AfD - Radikal. National. Sozial?

Gelingt es den Gemäßigten in der AfD, den Einfluss des Höcke-Flügels zu beschränken? Das parteiinterne Netzwerk ist vom Verfassungsschutz nun als "rechtsextreme Bestrebung" und als Beobachtungsfall eingestuft worden. Lesen Sie hier das Stück über die Partei aus unserer aktuellen Ausgabe.

National, radikal, sozial: Repräsentiert Björn Höcke die AfD von Morgen? / picture alliance
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Schrill wie nie ist der Ton, in dem die Vertreter der etablierten Parteien die AfD in diesem Februar attackieren: „Nazis und Faschisten“ heißt es von SPD, Grünen und der Linken. Der Thüringer Linken-Politiker Bodo Ramelow teilt auf Facebook eine Collage aus zwei Bildern. Das eine zeigt den „Tag von Potsdam“: Hitler reicht Reichspräsident Paul von Hindenburg die Hand. Das zweite Bild zeigt Björn Höcke, der Thomas Kemmerich im Thüringer Landtag zur Wahl gratuliert. Aber auch FDP-Vize Alexander Graf Lambsdorff nennt die AfD „Faschisten“; über „Gesindel“ schimpft CDU-Kanzleraspirant Friedrich Merz. 

Die AfD, vertreten in allen 16 Landtagen und im Bundestag, geht derweil selbstbewusst wie nie ins achte Jahr ihrer Existenz. Aber was stellt die Partei, die im Februar 2013 in einem Gemeindesaal in Oberursel im Taunus von 18 Männern gegründet wurde, mit ihren 33 000 Mitgliedern heute dar?

Wohlhabende Leute mit Häusle

Werfen wir einen Blick in die Böblinger Kongresshalle, wo sich Mitte Februar die baden-württembergische Parteibasis versammelt hat. Wer sich hier umschaut, der findet das exakte Gegenteil dessen, was man vom Berliner Prenzlauer Berg kennt – jene, vor denen die heutigen „Prenzlschwaben“ einst flohen und die sie als „Spießbürger“ beschimpfen. Diese Menschen sind nicht hip und cool. Hier sitzen sie in karierten Hemden und mit Schnurrbärten, eher 70 als 40 Jahre alt, Maschinenbauer, Bankangestellte und Informatiker – kaum noch die Akademiker der ersten Tage.

Aber eben auch nicht das Prekariat, sondern wohlhabende Leute mit Häusle und Mercedes, die aber Angst davor haben, dass alles bald den Bach runtergehen könnte: durch den Greta-­Wahn, durch die Ausländer, durch Gender-Gaga. Es ist ein Publikum, das gerne am Stammtisch sitzt und sagt: Das wird man doch noch sagen dürfen. Das sich aber oft in Echoräume zurückgezogen hat und die „System-Medien“ nur noch liest und schaut, um wütende Kommentare über die linksgrün-versiffte Doppelmoral unter Online-Artikeln und in den sozialen Netzwerken zu hinterlassen. Und das trotz der parteiinternen Konflikte durch die Angriffe der anderen fest zusammengeschweißt ist: Jeder hier kann voller Empörung Geschichten erzählen über Attacken der Antifa auf Wahlkampfstände und Wohnhäuser. 

Und der "obergärige Haufen"

Aber die AfD zieht auch Menschen an, auf deren Kapuzenpulli in Frakturschrift steht: „Der Teufel flüsterte: Du kannst dem Sturm nicht standhalten. Der Deutsche antwortete: Ich bin der Sturm.“ Die AfD steht im achten Jahr ihrer Existenz vor demselben Problem, das rechte Parteien wie NPD oder Republikaner am Ende ins Nichts geführt hat: dass den Gemäßigten die Courage fehlt, den rechten Rand zu verbannen. Und der Flügel der Partei, der seine Hand schützend über diese Leute hält, ist inzwischen so stark, dass das heute fast nicht mehr möglich ist. Das Jahr 2020 wird zeigen, wohin die jüngste deutsche Partei treibt. Der „obergärige Haufen“, von dem Parteigründer Alexander Gauland gerne spricht, könne auch zu Essig werden, warnt ein Bundestagsabgeordneter. 

In den letzten Jahren lautete die gängige Lesart in der Partei: Um anschlussfähig für das bürgerliche Parteienlager zu sein, muss die Partei ihre Radikalen in Schach halten. Dagegen stand lange symbolhaft Björn Höcke, der den „Flügel“ als radikale Kraft gründete, die sich gegen den Kurs des damaligen Parteichefs Bernd Lucke stellte, eine „technokratisch ausgerichtete Partei“ zu werden. Die AfD müsse eine „Widerstandsbewegung“ gegen die „Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ sein, heißt es in der Erfurter Erklärung von 2015. Noch im Januar 2017 ruft Höcke seinen Anhängern in Dresden zu: „Wir werden das so lange durchhalten, bis wir in diesem Lande 51 Prozent erreicht haben oder aber als Seniorpartner – als Seniorpartner! – in einer Koalition mit einer Altpartei sind, die durch ein kathartisches Fegefeuer gegangen ist, die sich selbst wiedergefunden hat, und die abgeschworen hat von einer Politik gegen das Volk.“ 

Die ungeschriebene Regel in der AfD

Das Jahr 2020 beginnt mit dem Paukenschlag von Erfurt. Gerade Höcke gelingt zum ersten Mal in der Geschichte der Partei ein echter politischer Erfolg: Die AfD wählt den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens. Auch wenn dieser schneller zurücktreten muss, als er angetreten war: Die Verhinderung einer rot-rot-grünen (im Parteisprech linksgrün-versifften) Regierung, erreicht durch parlamentarische Zusammenarbeit mit FDP und CDU, ist Höckes Meisterstück. Dass er die eigenen Grundsätze über Bord geworfen hat, kümmert angesichts des Erfolgs niemanden.

Doch nun wird zur ungeschriebenen Regel, was sich schon im letzten Jahr angedeutet hat: Wer in der AfD offen gegen Höcke opponiert, verliert. Das weiß auch Alice Weidel an diesem Abend in der betonhässlichen Kongresshalle im schwäbischen Böblingen. Die Fraktionsvorsitzende aus Berlin ist gekommen, um den zwischen Flügelleuten und Gemäßigten heillos zerstrittenen Landesverband rechtzeitig vor den Landtagswahlen 2021 zu übernehmen. Alles läuft nach Plan, bis ein Parteimitglied Weidel in der Fragerunde fragt, warum sie einst für ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke gestimmt habe.

Weidel pariert, sie habe ebenso für die Einstellung des Ausschlussverfahrens gestimmt. Um sich dann verbal vor Höcke zu verneigen: „Ich muss sagen, dass der Herr Höcke einen sehr guten Job in Thüringen gemacht hat. Und was er letzte Woche geschafft hat, das hat noch keiner vor ihm geschafft. Dafür gebührt ihm der höchste Respekt.“ Weidel beweist eiskaltes Machtkalkül. Der Parteitag wählt sie mit 54 Prozent zur AfD-Chefin von Baden-Württemberg.

Und das, ohne dass die Anhänger des Flügels Weidel gewählt hätten. Sie stimmen geschlossen für den Gegenkandidaten. Aber Weidel hat getan, was man inzwischen in der AfD tun muss, um auch unter den Gemäßigten Mehrheiten zu bekommen: Sie hat sich nicht öffentlich gegen die Radikalen gestellt. 

Höckes Flügel hat die Diskurshoheit

Diese Entwicklung hatte sich 2019 angebahnt: Noch im Sommer hatten 100 prominente Vertreter der Partei in einem „Appell der 100“ Höcke öffentlich angegriffen, darunter die drei stellvertretenden Parteivorsitzenden Georg Pazderski, Kay Gottschalk und Albrecht Glaser. 

Dann holte die AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen Rekordergebnisse: Im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern, wo sie als hässliches Entlein am Katzentisch der etablierten Parteien sitzt, stieg die AfD im Osten zur neuen Volkspartei auf. Auf dem Bundesparteitag in Braunschweig flogen Pazderski, Gottschalk und Glaser aus dem Bundesvorstand. Parteichef Jörg Meuthen, der Höcke im Sommer deutlich kritisiert hatte, wurde von seinem eigenen Kreisverband nicht als Delegierter für den Parteitag nominiert – eine Klatsche erster Klasse. Die Wiederwahl zum Parteivorsitzenden gelang Meuthen nur, weil er seitdem zu Höcke schweigt – und weil ihm mit dem sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla ein vom Flügel protegierter Ko-Vorsitzender an die Seite gestellt wurde. 

Bei allem Gerede über den Kampf zwischen Flüglern und Gemäßigten kristallisiert sich inzwischen heraus: Rechtsnationale Positionen werden heute von einer breiten Mehrheit der Partei geteilt, nur in Ton und Stil gibt es Unterschiede. Wo die Höcke-Anhänger von Umvolkung sprechen und „sich das auch nicht verbieten lassen wollen“, sagen die Gemäßigten, dass das im Prinzip nicht falsch sei, aber man es eben anders ausdrücken müsse. Ohne je eine Mehrheit von „bekennenden“ Mitgliedern zu stellen, hat Höckes Flügel die diskursive Hoheit in der Partei erlangt.

Partei der Modernisierungsverlierer?

Diese These stützen die Verschiebungen in den AfD-Wahlprogrammen, die die Wissenschaftler Wolfgang Schroeder und Bernhard Weßels für ihren gerade erschienenen Sammelband „Smarte Spalter“ analysiert haben. Die AfD ist seit ihrer Gründung auf der soziokulturellen Achse stetig nach rechts gerückt, sowohl in ihren offiziellen Programmen als auch in den Überzeugungen ihrer Anhänger. Allerdings bewegen sich die Positionen „derzeit nicht an den äußersten rechten Rändern“, wie es in „Smarte Spalter“ heißt. Rechtsradikal oder faschistisch ist die Partei deshalb heute nicht. 

Auf der sozioökonomischen Achse dagegen rückt die Partei von den marktliberalen oder sogar libertären Positionen der Anfangsjahre unter Bernd Lucke mehr und mehr nach links. Das wurde auch möglich, weil allein dem Exodus des Parteigründers Lucke im Jahr 2015 ein Fünftel der damals 21 000 Mitglieder folgte, vor allem Vertreter der „Professoren-Fraktion“. Mit dem Auszug der nächsten gemäßigten Fraktion um die ehemalige Parteichefin Frauke Petry nach den Bundestagswahlen 2017 wurde der Einfluss der sozial-nationalistischen Gruppierung noch einmal stärker. 

Die AfD wendet sich den Modernisierungsverlierern zu – oder denen, die sich als solche fühlen: „Der durchschnittliche AfD-Wähler ist heute, was Bildung und Einkommen angeht, auf einem vergleichbaren Niveau wie die Wähler der SPD und der Linkspartei“, heißt es in „Smarte Spalter“. Die Zahl der Wähler mit mittlerem Einkommen ging von rund 50 auf 30 Prozent zurück, diejenige aus den unteren Einkommensschichten stieg auf 50 Prozent an. Auch die Zahl der Beamten unter den Wählern sank von 27 Prozent auf 10 bis 12 Prozent.

In Westdeutschland wird die Partei eher in den Großstädten gewählt, in Ostdeutschland vor allem im ländlichen Raum. Der Arbeiteranteil unter den Wählern ist mit 20 Prozent heute deutlich höher als bei SPD (11 Prozent) und Linken (10 Prozent). „Wir wollen die SPD flüssiger als flüssig machen, nämlich überflüssig“, sagt der ehemalige Parteivize und frühere Sozialdemokrat Kay Gottschalk. Ob dieser Linksruck sich programmatisch manifestiert, wird im April der Sozialparteitag im badischen Offenburg zeigen, bei dem die AfD ein eigenes Rentenkonzept beschließen will. Dass sie das so lange herausgezögert hat, liegt in der Explosivität des Themas begründet.

Parteichef Meuthen fordert in seinem Konzept eine steuerlich finanzierte Grundrente knapp über dem Existenzminimum, alles Weitere müssten die Bürger über private Vorsorge regeln – eine Forderung, die auch von der FDP kommen könnte. Höckes Flügel dagegen will das bestehende Umlagesystem ausbauen – in die Rentenversicherung soll noch mehr Geld fließen, etwa durch höhere Beiträge für Besserverdiener. Das klingt nach Linkspartei und SPD, entsprechend groß ist das Konfliktpotenzial. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die vierte Umverteilungspartei werden“, sagt ein einflussreicher Bundestagsabgeordneter. 

Mit Powerpoint gegen den Verfassungsschutz

Noch kritischer könnte für die AfD die Beobachtung durch den Verfassungsschutz werden: Seit 2018 beobachten die Geheimdienstler die Jugendorganisation Junge Alternative und den Flügel, weil „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen“, wie es offiziell heißt. Im Februar wurde bekannt, dass auch die Landtagsabgeordneten Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Hans-Thomas Tillschneider beobachtet werden. Und demnächst entscheidet der Verfassungsschutz, ob unter dem Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit die Partei als Ganzes beobachtet werden soll. Das hätte massive Folgen: Im Dezember war der sächsische Abgeordnete und Bundespolizist Lars Herrmann aus Bundestagsfraktion und Partei ausgetreten. Ein Grund dafür war die drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ähnliche Überlegungen dürften sich andere Beamte in der AfD wie Richter oder Lehrer machen: Was, wenn eine Mitgliedschaft in der AfD arbeitsrechtliche Konsequenzen hat? Sollte die Gesamtpartei als Verdachtsfall eingestuft werden, könnte die AfD auch alle gerade aufkeimenden Hoffnungen auf Regierungsbeteiligung begraben. 

Aber die Partei reagiert: Der Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig, früher Chefjurist bei Bayer, tourt seit Monaten mit einer Powerpoint-Präsentation durch die Kreisverbände, wo er all jenen, die sich „nicht den Mund verbieten lassen wollen“, wie es immer wieder heißt, erklärt, wie radikale Äußerungen von AfD-Mitgliedern im Internet oder selbst Likes von Seiten verfassungsfeindlicher Organisationen vom Verfassungsschutz registriert werden – und der Partei am Ende massiv schaden können. „Wichtig ist, dass die Partei im Hinblick auf die Vermeidung von Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen ihre Grundsätze – auch durch Parteiordnungsverfahren – konsequent durchsetzt“, heißt es in Hartwigs Präsentation. Das hat Hartwig insbesondere bei Flügel-­Vertretern Spitznamen wie „Blauer Stalin“ und „Stasi 2.0“ eingebracht. Und gerade der Ausschluss von Parteimitgliedern stellt sich in der Praxis als fast unmöglich heraus – auch, weil der Flügel dafür sorgt, dass in den Partei-Schiedsgerichten die richtigen Leute sitzen. Das im Mai 2018 vom Thüringer Schiedsgericht eingestellte Ausschlussverfahren gegen Höcke hatte Symbolkraft. 

Die AfD von Gestern und von Morgen

Aber während es bei der Parteibasis gegen Hartwigs „Sprechverbote“ brodelt, sind von Höcke, aber auch von Kalbitz und Tillschneider im vergangenen Jahr keine radikalen Äußerungen mehr zu hören. Die Protagonisten des Flügels scheinen die Bedrohung verstanden zu haben, die für sie vom Verfassungsschutz ausgeht, und versuchen nun, dem Staat keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Aber ändert das etwas an ihren Überzeugungen? 

Dass sich durch das letzte Jahr die Kräfteverhältnisse in der AfD verändert haben, werden auch die Listen für die Bundestagswahl zeigen, die im Herbst aufgestellt werden. „Eine so gemäßigte Bundestagsfraktion der AfD wie heute wird es nie wieder geben“, sagt ein früherer Bundestags­abgeordneter der AfD. Um das Bild der Bürgerlichkeit zu wahren, werden sich auf den Listen auch die Restbestände der einstigen Professorenpartei finden. Aber keiner mehr, der offen gegen den Flügel opponieren würde.

 

Dieser Text ist in der März-Ausgabe des Cicero erschienen, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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