Aktivismus in der Politik - Sprachmanipulation, Netzkontrolle, Kampagnenstil

Aktuell beherrschen zwei Themen die Schlagzeilen: Corona und Ukraine. Betrachtet man jedoch die Stichworte und Initiativen am Rande der politischen Großereignisse, ergibt sich ein ebenso schlüssiges wie unerfreuliches Bild der neuen Bundesregierung. Deutschland soll umgebaut werden, und die meinungsbildenden Mittel dazu werden schon einmal in Stellung gebracht.

Sie müssen sich nach dem Willen von Familienministerin Anne Spiegel wohl in Kelly-Verantwortungsgemeinschaft umbenennen / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Seit 66 Tagen ist die neue Regierung im Amt. Das sind etwas mehr als neun Wochen. Zeit genug für eine erste Momentaufnahme. Zugegeben: Das ist nicht ganz einfach, da zwei Themen die letzten 66 Tage beherrschten: Corona und die Ukraine. Doch beide Themen schwelen schon seit Jahren, und man wird von einer neuen Regierung nicht erwarten, sie im Handumdrehen zu lösen.

Allerdings wird auch jenseits von Corona und Ukraine Politik gemacht, man vergisst es fast. Und dort war Interessantes zu beobachten. Wenn einzelne Äußerungen und Handlungen Indizien für das sind, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt – und dafür spricht einiges –, sehen wir interessanten Zeiten entgegen. Denn wichtiger als politische Großthemen sind mitunter die Stichworte am Rande des politischen Weges, die Miszellen an der Peripherie des Politbetriebes. Sie offenbaren mitunter sehr viel deutlicher, was tatsächlich gedacht und geplant wird.

Abschaffung der Familie

Da war etwa Anne Spiegel, nunmehr Bundesfamilienministerin und somit Leiterin jenes Hauses, in dem die ideologischen Gesellschaftsexperimente von morgen konzipiert werden. Ganz freimütig räsonierte Frau Spiegel Ende Januar bei Markus Lanz über das neue Familienbild, das sie den Deutschen verpassen will: Die Familie soll nominell abgeschafft werden. Stattdessen ist von Verantwortungsgemeinschaften die Rede. Und Stiefeltern sollen keine Stiefeltern mehr sein, sondern Bonuseltern.

Chapeau. Auf die Idee muss man erst einmal kommen. „Bonus“ – das sollte wohl positiv klingen. Dabei hat es den Beigeschmack von Sonderrabatten, von Bonusheften, Bonusmarken und Bonusaktionen. Und ungefähr diese Gewichtsklasse hat die Idee der Bonuseltern tatsächlich: eine verlogene Sprachregelung, die tradierte Familienkonstellationen im Sinne eines postfamiliären Zeitgeistes aufwerten möchte. Hier geht es nicht um die Verbesserung möglicherweise spannungsgeladener innerfamiliärer Beziehungen, sondern um die Diskreditierung der Kernfamilie als Maluseltern.

Staatlich geförderte Wahrheits-Algorithmen

Spiegels Kabinettskollegin Bettina Stark-Watzinger gab derweil eine eindrucksvolle Demonstration in Sachen Verquickung von Politik, Medien und Wissenschaft. Sie wolle das „Übel Fake News an der Wurzel packen und den Kampf gegen Desinformation durch gezielte Forschungsförderung vorantreiben“, gab die neue Bundesforschungsministerin zu Protokoll. Zu diesem Zweck werden insgesamt 15 Millionen Euro für verschiedenen wissenschaftliche Projekte zur Verfügung gestellt. Neben mediensoziologischen Studien findet sich dort auch das Projekt „noFake“, dessen Ziel es ist, ein KI-unterstütztes Assistenzsystem zur Erkennung von Falschinformationen zu entwickeln. Auf die Idee, dass staatlich geförderte Wahrheits-Algorithmen das Grundkonzept einer liberalen Gesellschaft stark strapazieren, scheint die FDP-Ministerin nicht zu kommen.

Doch wozu Meinungskampf im medialen Umfeld? Besser noch ist es, Polit-Aktivisten direkt in die Ministerien zu holen – dachte sich offensichtlich Außenministerin Annalena Baerbock und berief Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Klimaschutzbeauftragten. Wie der bisher von Morgan praktizierte Kampagnenstil mit Diplomatie vereinbar ist, muss das Geheimnis von Frau Baerbock bleiben. Aber wahrscheinlich geht es auch gar nicht um außenpolitische Fragen, sondern darum, über die Bande der Außenpolitik Druck auf die Innenpolitik und die heimische Wirtschaft auszuüben.

Politisch gewollte Sprachmanipulation

Den kann man allerdings auch anders aufbauen, dachte sich offensichtlich Bundesumweltministerin Steffi Lemke, als sie ganz offen Verständnis für die anhaltende Serie von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten zeigte. Dass klimapolitische Fragen keine aufgekratzten Formen des zivilen Ungehorsams rechtfertigen, übersah die Bundesministerin dabei geflissentlich.

Politisch gewollte Sprachmanipulation, Netzkontrolle, ministerialer Kampagnenstil, Sympathien mit Politaktivisten – die Petitessen der letzten Wochen ergeben leider ein in sich schlüssiges Bild. Deutschland soll umgebaut werden und zwar grundlegend. Die meinungsbildenden Mittel dazu werden schon einmal in Stellung gebracht.

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