseitigung der steuerlichen Fehlanreize für die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die Abschaffung der Steuerklasse V sei längst überfällig, da sie die „hinzuverdienende“ Frau übermäßig belaste. Ferner sei die geringfügige Beschäftigung sozial abzusichern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zentrales Anliegen, um Frauen eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu ermöglichen.

Hannack und andere Experten fordern einen Ausbau der öffentlichen Betreuungsinfrastruktur für Kinder und Pflegebedürftige und eine gerechtere Verteilung der Kinderbetreuung innerhalb der Partnerschaft. Aber auch die Arbeitgeber müssten ihren Beitrag leisten, indem sie ihre Beschäftigten als Menschen mit Sorgeverantwortung wahrnehmen und vor allem für familienbewusste Arbeitszeitregelungen sorgen.

Wissenslücken schließen

„Ein Kind heißt in Deutschland: Raus aus dem Job. Für viele Frauen bedeutet das auch Armut im Alter“, sagt etwa Elisabeth Kolz. Die 69-jährige Mainzerin gilt in der Region Rheinhessen als Grande Dame der Gründungs- und Karriereberatung und blickt auf drei Jahrzehnte Beratungspraxis zurück. In dieser Zeit hat sie Tausende Frauen bei ihrem beruflichen Werdegang unterstützt und kennt viele Frauen, die beim Renteneintritt in die Altersarmut geschlittert sind.

Die Gründe dafür liegen, so Kolz, auch an deutschen Arbeitgebern, die erwerbstätigen Müttern keine flexiblen Arbeitsmodelle ermöglichen. „Schon allein die flächendeckende Einführung von Home Office würde Mütter die Vollzeitbeschäftigung ermöglichen“, sagt Kolz. Aber nicht nur geschlechterpolitische Defizite und veraltete Arbeitsmodelle seien Anlass für die wachsende Gefahr von Altersarmut.

Die Gründerin der „Wohlstandsgenossenschaft. BerufsErfolg & Altersreichtum eG“ stellt bei ihren Workshops und Vorträgen zum Thema „Finanzielle Vorsorge“ immer wieder fest, dass Frauen nicht über das notwendige Finanzwissen verfügen, um sich finanziell abzusichern. Diese Wissenslücken möchte Kolz mit ihren Vorträgen, Workshops und monatlichen Stammtischen schließen und vermittelt Frauen in Rheinhessen notwendiges Finanzwissen. „Meine Botschaft ist sehr einfach: Wer kein Geld hat, kann keins sparen und beklagt sich dann später über Altersarmut“, so Kolz.

Frauenseilschaften bilden

Die Wohlstandsgenossenschaft appelliert daher nicht nur an die Politik, sondern auch an die Gesellschaft als Ganzes. Das Bildungssystem, das Abiturienten als „ökonomische Analphabeten“ entlasse, sei gefragt. Entrepreneurship, finanzielle Vorsorge, Investment wünscht sich Kolz als fest etablierte Unterrichtsfächer an allen Schulen.

All das seien überlebenswichtige Wissenslücken, die es schon bei Kindern und Jugendlichen zu schließen gelte. Kolz rät erwerbstätigen Müttern, die zum Beispiel Mitglied in der Wohlstandsgenossenschaft sind, für das Alter vorzusorgen und Seilschaften zu gründen. „Wir müssen uns besser vernetzen und eine Lobby für Frauen bilden. Es kann nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt so viele qualifizierte Frauen von Altersarmut bedroht sind.“ 
 

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