AfD im Bundestag - Alle gegen eine

Die Wahlniederlage des AfD-Politikers Michael Kaufmann bei der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestags zeigt, die Partei wird auch in den kommenden vier Jahren als Störgeräusch wahrgenommen werden. Doch ist das konsequente Blockieren eines AfD-Abgeordneten im Sinne der Demokratie?

Die AfD-Fraktion stimmt für einen ihrer Anträge bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Der Chefsessel der neuen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas war noch nicht warmgesessen, da wurde der AfD schon der erste Anlass für öffentliche Entrüstung serviert. Bei der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten bekamen die Kandidaten aller Parteien, inklusive der Linken, ausreichend Stimmen für ihre Wunschkandidaten. Nur eine Partei durfte wieder nicht mitspielen: die AfD. 369 Ja-Stimmen waren Bedingung für eine Wahl ins Stellvertreter-Amt, AfD-Kandidat Michael Kaufmann kam aber nur auf 118 Stimmen. Damit deutet sich an, was in der vergangenen Legislaturperiode bereits Stand der Dinge war: Die AfD wird wohl keinen Vizeposten im Bundestagspräsidium erhalten – obwohl ihr der laut Geschäftsordnung eigentlich zusteht.

Strapazierte Nerven

Dass Kaufmann nicht gewählt wurde, liegt erst einmal daran, dass die Parlamentarier frei sind, Kandidaten abzulehnen, die sie für ungeeignet halten. Das ist an sich gut und richtig. Allerdings ist die Sache bei der AfD etwas komplizierter. Denn die übergroße Mehrheit der Parlamentarier findet, dass jeder Kandidat, den die AfD vorschlägt, ungeeignet sei für den Posten. Allein deshalb, weil er ein AfD-Parteibuch hat. Oder wie es SPD-Politiker Helge Lindh auf Twitter ausdrückte: „Ich werde den von der #noAfD  nominierten #Bundestagsvize nicht wählen. Niemals werde ich die menschenfeindliche & rassistische Politik der AfD mit meiner Stimme legitimieren und eine*n ihrer Vertreter*innen beauftragen, unser Parlament zu repräsentieren & verächtlich zu machen.“

Es gibt zweifellos gute Gründe, Lindhs Argumentation zu folgen. Aus den Reihen der AfD wird verlässlich Stoff geliefert, der auch den Rassismus-Vorwurf gegen die Partei bekräftigt. Mit Jörg Meuthens angekündigtem Rückzug von der Parteispitze stehen die Chancen zudem gut, dass der Rechtsaußen-Flügel der Partei weiter an Einfluss gewinnt und damit auch an Selbstbewusstsein für neue Verbalausfälle. Hinzu kommt, dass die AfD nur allzu gerne Fundamentalopposition betreibt, was die Nerven der anderen Bundestagsabgeordneten regelmäßig strapaziert. Auch am Dienstag wieder.

Da nahmen zwei Dutzend AfD-Abgeordnete aus Protest auf der Besuchertribüne Platz, weil auf den Abgeordnetenplätzen im Plenarsaal die 3G-Regel galt. Die Folgen waren Mehraufwand für die konstituierende Sitzung, denn abstimmen sollten die Abgeordneten dennoch können. Anschließend stellte die Partei einen Antrag gegen das Gendern in Gesetztestexten, obwohl in diesen bisher nicht gegendert wird. Anders formuliert: Die AfD ist ziemlich gut darin, sich außerhalb der eigenen Partei wenig Freunde zu machen. Das hilft nicht unbedingt, nötige Stimmen für was auch immer zu sammeln.

Gleichwohl tut sich im Zusammenhang mit der Wahlniederlage Kaufmanns eine Frage auf, die gewichtiger ist als jene, was man von der AfD als Partei und ihrem Politikstil zu halten hat. Die Frage lautet: Ist das konsequente Blockieren eines AfD-Kandidaten nicht nur demokratisch legitimiert, sondern auch im Sinne der Demokratie? Zweifel sind angebracht.

Weniger Anlass für Empörung

Kaufmann saß zuletzt im Thüringer Landtag, ist also Mitglied jenes Landesverbandes, der von Björn Höcke geführt wird. Allerdings ist der studierte Energietechniker bisher nicht als radikale Stimme aufgefallen – und wurde im vergangenen Jahr sogar zum Vizepräsidenten des Thüringer Landtags gewählt. Diese Wahl ging zwar in turbulenten Zeiten über die Bühne, nachdem man im Thüringer Landtag die Aufregung um FDP-Politiker Thomas Kemmerich und dessen Wahl zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten verdauen musste. Der Vorgang zeigt dennoch, dass ein Parlament nicht gleich untergeht, wenn man die AfD institutionell stärker einbindet. Außerdem spart man sich viel Ärger – und gibt der Partei deutlich weniger Anlass, sich öffentlich zu empören.

Wenig überraschend ist die AfD nach der Wahlniederlage Kaufmanns nicht einfach pikiert von dannen gezogen. „Wir sind absolut verärgert über die Standards, welche hier im Bundestag durch die anderen Fraktionen gesetzt werden. Damit werden nicht nur wir als Fraktion, sondern auch Millionen von Wählern in Deutschland, welche wir hier im Bundestag vertreten, ausgegrenzt“, sagte die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Alice Weidel. Und Kaufmann ließ wissen: „Der Bundestag hatte heute den ersten Demokratietest dieser Legislaturperiode zu bestehen und ist leider krachend durchgefallen. Es ist schade, dass eine Mehrheit der Abgeordneten weiterhin auf dem Weg ist, die Spaltung voranzutreiben.“

In den sozialen Medien macht derweil ein Bild der AfD mit dem Konterfei Kaufmanns die Runde, auf dem steht: „Undemokratisch! Altparteien blockieren AfD-Kandidaten!“ Dass sich die AfD über den Vorgang nicht nur empören, sondern ihn auch in eigener Sache ausschlachten würde, war abzusehen. Das macht manches Argument der AfD in dieser Auseinandersetzung aber nicht weniger stichhaltig.

Ein kleines bisschen wertloser

Nach Artikel 38 des Grundgesetzes sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, also auch jener Wähler, die ihre Kreuzchen bei der AfD gemacht haben. Da nützt es auch nichts, dass von den anderen Parteien gerne so getan wird, als gäbe es den Bundestag auf der einen und die AfD auf der anderen Seite. Da auch die AfD demokratisch gewählt wurde, ist sie nicht weniger Bundestag als SPD, Grüne, FDP, CDU/CSU oder die Linke. Aber auch das Argument, jede Stimme, die die AfD nicht bekommen habe, sei eine Stimme gegen die Partei, ist hanebüchen. Genauso wie die Schlussfolgerung, die AfD vom demokratischen Prozess auszuschließen, sei Mehrheitswille. In der Wahlkabine werden zwei Kreuze für eine oder zwei Parteien gemacht, keine Rangliste der Parteien vom ersten bis zum letzten Platz erstellt.

Wenn alle anderen Parteien durch ihre Blockadepolitik nun also verhindern, dass die AfD einen Vize-Posten im Bundestagspräsidium erhält – und zwar unabhängig vom Kandidaten –, mag der Vorgang zwar legitim sein; ob er auch im Sinne der Demokratie ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn was daraus auch folgt, ist dies: Wenn die AfD keinen Stellvertreter der Bundestagspräsidentin stellen kann, weil die anderen Parteien das konsequent verhindern, wird die Stimme eines AfD-Wählers ein kleines bisschen wertloser als die eines Wahlberechtigten, der sein Kreuz bei einer der anderen im Bundestag vertretenen Parteien gesetzt hat. Womit wir wieder bei den Wahlrechtsgrundsätzen wären: „Der Grundsatz der Wahlgleichheit fordert, dass jede Wählerin und jeder Wähler dieselbe Anzahl von Stimmen und jede Stimme gleiches Gewicht hat“, heißt es dort.

Drang nach Konformität

Doch die AfD könnte ihren Kandidaten für den Vize-Posten im Bundestagspräsidium so oft zur Wahl stellen, wie sie will, oder ihren Kandidaten so oft wechseln, wie sie will – es würde wohl nichts ändern. Das hat dann wahlweise etwas von „Täglich grüßt das Murmeltier“ oder orchestriertem Mobbing im Klassenzimmer. Weshalb sich abschließend noch diese Frage stellt: Ist diese Inszenierung, ist dieses zur Schau gestellte „Wir gegen die“ eines Deutschen Bundestags würdig?

Den Ansatz einer Antwort gab an diesem Dienstag, an dem der AfD-Kandidat Kaufmann durch die Abstimmung fiel, Wolfgang Schäuble. In seiner Abschiedsrede als Bundestagspräsident sprach Schäuble vom Bundestag als einem Ort, an dem „die Vielfalt an Meinungen offen zur Sprache kommen“ müsse, mahnte die Abgeordneten vor einem gewachsenen „Drang nach Konformität“ – und vor der Tendenz, andere Meinungen nicht mehr zuzulassen. Für seine Rede bekam er großen Applaus. Aus allen Fraktionen.

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